Elisa Goodkind und Lily Mandelbaum haben als Mutter-Tochter-Gespann die Internet-Plattform StylelikeU gegründet. Ihr Ziel: die Revolution unseres Schönheitsideales. Wir haben die beiden in Berlin getroffen.
„Ich bin 24/7 verletzlich”
„Warum ist dein Körper ein guter Ort zum Leben?” – mit dieser Frage schließen Elisa Goodkind und ihre Tochter Lily Mandelbaum fast jedes ihrer Video-Porträts für ihr „The What´s Underneath Project”. Eine Web-Serie, mit der die beiden 2014 nicht weniger als die Revolution der Selbstakzeptanz („self-acceptance revolution”) ausgerufen haben. Das Konzept dahinter: Menschen jeglichen Alters, Körpertyps, Geschlechts, mit unterschiedlichsten körperlichen Einschränkungen und Merkmalen, legen langsam eine Schicht Kleidung nach der anderen ab und erzählen dabei, anhand ihres Styles, Selbstbilds und ihrer Identität, ihre persönliche Geschichte: schonungslos ehrlich, bewegend und dabei gleichzeitig wahnsinnig empowernd. Die Resonanz darauf ist überwältigend. Jeden Tag erreichen Elisa und Lily Dankesnachrichten aus der ganzen Welt. Auch wir haben schon über die Video-Interviews mit Jemima Kirke und Barbie Ferreira berichtet.
Deshalb haben sich die beiden entschieden, ihre Serie 2017 global zu machen. In diesem Zuge ist das Mutter-Tochter-Gespann vergangene Woche nach Berlin gekommen. Neben mehreren Video-Porträts, die sie zeigten, haben die beiden im Rahmen des „Power Guide Salons” der Initiative „Entrepreneur the Girl” auch einen Vortrag gehalten. Und in diesem Umfeld ist die Revolution tatsächlich zu spüren: Fast alle im Raum kennen die Videos des Mutter-Tochter-Duos, schon während des neunminütigen Video-Porträts, das die beiden zu Anfang ihres Talks zeigen, entsteht ein Gefühl der Verbundenheit zwischen allen Anwesenden. Das mag abgedroschen klingen, aber den Videos wohnt diese Kraft tatsächlich inne. Der Raum in den Spree-Werkstätten mitten in Berlin wird für kurze Zeit zu eben diesem Safe-Space, den zu kreieren es Lily und Elisa auch in ihren Interviewsituationen gelingt. Viele der Anwesenden, das wird aus den Reaktionen auf den Talk hinterher deutlich, haben aus den Videos viel Kraft für ihren eigenen Weg zu einem positiven Körpergefühl gefunden.
Woran liegt das?
Die Video-Interviews erzählen die Geschichte von Menschen, die meist einen langen Weg hinter sich haben, „a messy journey” wie die beiden es beschreiben, die verletzt wurden und denen es gelungen ist, diese Verletzbarkeit in eine Stärke zu wandeln. „Sie alle haben”, sagt Lily, realisiert, dass ihre vermeintliche Schwäche und der daraus resultierende Kampf mit sich, Angehörigen und der Gesellschaft, sie zu der Person gemacht, die sie heute sind” – und die sie nun gerne sind.
„Innerhalb von drei Minuten, in denen Frauen Modemagazine durchblättern, fühlen sich 70 Prozent von ihnen schuldig, beschämt und frustriert.”
Ein Gefühl, das vor allem Lily nur zu gut kennt. Die Idee zu Stylelikeu, der Plattform hinter dem „What´s Underneath”-Projekt, kam den beiden, weil Lily selbst in ihrer Jugend starke Probleme mit ihrem eigenen Körper hatte: „Ich verbrachte einen Großteil meiner Kindheit und Jugend damit, meinen Körper zu hassen. Ich verbrachte meine Teenagerjahre damit, besessen eine Diät nach der anderen durchzuziehen, aß weniger als 700 Kalorien am Tag, in der Hoffnung, dass ich eines Tages in Skinny-Jeans passen würde. Ich hab mich selbst in diesem leeren Schönheitsideal verloren” erzählt sie in einem Video über die StylelikeU-Mission. Und genauso ehrlich spricht sie auch bei dem Gespräch in Berlin.
Lily (mitte) und ihre Mutter Elisa (rechts) in Berlin. Quelle: Stylelikeu | Instagram
Auch die Motivation für Elisa hat sich aus dem Leid ihrer Tochter ergeben. Seit den 1980er Jahren arbeitete sie als Mode-Stylistin. Während am Anfang noch der künstlerische Aspekt im Vordergrund stand, wurde ihre Arbeit immer mehr zu einem Einheitsbrei, der nur noch ein Schönheitsideal kannte – und zwar eines, das ihrer Tochter die Lebensfreude und ihr Selbstbewusstsein nahm. Deshalb entschied sie, dieses absurde Geschäft nicht mehr zu unterstützen. Stylelikeu war geboren. Am Anfang filmten die beiden mit einer Heimkamera „Closet Stories”, in denen sie Menschen mit einem Mode- und Körperstil zeigten, der in den Massenmedien keinen Platz fand. Das war im Jahr 2009.
Aber was heißt Stil für die beiden eigentlich?
„Dein Stil ist mehr als das, was du trägst. Dein Stil ist deine Geschichte.”, heißt es in ihrem Missions-Video. Und eben diese Geschichten wollen sie der Welt erzählen. Und kreieren damit einen „öffentlichen Heilungsraum” für all die schwarzen Schafe dieser Welt. Das gelingt ihnen wohl vor allem, weil sie die Unsicherheiten, Schmerzen und den Kampf kennen, den all ihre Protagonisten durchgemacht haben. Elisa und Lily gehen immer wieder mit ihren Interview-Partnern gemeinsam auf die Reise und lernen mit jeder neuen Geschichte für sich selbst etwas dazu. Es gibt eigentlich kein Video, in dem die erzählende Person nicht weint. Die Geschichten, die die Menschen in dem „What´s Underneath”-Projekt zu erzählen haben, sind schonungslos ehrlich, an vielen Stellen wahnsinnig berührend und traurig. Es sind Geschichten über häusliche und sexualisierte Gewalt, über Krankheiten, über Ausgrenzung und Demütigung. Sie zeigen, wie beschränkt und zerstörend das allgemeingültige Schönheitsideal unserer Zeit ist, das so viele Menschen ausschließt. Und trotzdem sind diese Geschichten für so viele Menschen überall auf der Welt, die mit ihrem Körper, ihrem Style, ihrer sexuellen Orientierung, ihrem Selbstbild irgendwie aus der langweiligen Reihe fallen, eine Quelle der Kraft, ein Safe-Space, der ihnen das Gefühl der Einsamkeit nehmen kann.
Und das gelingt, weil all die Menschen, die Lily und Elisa interviewen, die Revolution für sich selbst schon geschafft haben: Sie haben ihren Körper als das beste Zuhause, dass sie haben können, angenommen. Und sie sind bereit ein „öffentliches Fuck you”, an das gängige Schönheitsideal und ihre (ehemaligen) Unterdrücker zu richten. Sie sind den Weg bereits gegangen, mit dem so viele Menschen immer noch täglich hadern. Und sie sind bereit, diesen Weg nachzuerzählen und damit anderen Leuten Mut zu machen, ihn auch zu gehen.
Jeder Mensch ist schön
Nach ihren Fähigkeiten gefragt, sagt Elisa: „Das ist das, worin wir gut sind: Wir sehen die Schönheit in Menschen”. Und das stimmt. Ihre Videos zeigen, wie viele Facetten Schönheit hat, wie vielfältig unser Schönheitsideal sein sollte. Wie wunderschön Menschen sind, die sich in ihrer Haut wohlfühlen.
Sie zeigen aber auch, was unsere Gesellschaft mit Menschen macht, die nicht in unsere Standards passen. Sie zeigen all den Schmerz, den unser beschränktes Schönheitsideal auslöst – und was für unglaublich starke und wundervolle Menschen es trotzdem hervorbringt. Melinda Alexander ist eine der von Elisa und Lily porträtierten Personen. In ihrem Video-Interview sagt sie an einer Stelle: „Ich bin so froh, dass ich nicht mehr die Person bin, die ich damals war. Aber ich spüre, dass ich diese Person sein musste, damit ich jetzt an diesem Punkt sein kann.” An dem Punkt, an dem sich wohl fühlt, in ihrer Haut, an dem ihr Körper, ihr Zuhause ist.
Eine Liebeserklärung an das Internet
Diesen Kampf sprechen auch Elisa und Lily auf der Bühne in Berlin an. Auch sie haben viel Schmerz erlebt, um dort anzukommen, wo sie heute sind. Elisa räumt ein: „Ich bin 24/7 verletzlich.” Hätten sie diesen Schmerz nicht selbst durchlebt, hätten sie StylelikeU wohl nicht ins Leben gerufen. Sie haben aus ihrer eigenen Geschichte gelernt, dass es nicht darum geht, dass Menschen nicht glücklich durch Anpassung werden. Sie haben gelernt, dass es wichtig ist, Menschen darin zu bestärken, für sich und ihre Besonderheiten einzustehen.
In letzter Zeit wird viel über das Internet geschimpft, Hate Speech zum Beispiel ist ein großes Problem. Das Internet kann ein richtig hässlicher Ort sein, Body-Shaming hat online eine neue Dimension angenommen. Die Arbeit von Lily und ihrer Mutter aber zeigt die unglaubliche positive Kraft, die das Internet eben auch haben kann. StylelikeU und das „Whats Underneath”-Projekt verbinden Menschen auf der ganzen Welt, die in ihrer Offline-Welt vielleicht sehr, sehr einsam sind. Sie bieten einen Safe-Space, in dem die Vielfalt unserer Körper und Persönlichkeiten gefeiert werden. Wie wichtig das ist, zeigt auch die Veranstaltung in Berlin. Im Publikum sitzt jemand, der extra aus den Niederlanden angereist ist, um Elisa und Lily zu treffen. Alle im Raum scheinen bereit für die Revolution unserer Körperideale und unserer einschränkenden Definition von Schönheit. Und es fühlt sich ein bisschen so an, als würden alle anwesenden aus diesen 60 Minuten so viel Kraft wie möglich schöpfen, um danach wieder rauszugehen, um ihre Kämpfe weiterzukämpfen.
Auch die Frage: „Wann fühlst du dich am schönsten?”, stellen Lily und Elisa jedem ihrer Interviewpartner. Die Antworten sind so schön, berührend und vielseitig, wie die Menschen, die sie geben. Wir können wirklich jedes Video-Interview des „What´s Underneath”-Projekts empfehlen. Außerdem haben die beiden gerade ein tolles Buch herausgebracht. Und im September kommt die Berlin-Edition ihrer Porträtreihe raus. Hier findet ihr alle Videos von Stylelikeu bei Youtube. Und hier könnt ihr den beiden tollen Frauen bei Instagram folgen.
Mehr bei EDITION F
Jemima Kirke: „Liebe und Freiheit schließen sich für mich nicht mehr aus.” Weiterlesen
„Wir zerstören junge Frauen schon, bevor sie überhaupt richtig im Leben ankommen.“ Weiterlesen
„Du hast fette Arme!” – Eine Bloggerin zwischen Diätwahn und Selbstliebe. Weiterlesen