Luise und Dominik* waren vier Jahre zusammen. Sie trennte sich, als sein Kontrollwahn zu groß wurde. Doch dadurch wurde alles nur noch schlimmer. Bei unserem Partner ze.tt hat Luise ihre Geschichte geteilt.
Wenn ein „uns“ nur noch für einen existiert
„Nächstes Jahr wird alles besser“, schwöre ich mir, während ich im Euroshop nach den goldenen Happy-New-Year-Haarreifen im Doppelpack greife. Mein Smartphone vibriert. Es ist die Art Vibration, die eine SMS ankündigt. Den WhatsApp-Ton habe ich schon lange ausgestellt. Ich beschließe, die Erschütterung in meiner Jackentasche zu ignorieren. Sie könnte von ihm sein – aber daran möchte ich jetzt nicht denken. Ich stecke noch eine Packung Bleigießen und zwei Glückskekse in den roten Korb und gehe entschlossen zur Kasse. Ob Glück im nächsten Jahr ausreicht? Es vibriert wieder, dieses Mal zucke ich kurz zusammen. Aber es war nur die übliche E-Mail-Vibration.
So kurz vor Jahresbeginn, kehren auch die Erinnerungen an den letzten 1.1. zurück. Damals war ich etwas über einen Monat von Dominik* getrennt. Trotzdem schickte er mir dutzende Fotos von seinem Heiligen Abend mit der Familie; Bilder mit Mutter, Vater, Geschwistern und Geschenken. Unter dem Bild mit einer Designer-Lampe stand: „Die ist für uns.“ Welches uns?
Knapp vier Jahre waren Dominik und ich ein Paar. 2012 lernten wir uns in meiner Heimat kennen und lieben. Seine aufgeschlossene und liebevolle Art beeindruckte mich sofort. Was er dachte, sagte er meist geradewegs heraus, das fand ich erfrischend. Zwei Jahre später zog es uns beide fürs Studium nach Berlin – ein gemeinsamer Neuanfang. Wir belebten eine wunderschöne Altbauwohnung und starteten in den selben Studiengang.
(K)ein perfektes Paar
Dieses Bündnis nach knapp vier Jahren auseinander zu reißen war hart. Nicht, weil ich mir der Trennung unsicher war, sondern weil ich Angst davor hatte. Dominik hatte sich in Berlin sehr verändert. Er versuchte krampfhaft, das Bild, das wir als Paar abgaben, zu kontrollieren, zu polieren und aufrecht zu erhalten – und es musste perfekt sein. Am liebsten wollte er bestimmen, was ich wie machte, wer meine Freunde sind, sogar was ich anzog.
Setzte ich meine eigenen Vorstellungen dagegen, war Streit programmiert. Und der bewegte Dominik oft zu drastischen Mitteln. Als ich während eines Streits die Wohnung verließ, um runterzukommen, hackte er mein Handy, weil ich nicht – so wie er es wollte – sofort zurück kam. „Es tut mit leid, aber du zwingst mich dazu“, schrieb er noch, bevor er mein Handy aus der Ferne ausschaltete.
Im Oktober 2015 trennte ich mich dann. Meine Freundinnen erfuhren es als erste. Vermischt mit süßlichem Cosmopolitan sprudelten meine eigenen Bedenken wie Wortkotze aus mir heraus. Wie würden wir die Möbel aufteilen? Wie würde es sein, ihm jeden Tag in der Uni zu begegnen? Würde ich mich trauen, andere Männer auf Partys mitzunehmen? All diese Fragen klangen nach „Freche Mädchen – Freche Bücher“-Problemen, waren aber da und wollten beantwortet werden.
„Hat er die Trennung denn akzeptiert?“, fragte mich meine beste Freundin, bevor wir uns auf in die Innenstadt machten. Ich schüttelte den Kopf und im selben Moment ploppten die Worte „Ich vermisse dich“ auf meinem Handy-Display auf, dazu ein weinender Emoji. Zu diesem Zeitpunkt bombardierte Dominik mich täglich mit teils seitenlangen Nachrichten.
„Wie konntest du uns nur aufgeben?“
Ich versuchte, Verständnis für ihn zu haben. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie hart es für ihn gewesen sein muss, in einer halbleere Wohnung zu leben. Trotzdem klammerte ich mich an die Hoffnung, die Zeit würde seine Wunden heilen. Aber jede von mir unbeantwortete Nachricht schien seinen Schmerz weiter in Hass zu verwandeln, den er „mit ähnlich detailreicher Überlegung dann auszuüben wisse“, wie er mich wissen ließ
Du undankbare Fotze, du hättest mich einfach nur ab und an ficken müssen. Dann hättest du gemerkt, wie positiv sich das auf unsere Beziehung ausgewirkt hätte.
Oft bekam ich minutenlange Sprachnachrichten, die er unter Tränen sprach: „Wie konntest du uns nur aufgeben?“ Reagierte ich darauf nicht, folgten üble Beschimpfungen und Drohungen. „Du undankbare Fotze, du hättest mich einfach nur ab und an ficken müssen. Dann hättest du gemerkt, wie positiv sich das auf unsere Beziehung ausgewirkt hätte.“ Ein paar Stunden nach der Hassnachricht kam meist die Entschuldigung – er hätte eben nichts mehr zu verlieren, versuchte Dominik sich zu erklären.
Im gemeinsamen Seminar spürte ich seine langen Blicke. Auf einer Uni-Party nahm ich mir unter reichlich Alkohol vor, mich mal wieder fallen zu lassen. Aber selbst in der dunkelsten Ecke fühlte ich mich von ihm beobachtet. Am Morgen wurde ich wieder mit verachtenden Worten überschüttet. Ich versuchte dem, kein Gewicht zu verleihen, scheiterte aber immer häufiger.
Ich blockierte seine Nummer, aber er fand immer wieder einen Weg, um mit mir Kontakt aufzunehmen. Wenn nicht direkt über mich, dann über gemeinsame Freude, die er über mein Leben ausfragte: „Wessen Männerhand hält da neben Leonie* das Eis auf dem Instagram-Bild? War Leonie am Wochenende feiern? Mit wem ist sie unterwegs?“
Wenn Freunde mich fragten, wie es mir mit der Trennung erging, log ich. Ich wollte stark sein, deshalb redete ich mir ein, solche Reaktionen vom Ex seien nach einer Trennung normal. Meinen Eltern erzählte ich aus Angst von all dem nichts.
Im Sommer zog es mich für ein Praktikum zurück in die Heimat. Am Busbahnhof verabschiedete ich mich von meiner neuen Liebe Alex. Er wusste von einem Ex-Freund, aber mehr wollte ich nicht erzählen. Wir schossen Fotos in einer Fotobox und umarmten uns minutenlang, während orange-grüne Busse an uns vorbeizogen. In den Armen von Alex spürte ich wieder diesen unermüdlichen Blick auf mir. Ich sollte Recht behalten.
Mit verschränkten Armen stand Dominik unter der Anzeigetafel. Sein Blick war starr auf uns gerichtet, keine Anstalt sich oder seinen Blick abzuwenden. Wie lange beobachtete er uns bereits? Ich wollte ihn anschreien, aber sein zitterndes Lächeln lähmte mich, sodass ich ihn einfach nur bat, zu gehen. Woher wusste er, dass ich hier war? Als ich mit meinem Bus Abfuhr, sah ich Dominik auf Alex zugehen: Dann bogen wir um die Ecke und ich wollte mich nur noch übergeben. Als Alex mich kurz darauf anrief, erklärte er mir, Dominik habe mir mit diesem Auftritt einen „direkten Vergleich“ zwischen den beiden bieten wollen – dann würde ich meinen Fehler schon einsehen.
Die weiße Folter
Nach dem Vorfall am Busbahnhof blockierte ich jeden Weg, über den Dominik mit mir in Kontakt treten konnte. Das schien ihn noch wütender zu machen. Täglich schrieb mir ein anderer Freund, Dominik würde seine Hassliebe zu mir an ihm auslassen. „Du bist auf jeden Fall der Typ, den ich am meisten hasse! Dass du dir mit meiner Süßen einen Abend gestaltest. FUCK YOU. Und wenn du das Leonie zeigst, dann demontiere ich dich.“ Meiner Mutter schrieb er, er wünsche mir die Pest an den Hals.
Dominik war da, weil er da sein wollte. Auch wenn hunderte Kilometer zwischen uns lagen, hatte er die Kontrolle über mich. Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt, während jeder weitere Übergriff meine Kehle fester und fester zuschnürte. Das Praktikum ließ ich immer öfter ausfallen. Niemand sollte mich so sehen. Als Grund gab ich eine Erkältung an. Arbeitsunfähig wegen Nachrichten von dem Ex? Das war doch kein echter Grund.
Nachdem er trotz aller Bemühungen keinen Kontakt zu mir herstellen konnte, begann Dominik meine Website, die er während unserer Beziehung für mich aufgesetzt hatte, zu manipulieren. Jeden Tag leitete er die Domain mit meinem Namen auf eine andere Seite weiter. Meinen Zugang hatte er zu dieser Zeit längst gelöscht, so dass ich nur abwarten und zusehen konnte. Per E-Mail verkündete Dominik mir, er spiele mit dem Gedanken, Pornos auf die Website zu laden. In seinen Augen hatte ich diesen Psychoterror wohl verdient. In einer Nachricht sprach er von der „weißen Folter“, einer Foltermethode, bei der das Opfer durch Isolation von sozialen Bedürfnissen abgeschnitten wird. „Nicht selten enden diese psychischen Einwirkungen im Suizid“, fügte Dominik hinzu.
Als mich Alex besuchte, brach es aus mir heraus. Ich wusste mir nicht mehr zu helfen. Wann würde Dominik aufhören? Auf dem warmen Gras im Park brach mein wackeliges Selbstbewusstsein zusammen. Alex gestreiftes Oberteil fing meine Tränen auf. Ich fühlte mich ohnmächtig. Dominik hatte die Macht und ich war ohne. Er war nicht nur gekränkt, weil er mich so sehr liebte und ich ihn nicht ließ. Der Gedanke mich niemals gehen zu lassen, machte ihn regelrecht besessen. Das wurde mir noch mehr bewusst, als ich mir endlich Hilfe holte. Ich suchte einen ITler auf, der wenigstens meine Website retten sollte.
Dominik wusste darüber sofort Bescheid. Wieder schrieb er mich an, um sich lustig zu machen und mir zu erklären, niemand könne mir helfen. Als er schließlich anfing, sogar auf E-Mails zu reagieren, die nicht an ihn gerichtet waren, wurde klar: Dominik liest seit Monaten meine E-Mails mit. So war er über alle Details meines Lebens auf dem Laufenden geblieben. Um den Spuk endlich zu beenden, blieb mir schließlich nichts anderes übrig, als meine Website zu löschen, meine E-Mail-Adresse zu ändern und alle meine Konten zurückzusetzen. Alex machte mir Druck. Ohne Hilfe eines Rechtsanwaltes würde mich Dominik vermutlich niemals los lassen. Mit Bauchschmerzen traf ich mich eine Woche später mit Frau Kühn, Rechtsanwältin für Stalking. Aber ich hatte ein ungutes Gefühl. Was könnte diese Frau schon ändern? Würde Dominiks Hass dadurch nicht noch größer werden? Sie formulierte ein Einschreiben an Dominik, in dem sie ihm laut § 238 Nachstellung vorhielt. Bis heute finde ich keinen Grund, warum ich sie bat, ihn noch nicht abzuschicken.
Seine Blicke spüre ich noch immer
Fast täglich sitze ich mit Dominik im selben Seminar. Seine Blicke spüre ich immer noch. Manchmal lächelt er mich an und fragt mich, wie es mir geht. Ich antworte nicht. Auf allen Kanälen habe ich ihn immer noch blockiert. Hin und wieder bekomme ich Screenshots von Freunden geschickt, die Posts zeigen, in denen Dominik mich erwähnt. Die Kraft, mir über so etwas Sorgen zu machen, habe ich aufgebraucht. Ich sollte ihn hassen für das, was er mir angetan hat. Die Leute erwarten das von mir. Aber was bringt es mir?
Mittlerweile bin ich vom Silvestereinkauf zurück. Die SMS war nicht von ihm. Aber wie lange wird es dauern, bis er die nächste Nachricht verschickt? Dieses Gefühl begleitet mich jeden Tag. Ich setze mich an den Schreibtisch und füge den neusten Facebook-Screenshot zu meinem Stalking-Protokoll hinzu. Ich ziehe das an Dominik vorformulierte Einschreiben von Frau Kühn aus einem unteren Papierstapel heraus. Für das nächste Mal – falls es kommt – bin ich vorbereitet.
* Name geändert, die Autorin des Textes schreibt unter Pseudonym.
Der Originaltext von Leonie Steeb ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
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