Foto: Tomek Nacho – Flickr – CC BY-ND 2.0

Warum es zu einfach ist, den Brexit auf einen Generationenkonflikt zu reduzieren

Die Abstimmung ist vorbei und die Entscheidung ist gefallen. Doch wie bei einer Scheidung kann eine Trennung ein erfolgsversprechender Neubeginn sein.

 

Der Schock am Freitagmorgen

Seit zwei Tagen kämpfe ich mit mir, ob ich dieses Thema als Montagsgedanken bringen soll. Es geht um den Brexit, das Ergebnis der Abstimmung über den Austritt aus der EU der Briten. Ich fiel am Freitagmorgen aus allen Wolken, als mein frühaufstehender Göttergatte mich mit dem Ergebnis weckte. Sofort war ich traurig und dachte an meine englischen, walisischen und schottischen Freunde und wie es ihnen jetzt geht. Ich dachte an die tolle Zeit, die ich immer in London, Swansea oder Schottland hatte. An das weltoffene London, wo ich mir immer vorkam wie eine kleine Landpomeranze, wenn ich mit der Tube vom Flughafen in die Innenstadt fuhr. Lauter typische unpolitische Überlegungen, denn ich bin keine politische Redakteurin. Ich beschäftige mich mit den schönen Dingen des Lebens, die Spaß und Freude machen. Doch eine Frage lies mir keine Ruhe: Was ändert sich jetzt für uns im Alltag?

Zunächst einmal kaum etwas, Großbritannien gehörte bisher nicht zum Schengenraum und hatte sein Pfund als Währung. Also wir werden weiterhin bei der Ankunft in London unseren Pass zeigen und Geld tauschen. Ich bin als Kind mit drei Geldbeuteln groß geworden, wir hatten immer Lire und Deutsche Mark zu Hause und für die Fahrt zwei den beiden „Heimaten“ einen Geldbeutel mit österreichischen Schillingen. Im Winter wurden Liftkarten damit bezahlt und im Sommer Mautgebühren. Das Umrechnen ging wie im Schlaf und das Einkaufen im Ausland war ein klein bisschen spannender.

Heute morgen las ich auf travelettes.net den Beitrag einer jungen Journalistin, die in London studiert und gelebt hat und ebenso enttäuscht ist über den Ausgang der Abstimmung wie ich. Doch die Kommentare darunter geben mir zu denken, denn sie sind so vielfältig und geben die Meinungen ungefiltert wieder. Eine Dame um die 70 Jahre schreibt, dass sie und ihr Mann dafür waren, jedoch ihre Nachbarn, eine Familie in den Dreissigern, einheitlich mit Nein gestimmt hätten. Die Kommentare unter dem Post sind so vielfältig wie die Meinungen der Menschen, die über den Austritt abgestimmt haben.

Vorwürfe der Jugend gegen die Generation 50+

Vielfach wird der Generation 50+ vorgeworfen, einheitlich mit nein gestimmt zu haben und die Jugend, die das Ergebnis weit mehr betreffe, sei nicht gehört worden. Wie die FAZ berichtet, haben die unter 45 Jahre alten Wählerinnen und Wähler deutlich für einen Verbleib des Vereinten Königreichs in der EU votiert, während die Älteren dagegen stimmten, und zwar mit umso größerer Wahrscheinlichkeit, je älter sie waren. Werden wir mit zunehmendem Alter immer misstrauischer? Nein und das beruhigt. Zwar hat die Altersgruppe von bis zu 45 Jahren einen Anteil von 45 Prozent an den rund 46,5 Millionen Wahlberechtigten, jedoch gingen nur 35 Prozent dieser Altersgruppe zur Urne. Noch dazu fand die Abstimmung an einem Donnerstag statt, an dem die Meisten der Jüngeren arbeiten müssen. Allerdings passte diese Altersgruppe auch bei der Briefwahl. 

Doch das ist jetzt der falsche Zeitpunkt auf diese Altersgruppe einzuprügeln. Job, Kinder, alleinerziehend, schlechte Ausbildung, keine Zukunftsaussichten, die Facetten sind vielschichtig. Zu vielschichtig, um verlässlich zu beurteilen, warum in dieser Altersgruppe die Wahlbeteiligung so schwach war. So entschied die Altersgruppe 45+ (Gesamtanteil an allen Wahlstimmen 55 Prozent) diese Wahl. Doch es ist zu einfach, das Ganze auf einen Generationenkonflikt zu reduzieren. Die Bemerkung, dass die jungen Leute bis 45 Jahren bei mehr Beteiligung leicht die Wahl für sich entscheiden können, ist mehr als fadenscheinig, wenn man sich das enge Ergebnis ansieht.

Land gegen Stadt

Schon läuft eine neue Petition, die Abstimmung zu wiederholen. Stadt gegen Land, so sieht es aus. Immerhin haben knapp 60 Prozent der Wähler in London gegen den Austritt gestimmt. Hier ist auch der Unmut über das Ergebnis am größten. Die BBC hat das Ergebnis nach Wahlkreisen dargestellt, demnach haben sich die Wahlkreise in Ost- und Südengland meist gegen die EU entschieden. Die meisten Befürworter des Brexits finden sich in England und Wales, aber auch in größeren Städten wie Sheffield und Birmingham. In Boston in Lincolnshire an der Ostküste haben über 75 Prozent für den Austritt gestimmt. Das macht sprachlos und zeugt von einer intensiven Parteipolitik. Denn mehr kann es nicht sein – denn wieso stimmt eine Stadt mit einer so überwiegenden Mehrheit für den Austritt?

Die Frage bleibt offen, ebenso wie die Frage nach der politischen Zukunft von Schottland, Gibraltar und Nord-Irland. Hier gab es auch ein überwältigendes Votum Pro-Europa. In südlichen Gibraltar stimmten 94,7 Prozent für den Verbleib, kein Wunder bei der geographischen Lage. Am äußersten Südzipfel Spaniens hängend, hat Gibraltar auch kaum eine andere Chance, als gemeinsam mit Nachbar Spanien zur EU zu gehören. Diffiziler ist da schon die Stellung Schottlands gegenüber England. Schon beim Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich 2014 ging es sehr knapp aus und die Abspaltung von Großbritannien wurde gerade noch verhindert, beziehungsweise von den Schotten mit dem Hinweis auf eine Mitgliedschaft in der EU akzeptiert. Doch nun stellt dieses Votum auch das Referendum in Schottland in Frage, Schottland stimmte mit überwältigender Mehrheit für den Verbleib. Alleine in Edinburgh stimmten 74,4 Prozent gegen den Brexit und dafür, in der EU zu bleiben. Und damit schließt die Bevölkerung von Edinburg den Kreis mit der City of London. Hier stimmten 75,3 Prozent für den Verbleib. Und diese Gemeinsamkeit in der Ablehnung des Austritts sehe ich als Hoffnungsschimmer an: Vielleicht schließen sich beiden führenden Städte in England und Schottland zusammen, um gemeinsam eine akzeptable Lösung für die Trennung von der EU zu finden.

Deshalb lasst uns mehr auf  Gemeinsamkeiten achten, die uns verbinden, als auf Unterschiede, die uns trennen.

Titelbild: Tomek Nacho – Flickr – CC BY-ND 2.0

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