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Darf ich nicht einfach mal Studentin sein? Über den Leistungsdruck an der Uni

Ich sitze in der Vorlesung und kann meine Augen nach der durchfeierten Nacht kaum offen halten. Die Blicke, die mich treffen, sind schräg: „Lena, wie du dein Studium auf die Reihe bekommst, weiß ich auch nicht.“

Du. musst. funktionieren.

Ich mag es nicht, Druck zu spüren. Nicht von anderen. Und vor allem nicht von mir selbst. Doch auf irgendeine Weise passiert es dann doch, dass sich meine eigenen Ansprüche sowie die Erwartungen, die von außen an mich herangetragen werden, aufeinander stapeln. Dass sie mein Handeln lenken, meinen Alltag bestimmen, meine Gedanken immer in eine und dieselbe Richtung drängen: Du musst funktionieren, funktionieren und funktionieren. Bis zu dem Zeitpunkt – und dafür braucht es nur den kleinsten Auslöser – an dem alles bricht.

Vorab solltet ihr wissen, dass ich diesen Text nach einem sehr nervenaufreibenden Semester schreibe, das eigentlich zwei waren, weil ich meinte, alle fehlenden Credits auf einem Schlag nachholen zu müssen. Eine große Fehlkalkulation. Denn kein Mensch kann mir nichts dir nichts innerhalb von drei Monaten vier Hausarbeiten schreiben, für eine Klausur lernen, 40 Seiten Magazin gestalten, Präsentationen halten, eine Animation erstellen, eine Facebookseite betreuen, ein Semestermagazin mit auf die Beine stellen, für die jüngeren Semester da sein, die Bachelorarbeit anmelden, Exposés schreiben, betreuende Professoren finden. Und dann sind da ja auch noch die Vorlesungen Tag ein, Tag aus – auch samstags. Ja, ich habe selbst den Überblick verloren.

Ich möchte und darf mich nicht beschweren, denn in diese Situation habe ich mich ganz alleine hineinmanövriert. Auf den Rat meiner Professorin, Freunde und Eltern wollte ich nicht hören: Hauptsache, alles ganz schnell erledigen, damit ich im nächsten Semester seltener in die Uni muss.

Keine halben Sachen

Der Drang, alles möglichst schnell abzuhaken, hat mich zum Nachdenken gebracht. Denn der entsteht nicht nur in mir selbst, sondern vor allem durch die Uni. Mit meinen eigenen Ansprüchen und tendenziellem Perfektionismus habe ich gelernt umzugehen: Stress kann ich am besten beim Sport rauslassen, meine Sorgen beim Feiern und Tanzen vergessen. Aber warum macht es sich die Uni zur Aufgabe, uns immer mehr in Richtung Leistung drängen, sodass wir weder Feierabend, Wochenende noch einen schwerelosen Schlaf haben?

Ja, da ist diese Sache mit den perfekten Studenten. Es muss Menschen geben, die all das können, aber ich ich bin das nicht.  Idealerweise sollten sie in den Semesterferien Praktika machen, um Erfahrungen zu sammeln, nebenbei arbeiten, um die Kontakte aufrechtzuerhalten, ins Ausland gehen, um den Horizont zu erweitern und sich dann auch noch ehrenamtlich engagieren. Bliblablub. Ich kann’s nicht mehr hören, das ist die größte Misskalkulation aller Zeiten.

Denn blöd, dass die Semesterferien mit Klausuren und Abgaben belegt sind, dass wir gar keine Zeit für Praktika haben, dass wir verdammt noch mal ein bisschen Zeit für uns brauchen, dass wir dabei außerdem lange nicht genug Geld verdienen, um über das nächste Semester zu kommen, uns nicht sozial engagieren oder Jobs machen können, die schlecht oder gar nicht bezahlt sind.

Können Studenten nicht einfach mal Studenten sein?

Laut Duden-Definition bedeutet „studieren“ auch „einüben“ oder „einstudieren“ und impliziert damit genau das, was sagen will: Im Studium ist nicht die Leistung der Maßstab aller Dinge, sondern der Wille und die Motivation, es zu probieren und sich fachlich sowie persönlich (!) weiterzuentwickeln.

Es macht mich traurig, selbst zu erfahren, dass der Konkurrenzgedanke scheinbar schon Anfang 20 eine so große Rolle spielt. Dass man schräg angeschaut wird, wenn man es nach einer durchfeierten Nacht kaum schafft, in der Vorlesung die Augen offen zu halten, und dann trotzdem die Klausur gut meistert. Dass Noten das Maß aller Dinge sind. Dass man unterschätzt wird, weil man die Leistungen eben nicht zur Schau trägt. Sorry people, ich bin einfach niemand, der in einem Tunnel lebt und die sozialen Kontakte und spontanen Erlebnisse für eine bessere Leistung vernachlässigt. Wie war das noch mit dem gegenseitigen Gönnen? Hat das unsere Studenten-Generation vollkommen verlernt?

Wenn der Druck gewinnt

Man redet viel und sagt, dass man den Druck nicht an sich heran lässt: „Ach was, das ist gar nicht meine Welt, Hauptsache bestehen, egal wie.“ Von wegen.
Denn irgendwann kommt der Punkt, an dem man es einfach nicht mehr schafft, die Distanz zu halten und der Funke überspringt. So ging es mir dieses Semester.

Ich habe einfach kein Ende mehr gesehen in meinem Lernchaos: Jeden Tag in der Bib verbringen, Hausarbeiten schreiben, das gute Leben verpassen – mir ist einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Ständig auf der Suche nach dem perfekten Lernspot, bin ich von Café zu Café gewandert und habe Geld ausgegeben, das ich nicht hatte. In dem einen Café war die Kaffeemaschine zu laut, in dem anderen hat eine Gruppe von Hipster-Muttis zu viel gelacht, in der Bib hat mich das laute Seufzen des Sitznachbarns aggressiv gemacht. Ja, da war wirklich der Punkt erreicht, an dem gar nichts mehr ging. Congratulations, der Druck und mein Studienumfeld haben es tatsächlich geschafft, die Überhand zu gewinnen.

Nicht nur ich, sondern auch meine lieben Mitmenschen sind froh, dass das nun bald vorbei ist. Nur noch drei Abgaben to go. Der Druck fällt ab, meine Laune steigt – zum Glück. Moody Lena adé.

Bevor es im Herbst dann irgendwann mit meiner Bachelorarbeit losgeht, muss ich erst mal wieder lernen auszuschlafen, Freizeit zu haben und anderes zu sehen als die Bib oder meinen Schreibtisch. Welcome back to liiiiiife! Oder wie meine Professorin meinte: „Toll, Frau Lammers, dann können Sie endlich wieder richtig viel arbeiten.“ Äh ja, oder wie wär’s erst mal mit Urlaub?!

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