Foto: Andreas Kambanis – Flickr – CC BY 2.0

Die Techniker Krankenkasse will die Apple Watch für Mitglieder mitfinanzieren – und das ist gefährlich

Wer sich freut, dass seine Krankenkasse bald die Apple Watch mitfinanziert, liegt völlig falsch. Denn in einem Gesundheitssystem, das vermeintlich gesundes Verhalten belohnt, wird es vor allem Verlierer geben.

 

06/08/2015

Auf dem Weg in die Gesundheitsdiktatur

„Geil, die Techniker Krankenkasse will die Apple
Watch bezuschussen“, so oder ähnlich überhöre ich ein Gespräch, als ich mir heute Morgen
einen Kaffee kaufe. Ich bekomme Gänsehaut, und zwar nicht vor Freude, sondern
weil mich diese Nachricht so richtig gruselt.

Es gibt kaum einen Bereich, in dem Datenschutz so wichtig ist, wie all jene Daten, die unsere Gesundheit betreffen. Um das zu wissen, muss man nicht Juli Zehs Roman „Corpus Delicti“ gelesen haben, aber es hilft. In ihm beschreibt sie eine Gesundheitsdiktatur, in der „ungesundes“
Verhalten bestraft wird – sogar mit Gefängnis. Der Staat legt fest, was als
ungesund gilt. Soweit sind wir zwar in Deutschland noch nicht, aber die
Krankenkassen bewegen sich in diese Richtung, angetrieben von technischen Innovationen wie Health-Trackern, aber auch einem Shift in der Gesellschaft, die
immer besser weiß, was vermeintlich gesund ist – und welche Verhaltensweisen
sie nicht akzeptiert.

Dabei macht sich die Haltung breit, es sei eine gute Sache, dass Krankenkassen besonders gesunde Menschen
belohnen und ihnen beispielsweise niedrige Beiträge ermöglichen oder mit
Goodies wie der Apple Watch locken. Und das ist sowohl dumm als auch gefährlich.

Über Gesundheitstracker verlieren wir das Gefühl für den eigenen Körper

Fitness-Tracker haben auch gute Seiten, keine Frage. Über
Apps, die helfen, den Zyklus zu verfolgen, können Frauen viel über ihren eigenen
Körper lernen und zum Beispiel leichter hormonfrei verhüten. Auch Programme,
die wie ein kleines Schlaflabor funktionieren, haben einigen schon zu besserem
Aufwachen und mehr Energie für den Tag verholfen. Fitness-Tracker und
Kalorienzählen können aber auch den Einstieg in eine Essstörung bedeuten und dazu beitragen, dass wir das Gefühl für den eigenen Körper verlieren und uns
abhängig von Zahlen machen und von den Ergebnissen und Tipps, die kleine digitale
Helfer ausspucken.

Die große Gefahr, wenn Krankenkassen die
Gesundheitsüberwachung ihrer Mitglieder unterstützen, ist aber, dass sie diese
irgendwann zur Bedingung machen und diejenigen bestrafen, die sich weigern,
ihre Daten freizugeben oder sich weigern, sich nach den Vorgaben des
vermeintlich gesunden Lebens zu verhalten. Wer aktuell krank ist oder sogar
chronisch, verliert dann gleich doppelt. Und wer entscheidet, was eigentlich
als gesund gilt? Noch immer wird der BMI als Maßstab angelegt, wenn ein
gesundes Körpergewicht beurteilt werden soll, dabei ist längst bewiesen, dass
der BMI dafür kein gutes Instrument ist.

Es ist ein Denkfehler, dass wir Kontrolle über die eigene Gesundheit hätten

Es ist extrem wichtig, dass wir uns immer wieder bewusst
machen, dass Gesundheit Glück ist und auch ein Privileg. Jeden von uns kann
morgen eine Krankheit treffen oder ein Unfall passieren. Und die wenigsten von
uns haben eine echte Wahl darüber, wie gesund sie leben können. Wer wenig Zeit
für sich selbst hat, hat weniger Zeit, sich zu bewegen oder selbst zu kochen.
Wer wenig Geld hat, spart eventuell bei den Lebensmitteln oder fährt seltener in Urlaub, um sich zu erholen.

Ein Gesundheitssystem, das
diejenigen belohnt, die sich einen gesunden Lebensstil leisten können oder schlichtweg eine robuste
Gesundheit haben, ist willkürlich und unsolidarisch. 

Ein gutes Gesundheitssystem aber belohnt nicht die Gnade des
gesunden Körpers und der gesunden Seele. Ein gutes Gesundheitssystem hat die
Prämisse, dass das Leben aller Menschen gleich viel wert ist, und jeder es
verdient, medizinisch hervorragend versorgt zu werden. Die Dystopie, die sich
aufmacht, wenn wir den Einsatz von Gesundheitstrackern konsequent weiterdenken,
ist, dass jemandem in der Zukunft eine medizinische Behandlung verwehrt wird
oder er sie selbst finanzieren muss, weil er in seinen 20ern gern getrunken hat
– oder einmal gekokst. Und ein System, das die Frage stellt, ob sich eine
Behandlung lohnt oder vergeudetes Geld ist, wird irgendwann dem Kind die
Operation verwehren, dessen Lebenserwartung ohnehin nur bei drei Jahren liegt. 

Solch ein System kann niemand wollen. Ich will es nicht. Und deswegen ist die
Bezuschussung der Apple Watch ein Signal, das mir Sorgen macht.

Gesundheit ist etwas, das sich jeden Tag ändern kann. Und
ich wünsche jedem, der morgen früh krank aufwacht, dass er eine gute
medizinische Behandlung bekommt. Und das nicht, weil er in den letzten Monaten
seine Schritte per App gezählt hat, sondern weil sein Leben wertvoll ist.

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