Ich werde niemals Kinder bekommen. Dank anderer mutiger Frauen (ob kinderlos oder Mutter), die offen und ehrlich über ihren Alltag sprechen, habe ich gelernt, mit meinem eigenen Schicksal umzugehen.
Egal, ob mit oder ohne Kind: Frauen werden stigmatisiert
„Die freiwillig Kinderlose muss sich für Ihren Lebensweg rechtfertigen.”, „Eine Mutter darf sich nicht über weniger tolle Tage mit ihrem Nachwuchs beschweren.” Solche Vorstellungen höre ich immer wieder. Und es macht mich traurig und wütend. Für mich, deren Kinderwunsch unerfüllt blieb, waren es nämlich genau diese ehrlichen Frauen, die mich bei meinem Weg in eine positive Zukunft maßgeblich unterstützt haben. Statt Schuldzuweisungen verdienen sie deshalb von mir: Respekt und Dankbarkeit!
„Andere würden gerne Kinder bekommen und können nicht – denk mal darüber nach.“ Diejenigen, die so etwas zu meiner Freundin Lena sagen, haben vielleicht das Gefühl, in meinem Namen zu sprechen – aber das tun sie nicht , so gar nicht! Schon, weil ich es generell anmaßend finde, meine Freundin für Ihre kinderlosen Pläne zu verurteilen. Und weil unterschwellige Vorwürfe wie dieser sie sehr verletzen.
Es geht auch ohne Kind – das musste ich lernen
Ja, sie will bewusst keine Kinder. Ich dagegen wollte welche, musste mich aber nach sechs Fehlgeburten von meinem Familientraum verabschieden. In dieser schweren Zeit war Lena für mich da und hat mir immer wieder Kraft gegeben. Warum? Weil sie mir deutlich machte, dass sie ein Leben mit Kind nicht als den ultimativen und einzig erfüllenden Weg zum Glück verstand. Für sie war es selbstverständlich, dass ihr kinderloses Leben erstrebenswert und vielversprechend sein würde. Was hätte mir in Momenten meiner tiefen Trauer und Verzweiflung mehr Hoffnung machen können?
Sie half mir, Stück für Stück, die Perspektive zu wechseln und an eine glückliche Zukunft zu glauben, ohne Kind. Und nein, mein Leid hätte sich in der Vergangenheit nicht gemindert, wenn sie stattdessen ein Kind bekommen hätte. So nach dem Motto: „Dann mach du wenigstens, weil du es halt kannst” – was macht das für einen Sinn?
Ein Kind bedeutet nicht das ultimative Glück
Nein, es waren nie die Frauen wie Lena, die mich während der Kinderwunschzeit aus der Bahn warfen. Da gab es andere Situationen. Die Nachuntersuchung nach meiner vierten Fehlgeburt zum Beispiel. Ich saß im Wartezimmer meiner Frauenärztin. Auf einem kleinen Tisch in der Ecke des Raums lag ein Stapel Zeitschriften. Ich fischte mir eine heraus und begann zu blättern.
Seite drei: „Die Krönung Ihrer Liebe! So genießen Fürst Albert und seine Charlène ihr zweifaches Babyglück.” Ich las quer: „Charlène (…) das Warten hat ein Ende! (…) das vollständige Glück …” Ich blätterte weiter: „Beyoncé endlich schwanger! So stolz präsentiert sie ihre Babykugel.” Solche Magazine konnten meine Trauer über eine weitere, gescheiterte Schwangerschaft um ein vielfaches erhöhen. Diese Medien glorifizieren die Mutterschaft derart, dass man es eigentlich nur als „DAS Ziel” einer Frau begreifen kann.
Schwangerschaften werden hier mit den Worten „endlich“ und „vollständig“ vermeldet. Eine Frau, die wiederum – aus welchen Gründen auch immer – keinen Nachwuchs vorweisen kann, gilt als bedauernswert. Gleichzeitig wird darüber spekuliert, was bei ihr nicht stimmen könnte. Nachwuchs-Wartezeiten von frisch verheirateten Paaren wurden von den Zeitschriften erst garnicht nicht toleriert.
Kinder gelten als Ziel jeder Frau
Eine Therapeutin, die mich während meines letzten Krankenhausaufenthalts betreute, sagte mal zu mir: „Sie müssen wissen, dass die Menschen nicht automatisch glücklicher sind, nur weil sie Kinder haben.“ Bei ihr klang das überzeugend. An manchen Tagen war ich mir sogar sicher, dass sie recht hatte. Dann hatte ich Hoffnung, dass ich als Kinderlose nicht mein Leben lang zu leiden hätte. Dass auch ich einen guten Grund zur Vorfreude auf eine zufriedene Zukunft haben konnte. Aber schon drei angelesene Zeitschriften konnten mich zum Zweifeln bringen. Seite 13: „Riesenfreude bei den Neureuthers! Nun ist Ihr Glück perfekt – das ist Ihre schönste Osterüberraschung!”
Ich legte die Zeitschrift zur Seite und griff nach einer neuen. Ah, Jennifer Aniston, die finde ich cool. Sie sieht super aus, steht mitten im Leben. Bildunterschrift: „Ist dieses Lächeln nur Fassade? Wie lange leidet Aniston noch unter ihrem unerfüllten Kinderwunsch?”
Auch Mütter müssen ehrlich sein können
Wie froh war ich, wenn mich nach Momenten wie diesen meine Freundin Klara anrief. Klara war seit zwei Jahren Mutter und liebte ihre kleine Tochter. Das verschwieg sie mir genauso wenig, wie die Tatsache, dass sie ihre neue Rolle auch hin und wieder sehr anstrengend fand. „Boa, die Kleine wollte gestern nicht schlafen – ich bin fix und fertig“. Ich mag ihre Ehrlichkeit. Nicht, weil ich mich dadurch in einer besseren Lage wähne. Das ist auch nicht der Grund, warum Klara mir von ihren nervige Tagen erzählt. Ihr geht es nicht darum, dass jemand sich in seiner Situation besser oder schlechter fühlen soll. Sie erzählt mir davon, weil sie mich als Freundin schätzt. Genauso wie ich sie.
Und weil sie von einigen Müttern für ihre Offenheit gedisst wird: „Aber hör mal, die Kleine macht dir doch auch sicher große Freude“. Jedes Mal hatte Klara nach solchen Bemerkungen ein schlechtes Gewissen. So, als hätte sie ihre kleine Tochter verraten. Bei mir konnte sie ihren Frust abladen, ohne, dass ich sie dafür maßregeln würde. Und ganz nebenbei halfen mir ihre Alltagsberichte, mich von einer einseitigen Sichtwiese zu befreien. Sie machte mir klar, dass es auch in ihrem Leben weiterhin gute und schlechte Zeiten gab. Wie tröstlich für mich. Wie entlastend, nachdem ich mich gerade wieder fragen musste, ob ich mich an ewige Dunkelheit gewöhnen müsste. Es war Klara, die unser beider Leben wieder auf ein Level brachte. Sie hatte das Kind, das ich nicht hatte – ich die Freiheit, nach der sie sich nicht selten sehnte. Sie konnte mir von ihren Sorgen erzählen, ich ihr weiterhin von meinen.
Zusammen, egal wie unterschiedlich die Lebensentwürfe sind
Das Ziel, nicht nur in schwarz oder weiß zu denken, teilten Klara und ich übrigens schon seit ihrer Schwangerschaft. Sie ist nicht nur meine Freundin, sondern auch Kollegin. Und so standen wir vor drei Jahren einer heiklen Situation gegenüber. Ich hatte gerade meine OP nach der sechsten Fehlgeburt hinter mir, als sie mir von ihrer ausbleibenden Regel erzählte. Wir wussten, dass eine herausfordernde Zeit auf uns zukommen würde, aber wir wollten sie gemeinsam meistern. Und wieder war es nicht Klara, die mir das Leben schwer machte. Kaum hatte sie die Botschaft offiziell im Haus verkündet, bekamen wir täglich Besuch in unserem Büro.
„Klara! Wie toll! Hach, genieß’ das! Als ich meine Tochter bekam, war das die schönste Zeit meines Lebens“, jubelte die Assistentin des Verlagschefs. Ich arbeitete mittlerweile vier Jahre in meinem neuen Job als Redakteurin und konnte mich nicht erinnern, dass sie vorher jemals bei uns im Büro war. „Wow, die schönste Zeit meines Lebens”, dachte ich und kämpfte mit den Tränen. Der Kollege aus der Buchhaltung hatte eine weitere Botschaft: „Lass es dir zu Hause so richtig gut gehen – die Gelegenheit, eine zeitlang nicht arbeiten zu müssen hast du wahrscheinlich nur ein einziges Mal im Leben …“
Danke an all die ehrlichen Frauen!
Ich saß da, starrte auf meinen Rechner und murmelte immer den gleichen Satz: „Sie müssen wissen, dass die Menschen nicht automatisch glücklicher sind, nur weil sie Kinder haben. Sie müssen wissen, dass die Menschen nicht automatisch glücklicher sind, nur weil sie Kinder haben. Sie müssen wissen …” Natürlich konnte ich meinen Kollegen keine Vorwürfe machen. Sie wussten nichts von meiner Geschichte. Deshalb waren ihre eindeutigen Prophezeiungen nicht weniger schmerzhaft. Und wäre Klara nicht gewesen, hätte ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich eine Kündigung in Betracht gezogen: „Man ey, gestern war mir so schlecht, ich hab’ dreimal gereihert. Gehört das jetzt auch schon zu der schönsten Zeit meines Lebens?“ Wir lachten, als alle den Raum verlassen hatten. Nicht schwarz, nicht weiß.
Danke dafür, Klara. Danke, Lena. Und danke an alle Klaras und Lenas dieser Welt. Ihr wart es, die einen großen Teil dazu beigetragen habt, dass ich heute glücklich und zufrieden bin. Und ich bin mir sicher, dass ihr auch anderen Frauen in meiner Situation helfen konntet. Vielleicht ermutigt euch dieses Wissen weiterhin so offen zu sein. Das würde ich mir jedenfalls sehr wünschen. Genau wie eine differenziertere Berichterstattung vieler Zeitschriften. Wobei der letztere Wunsch wohl ein frommer bleiben wird …
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