Berliner Dragqueens setzen mit satirischen Plakaten ein Zeichen gegen die AfD und zeigen, dass Diversität und Humor ein fester Bestandteil von Deutschland sind.
Die AfD kaputt glitzern
Am 24. September wählt Deutschland. Obwohl der Termin inzwischen in greifbare Nähe gerückt ist, ist die Stimmung im Allgemeinen von einem Gefühl der Unentschlossenheit geprägt – zu groß ist die Unlust auf eine erneute große Koalition mit vier Jahren Eiertanz, zu wackelig das Vertrauen in die Newcomer auf dem Wahlzettel.
Doch während viele hadern oder mit einer Mischung aus Resignation und Frustration den Kuschelwahlkampf von SPD und CDU verfolgen, steigen die Umfragewerte der AfD wieder an. In aktuellen Umfragen liegt die
rechtspopulistische Partei bei über zehn Prozent und würde damit mehr Wählerstimmen erhalten als FDP, Grüne und Linke. Eine erschreckend hohe Zahl, die vor Augen führt, wie schnell die Bedrohung unserer Demokratie durch eine rechtspopulistische Partei im Bundestag Realität werden könnte.
Was zu Deutschland gehört, entscheiden keine verkappten Nazis
Es bleibt zu hoffen, dass die Prognosen sich am 24. September nicht bewahrheiten. Doch hoffen reicht meistens nicht aus. Das dachte sich auch eine Freundesgruppe aus Berlin und gründete daraufhin die Satirepartei „Travestie für Deutschland“ mit dem selbsterklärte Ziel, die AfD kaputt zu glitzern. Dafür veröffentlichen sie Plakate in AfD-Optik, auf denen Dragqueens ihre Meinung zu AfD, Rechtspopulismus und Transfeindlichkeit kundtun.
Jacky-Oh Weinhaus macht klare Ansagen. Bild: Steven P. Carnarius
Während zur Landtagswahl 2016 nur Vorsitzende Jackie-Oh Weinhaus von den TfD-Plakaten herunter lächelte, folgte dieses Jahr zur eine große Kampagne. Dieses Mal zeigen insgesamt acht Dragqueens Haltung und Humor. Slogans wie „Was zu Deutschland gehört, entscheiden keine verkappten Nazis“ oder „Bitch please! Populisten sind so Berlin, 1945.“ machen die Meinung der TfD deutlich.
Pressesprecher Alexander Winter und Medienmanager Buffalo Meus haben mit uns über die Ziele der TfD, Rechtspopulismus und die Gefahr der Nichtwähler gesprochen.
Die ersten Plakate der TfD habt ihr Herbst 2016 zur Berliner
Landtagswahl veröffentlicht. Was war damals ausschlaggebend für die Aktion und die Gründung der TfD?
Alexander Winter: „Der größte Auslöser war vermutlich der Ausblick in eine Zukunft, die uns mehr als nur beunruhigt hat. Damals waren die AfD-Umfragewerte zum ersten Mal auf eine zweistellige Zahl angestiegen und der Brexit schleuderte eine ganze Nation raus aus Europa. Jeden Tag jagte eine Push-Notification des Schreckens die nächste.
Und in Berlin? Ein ewiger Frühling, Partys ohne Ende. Die Unruhe war greifbar, ein Geschmack von Weimars Ende auf den Lippen. Nach vielen Diskussionen, unzähligen Chatlogs und einem wilden Austausch von Nachrichten wurde uns klar: Es gab schon immer eine Notwendigkeit, politisch zu sein. Heutzutage hast du nur keine Chance mehr, es zu leugnen.“
Wie hat sich die TfD seitdem verändert?
Buffalo Meus: „Wenn es um die Veränderungen geht, da können wir’s relativ kurz und bündig halten: Wir werden mehr, wir werden strukturierter, wir erreichen mehr Menschen.“
Wen wollt ihr mit euren Plakaten denn erreichen? Einen AfD-Anhänger werdet ihr damit ja wahrscheinlich nicht bekehren.
Buffalo Meus: „Nein, die AfD-Gefolgschaft hört Männern im Frauengewand eher selten zu. Aber jeder zweite Wähler ist im Wahlverhalten unentschlossen, und da setzen wir an, stellen Fragen und fordern Gehirnaktivität. Die Fragezeichen in den Köpfen der Menschen zeigen Offenheit und Interesse – mit ihnen findet dann ein Dialog statt, möglicherweise auch durch unsere Aktion.“
Trump, Le Pen, Erdogan – könnt ihr bei euch im Bekanntenkreis feststellen, dass das internationale politische Klima dafür sorgt, dass wir insgesamt wieder politischer werden?
Buffalo Meus: „Diese drei Demagogen haben insofern den Diskurs angestoßen, da sie wie Menetekel vor einem deutschen Pendant warnen, das keinen Respekt vor der abweichenden Meinung zeigt. An ihrer Popularität lässt sich auch messen, wie stark die Aktienwerte für Argumente, Fakten und Geschichtsbewusstsein gefallen sind. Eine positive Bewertung dieser Strömung können wir nicht feststellen, weder im Freundeskreis noch in den Medien.“
Alexander Winter: „Wir spüren dafür aber ganz klar, dass eine Verschiebung stattfindet, eine Art der Erschütterung. Da sind lauter kleine Risse, die sich durch Bekannten- und Freundeskreise ziehen. So sind plötzlich jahrelange beste Freunde entsetzt voneinander, weil der eine die AfD unterstützt. Menschen, die seit Jahren jede Wahl kategorisch ausgeschlossen haben, fragen heute auf einmal, wen sie wählen sollen. In Deutschland entwickelt sich etwas, das wir gerade jetzt ganz dringend benötigen – eine Streitkultur.“
Laut Prognosen werden trotzdem 25 bis 30 Prozent der Wahlberechtigten am 24. September nicht wählen gehen. Habt ihr dafür eine Erklärung?
Buffalo Meus: „Uns fallen die falschen Wimpern aus dem Gesicht, wenn wir an 18 Millionen Nichtwähler denken – das entspricht der Gesamtbevölkerung Ostdeutschlands plus Berlin. Dabei gibt es viel zu verlieren, vor allem unser Gesicht: Deutschland hat seit Hitlers Tagen keine völkisch-nationale Partei mehr ins Parlament gewählt. Selbst wenn der AfD gerade hohe Ergebnisse vorhergesagt werden, sind das prognostizierte Zahlen, die unter die 5-Prozent-Hürde rutschen könnte, wenn sich mehr Nichtwähler ihrer Verantwortung bewusstwürden.“
„Uns fallen die falschen Wimpern aus dem Gesicht, wenn wir an 18 Millionen Nichtwähler denken“
Alexander Winter: „Es gibt für Politikverdrossenheit leider sehr viele Erklärungsansätze. Das beginnt damit, dass viele Menschen tatsächlich nicht „abgeholt“ wurden; diese Leute hat man allein gelassen in ihren Dörfchen und Städtchen, und jetzt verstehen die den ganzen Zirkus nicht. Es ist ja gefühlt auch jedes Mal dasselbe. Gefühlt verändert sich nix, im Gegenteil. ‘Es wird ja alles immer schlimmer’.
Für die meisten ist Politik furchtbar anstrengend und kräftezehrend, völlig unverständlich und fern der eigenen Realität. Der Wahlkampf, der sich vor allem durch Inhaltsleere hervortut – durch kleinliche Grabenkämpfe, einen absurden Personenkult und die Aufrechterhaltung eines sehr wackligen Status Quo – naja, das hilft natürlich auch nicht.“
Die AfD gilt immer noch als Protestpartei um „denen da oben” zu zeigen, dass man mit dem bisherigen politischen Kurs nicht einverstanden ist. Was möchtet ihr Menschen, die diese Meinung teilen mitgeben?
Buffalo Meus: „Protest halten wir prinzipiell für legitim. Uns ist ja auch kein Mensch bekannt, der an Schwarz-Rot nicht rumnörgelt. Vielmehr interessiert doch, weshalb jemand die AfD ankreuzt. Keiner von denen gibt zu: Ich betrachte Frauen als minderwertig, ich benachteilige Kinder alleinerziehender Mütter, ich bin Antisemit – obwohl ihr Kreuz bei der AfD auf all dies schließen lässt. Anhängern dieser radikal-reaktionären Bewegung haben wir nichts mitzugeben, außer: Kommt mal endlich klar.“
Alexander Winter: „Protest ist dann sinnvoll, wenn er sich auf konkrete Dinge richtet. Die Deutschen wählen aus Protest, weil ihre Befindlichkeiten gestört sind. Man hat ihnen einen Ozean an Sorgen und Ängsten geschaffen und darin planschen sie und toben. ‘Wenn der Moslem kommt, nimmt er dir alles weg’, ‘Wenn die Homos heiraten dürfen, ist die Ehe weniger wert’, ‘Wenn die Frau nicht hinter dem Herd steht, fällt dem Mann der Penis ab’.
„Wenn die Frau nicht hinter dem Herd steht, fällt dem Mann der Penis ab.“
Dass sie schon seit Jahren hätten protestieren, längst einen Dialog hätten suchen können, wollen sie heute nicht mehr hören. Es ist zu einfach, dem rechtspopulistischen Erklärungsschema zu folgen, da es komplexe Sachverhalte so sehr reduziert, dass sie mundgerecht werden. Leider bleiben dann die Fakten
auf der Strecke.
Wir haben außerdem bemerkt, dass wir diesen Menschen zum Großteil gar nichts mehr mitteilen können. Die Frustrierten, die Zornigen sind nicht zugänglich für rationale Argumente und einen logischen Diskurs. Das macht sie ja so gefährlich.“
Die Kampagne wird gerade viel diskutiert und gelobt. Erreichen euch auch negativen Reaktionen?
Buffalo Meus: „Eigentlich nicht. Natürlich versuchen AfD-Wähler und -Sympathisanten, uns mit Hasskommentaren das Leben schwer zu machen, aber unser neuer TfD-Freundeskreis kümmert sich rührend um sie. Vor allem ältere Frauen engagieren sich um die Verblendeten; sie sind unerwartete Verbündete im Kampf gegen Kleingeister.“
Ihr antwortet mit Humor auf Hass und Hetze. Ist ein konstruktives Gespräch mit AfD-Sympathisanten nicht möglich?
Buffalo Meus: „Wie redet man konstruktiv mit Menschen, die sich von Vielfalt eingeengt und von Gleichberechtigung abgewertet fühlen? Nein, das haben wir aufgegeben, wir erreichen keine AfD-Wähler, das war auch nie unser Ziel. Die Satire hingegen bietet die Möglichkeit, die postfaktischen Argumente der Verbitterten unterhaltsam zu imitieren. Es herrscht unter unseren Facebook-Followern stets heiteres Tuntengelächter.“
„Satire bietet die Möglichkeit, die Argumente der Verbitterten unterhaltsam zu imitieren“
Alexander Winter: „Nichts vermag einen wütenden Populisten in seiner Angstargumentation mehr zu erschüttern, als ein Lachen aus vollem Halse. Es ist das beste Gegengift.“
Welche Themen möchtet ihr in Zukunft öfter im politischen Diskurs vertreten sehen und warum?
Buffalo Meus: „Wir sind der Überzeugung: Schaut dem Volk aufs Maul, morgens um sieben Uhr! Fragt die Pendlerin, die Putzkraft, die Transe. Alle sorgen sich um den Erhalt des Arbeitsplatzes, um medizinische Versorgung oder die Pflege ihrer Angehörigen. Die Berliner Republik und deren Leitmedien hingegen lassen sich seit Jahren von Populisten die Stichworte diktieren: Islamisierung, Flüchtlingskrise, Untergang des Abendlandes – komplett irre, völlig unnötig.“
Alexander Winter: „Wir müssen auch homo- und transfeindliche Gewalt öffentlich im politischen Diskurs diskutieren. Ebenso wie den zermürbenden Hickhack, den Transpersonen immer noch in diesem Land durchstehen müssen, um endlich das Geschlecht leben zu dürfen, das sie für sich wählen. Die Ehe für alle hat nicht alle Gräben geschlossen, die in diesem Land seit Jahren existieren. Im Gegenteil.“
Wird sich die TfD in vier Jahren selbst zur Wahl stellen?
Buffalo Meus: „Wenn man uns noch mal einen Wahlkampf mit Schulzes ‘Mehr Gerechtigkeit’ oder Merkels ‘Weiter so’ antut, bleibt uns nichts anderes übrig. Also reizt uns nicht!“
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