Was muss getan werden, damit alle Menschen gleichberechtigt leben können? Unsere Chefredakteurin Teresa hat dazu fünf Fragen beantwortet.
100 Jahre Wahlrecht für Frauen in Deutschland
Am 19.1. 1919 durften Frauen in Deutschland das erste Mal wählen und sich selbst für Mandate wählen lassen. Aus diesem Anlass hat das Neon-Magazin mehreren jüngere Feminist*innen einige Fragen gestellt, darunter auch unserer Chefredakteurin Teresa Bücker. Die Serie von Neon findet ihr hier, wir veröffentlichen Teresa Antworten zudem auch auf unserer Website. Einen ausführlichen Kommentar zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“ von Teresa findet ihr zudem hinter diesem Link.
1. 100 Jahre Frauenwahlrecht: Warum braucht es immer noch Feminist*innen?
„Feministin zu sein ist zum einen ein Wert – ich glaube daran, dass alle Menschen gleich viel wert sind und daher alle gerechte Chancen bekommen sollten und nicht aufgrund ihres Geschlechts oder anderer Merkmale diskriminiert werden dürfen. Zum anderen ist die Benachteiligung von Frauen aber schlicht durch Daten nachweisbar und unstrittig. Man braucht dazu aber auch nicht einmal Feministin sein, das Grundgesetz sieht die Gleichberechtigung von Frauen und Männern vor – die Bundesregierung ist demnach verpflichtet, Gesetze zu erlassen, die zum Beispiel dafür sorgen, dass Frauen in ihren Berufen gute Gehälter bekommen und sie nicht später – und das ist aktuell die Zukunft – eklatant häufiger arm sein werden, wenn sie alt sind. Sehr arm.
Dass in Deutschland Gleichberechtigung erreicht sei, wie es sehr oft heißt, ist also völliger Quatsch. Im Feminismus geht es mittlerweile aber auch um viel mehr, als das Verhältnis von Frauen und Männern. Der so genannte intersektionale Feminismus beschäftigt sich damit, wie Mehrfachdiskriminierung wirkt. Also zum Beispiel damit, dass zugewanderte Frauen oder Women of Colour noch einmal deutlich weniger in den gleichen Jobs verdienen, als weiße Frauen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und die Rechte für zum Beispiel trans* oder intersexuelle Menschen noch immer nicht gut genug sind, dass gleichgeschlechtliche Paare noch immer nicht die gleichen Rechte haben wie Hetero-Paare oder auch mit der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. All diese komplexen, teils krassen strukturellen Formen von Diskrimierung werden uns leider noch locker ein paar Jahrzehnte beschäftigen – leider.
Die gute Nachricht: Es ist nie zu spät, feministisch aktiv zu werden. Und: alle profitieren davon. Denn auch Männer sind negativ von Stereotypen betroffen. Je mehr wir uns dagegen wehren, desto seltener werden Menschen in Schubladen gesteckt. Das mag schließlich niemand.“
2. Wofür brennst du besonders – und warum?
„Man kann auf jedes Thema eine feministische Perspektive entwickeln – sie alle sind wichtig. Ich denke jedoch, dass die wichtigsten Themen, die viele Lösungen für andere Bereiche nach sich ziehen und auch schlicht damit stark in Verbindung stehen, Armut und Gewalt sind. Da müssen wir ansetzen. Jedes Mädchen, jede Frau, hat das Recht auf ein Leben frei von Gewalt und die Zahlen dazu, wie viele Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt werden, sind einfach bedrückend. Wir alle kennen Frauen, ob wir es gerade wissen oder nicht, die Gewalterfahrungen gemacht haben – und die Täter stammen meistens aus ihrem Umfeld, oft ist es sogar der eigene Partner.
Gerade als Frauen sollten wir zudem begreifen, dass unser Wohlstand auf dem Rücken anderer Frauen ausgetragen wird: Näherinnen, die für einen Hungerlohn unsere Kleidung nähen, Putzkräfte, die unsere Wohnung reinigen, damit wir arbeiten können usw. Wenn Feminismus also globale Solidarität mit anderen Frauen und anderen Menschen bedeutet, müssen wir uns gegen jede Form der Ausbeutung stellen und gegen Armut kämpfen.“
3. Was läuft gut? Was braucht noch Veränderung?
„#metoo war sicherlich ein Erfolg. Es hat gewirkt wie ein große globale Bildungskampagne, bei der viele Menschen das erste Mal gemerkt haben, wie krass das Problem sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt eigentlich ist. Dass es keine Einzelfälle sind, sondern überall stattfindet. Und das Wichtigste: Wir haben danach über Lösungen gesprochen, wie man das verändern kann und einige davon sind auf dem Weg. In Deutschland wurde zum Beispiel im vergangenen Jahr die Istanbul-Konvention ratifiziert, auf die viele verschiedene Maßnahmen folgen müssen, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen. Dazu zählt zum Beispiel, dass diese Themen schon an Schulen behandelt werden müssen.
Zudem wird der Diskurs rund um Gleichberechtigung in der Berufswelt immer lauter. Ich denke, dass wir in den nächsten Jahren ein Gesetz für transparente Löhne bekommen werden und auch die Regelungen bezüglich Equal-Pay sich noch einmal verschärfen werden. Die Wirtschaft lernt es nicht von allein, machen wir uns da bitte nichts vor. Und in Bezug auf Familien machen wir erst Fortschritte, wenn Kinder und alleinerziehend zu sein das Armutsrisiko nicht mehr erhöht und endlich 100 Prozent der Väter mehrere Monate Elternzeit nehmen. Weit über die Hälfte der Väter nimmt keinen einzigen Monat Elternzeit – wie kann so etwas 2019 sein?”
4. Welchen Satz kannst du nicht mehr hören?
„Stellt euch vor, dass würde eurer Tochter passieren.“
5. Wer sind deine Vorbilder?
„Alle Feminist*innen. Es gibt so viele davon, ob nun schon gestorben oder noch ganz jung. Jede Person, die sich engagiert, ist wichtig, alle inspirieren mich ganz unterschiedlich und ich kann von ihnen lernen. Feminismus funktioniert nur mit Arbeitsteilung, jede*r kann das machen, was sie am besten kann und wofür sie gerade Zeit hat. Seitdem ich selbst ein Kind habe, kann ich mich weniger engagieren als vorher – und das ist okay. Wenn jede Person sich nur ein bisschen für etwas einsetzt, können wir ganz viel verändern.“
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