Foto: Christoph Küenzi

Halbherzige Maßnahmen reichen nicht: Unternehmen brauchen eine radikale Innovationsstrategie

Wie platzieren wir neue Ideen und Denkweisen in einer Welt, in der Innovationen so schnell zum Allgemeingut werden? Jean-Philippe Hagmann zeigt in seinem Buch „Hört auf Innovationstheater zu spielen!“ wie große und kleine Unternehmen radikal innovativ werden können.

Was soll das ständige Innovationstheater?

Unter Innovationstheater versteht der Autor Jean-Philippe Hagmann den erfolglosen Versuch, die Innovation in einem Unternehmen anzugehen. Oftmals halten die entsprechenden Maßnahmen und Strategien nicht, was sie versprechen und bauen nur eine Fassade auf. Schließlich beinhaltet Innovation weitaus mehr als Workshops, Software und Innovation Labs.

Mit zahlreichen Anregungen, Skizzen und Bildern zeigt Jean-Philippe Hagmann, welche Herausforderungen Unternehmen meistern müssen, um radikale Innovationen zu generieren. Dabei geht es nicht um erfolgsversprechende Methoden oder neue Werkzeuge, sondern viel mehr darum, ein Ökosystem zu bauen, das mehr Raum für neue Denkmuster zulässt.

Hagmann verwendet in seinem Buch nur eine grammatikalische Form: Das generische Femininum. Angesicht der aktuellen Debatte um gendergerechte Sprache, will er damit ein Zeichen setzen. Außerdem würden Frauen eine sehr wichtige Rolle im Innovationsprozess spielen. Ein Buch für alle, die an Innovationen und neuen Geschäftsmodellen, interessiert sind. Wir stellen euch einen Auszug daraus vor:

Zwei verschiedene Welten

Richard Bartle, britischer Autor, Professor und Forscher auf dem Gebiet der Computerspiele, hat 1996 den sogenannten Bartle-Test entwickelt, anhand dessen Spielerinnen von Videogames in vier unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden können. Diese Spielertypen nennt Bartle wie folgt: Achieverinnen möchten im Spiel nach konkreten Maßstäben möglichst viel erreichen (über Levels, Punkte und Ranglisten). Explorerinnen versuchen, möglichst viel zu entdecken oder zu erkunden. Dazu zählen sowohl Gegenden, Geheimgänge, besondere Aufgaben, Grenzen und Fehler in der virtuellen Welt als auch die Funktionsweise der Spielmechanik. Socialiserinnen streben Kontakte und Interaktionen mit anderen Spielerinnen an.

Killerinnen streben nach Wettbewerb, Wettkampf und Konflikt mit anderen Spielerinnen.
Quelle: Illustration von Jean-Philippe Hagman

Diese Typologie kann man sehr gut auch auf den Geschäftsalltag projizieren. In der in fast allen Unternehmen vorherrschenden Kultur der Effizienz sind vor allem die Achieverinnen gefragt. Sie kennen das Spiel, die Regeln und das Ziel und haben einen starken Ehrgeiz, innerhalb dieses Rahmens die besten zu sein. Lässt das Spiel dabei unfaire Handlungen zu, sind die Achieverinnen bereit, diese anzuwenden, solange sie so mehr erreichen können.

Achieverinnen sind ordentlich, konservativ, zuverlässig und verantwortungsbewusst. Sie denken in klaren Ursache-Wirkungs-Ketten und schätzen hierarchisch gegliederte Organisationen. Mit ihrem hohen Sicherheitsbedürfnis stehen sie Veränderungen abwehrend gegenüber.

Auch die Killerinnen trifft man in unserer Wirtschaft öfters an. In der leider noch männerdominierten Arbeitswelt gilt das Kräftemessen als Tugend. Beide Spielertypen haben ein ganz konkretes Ziel vor Augen und suchen nach dem besten Weg, dieses zu erreichen.

Die Explorerinnen sind diejenigen Gamerinnen, die bei Super Mario Bros. in jedem Land die Spielzeit ausreizen, um bei jeder Röhre nach einem möglichen Geheimversteck zu suchen. Es sind diejenigen Spielerinnen, die Freude an den Details haben und die das Game-Design bewundern. Im Geschäftsalltag sind die Explorerinnen in der Regel nicht die schnellsten Mitarbeiterinnen. Nicht weil sie nicht schnell sein könnten, sondern weil es nicht ihr Ziel ist, schnell zu sein. Ihr Ziel ist, Alternativen zur gängigen Praxis zu finden und Grenzen auszuloten. Erhalten sie einen Auftrag, so stellen sie häufig erstmals den Auftrag selbst infrage. Sie sind konzeptorientiert, kreativ und sachlich. Explorerinnen lieben es, zu lernen, ohne dass sie bereits wüssten, wofür sie etwas lernen. Sie denken typischerweise in Analogien und fühlen sich in Hierarchien unwohl. Veränderungen sind für die Explorerinnen etwas Spannendes.

Für Socialiserinnen machen Videogames nur dann Spaß, wenn sie im Multiplayer-Modus gespielt werden. Und dann auch viel lieber als Team und nicht als Gegnerinnen. Im Berufsalltag ist für eine Socialiserin vor allem der Kontakt zu Mitarbeiterinnen und zu Kundinnen wichtig. Fühlt sich eine Socialiserin in einem Team wohl, dann ist die Arbeit an und für sich zweitrangig. Sie verfügt über eine hohe Empathie und kann so ein Team auch in schwierigen Zeiten zusammenhalten. In einer Wirtschaft, die hauptsächlich nach Effizienz strebt, fühlen sich Socialiserinnen häufig fehl am Platz.

Das klassische Management, das darauf bedacht ist, mit möglichst wenigen Ressourcen einen möglichst hohen Nutzen zu stiften, stellt am liebsten Achieverinnen ein. Die Killerinnen sind zwar nicht zu empfehlen, werden aber in der Rekrutierung häufig fälschlicherweise als Achieverinnen wahrgenommen. Die andern beiden Typen, die Explorerinnen und die Socialiserinnen, fühlen sich in einer klassischen, hierarchischen Unternehmenskultur nicht wohl und werden auch vom Unternehmen eher als effizienzstörend empfunden.

Rufen wir uns aber noch einmal die Definition von Innovation aus dem ersten Kapitel vor Augen, so braucht es drei unterschiedliche Phasen:

Quelle: Illustration von Jean-Philippe Hagman

Nur in der dritten Phase, bei der Umsetzung, haben wir es mit einer klar definierten Aufgabe und mit einem bekannten Ziel zu tun. Hätte diese Phase ein Motto, so könnte dieses so lauten: „Wie machen wir es richtig, sicher, qualitativ hochstehend und effizient?“ Das heißt, nur hier spielt die Effizienz eine wichtige Rolle.

Ganz anders sieht es in der Entdeckungsphase aus. Hier könnte das Motto wie folgt lauten: „Was ist das richtige Es?“ In dieser Phase suchen wir nach dem Ziel. Effizienz und alle damit verbundenen Managementmethoden sind hier hinderlich. Es ist die Welt des Lernens und Entdeckens. Es ist die Welt, in der sich die Explorerinnen pudelwohl fühlen. Und was ist mit den Socialiserinnen? Je nachdem, wie die Menschen um sie herum sind, können sie sich sowohl in der Entdeckungs- und Brückenphase als auch in der Umsetzungsphase zu Hause fühlen.

Aus wirtschaftlicher Sicht macht aber ihr Einsatz in der Entdeckungsphase durchaus Sinn. Denn wie eine 2010 durchgeführte Studie gezeigt hat, läuft ein Team erst dann zu kreativer Hochform auf, wenn es zu einem großen Teil aus Socialiserinnen besteht.

In dieser von US-Wissenschaftlern vom MIT Center for Collective Intelligence durchgeführten Studie, an welcher knapp 700 Testpersonen teilgenommen haben, wurde untersucht, was einen hohen Gruppen-Intelligenzfaktor ausmache. Es ging also um die Frage: „Was macht eine Gruppe klug und kreativ?“ Das Verblüffende an ihrem Ergebnis war, dass weder der durchschnittliche IQ der einzelnen Gruppenmitglieder noch das Gruppenmitglied mit dem höchsten IQ für eine hohe Gruppenintelligenz ausschlaggebend war. Stattdessen waren die drei wichtigsten Faktoren: die Anzahl der Frauen in einer Gruppe, die soziale Sensibilität der Mitglieder und der gegenseitige Austausch.

In dieser Studie, welche im Wirtschaftsmagazin Science publiziert wurde, halten die Forscher folgende Faustregel fest: Je mehr Frauen eine Gruppe hat, desto intelligenter und kreativer wird sie. Das Leistungsoptimum lag bei einem Frauenanteil von 80 Prozent. Ausschlaggebend sei aber nicht zwingend das Geschlecht, sondern das soziale Fingerspitzengefühl. Dieses ist, sorry liebe Männer, bei Frauen in der Regel weitaus stärker ausgeprägt. Wenn wir also die drei Faktoren von soeben wie folgt umschreiben: hohes soziales Fingerspitzengefühl und soziale Sensibilität sowie das Fördern eines fairen gegenseitigen Austausch, dann sind das alles Eigenschaften der Socialiserinnen.

Für die Entdeckungsphase ist es also von Vorteil, Socialiserinnen mit Explorerinnen zu mischen. Wie wir übrigens weiter hinten im Buch noch sehen werden, spielen die Socialiserinnen nicht nur in der Entdeckungsphase, sondern insbesondere in der Brückenphase eine zentrale Rolle.

Nun noch ein paar wenige Worte zu den Killerinnen. Diese sind für das Entwickeln von radikalen Innovationen zwar nicht notwendig, aber sie können durchaus einen positiven Effekt in der Entdeckungsphase haben. Und zwar dann, wenn sie ihren Killer-Mindset nicht auf die Teamkolleginnen, sondern auf konkurrierende Unternehmen oder sogar auf das Mutterunternehmen richten. Ganz nach dem Motto: „Lasst uns eine neue Lösung finden, mit der wir selbst für unser eigenes Unternehmen hochgefährlich wären!“

Quelle: Illustration von Jean-Philippe Hagman

Nun muss aber eine Unternehmenswelt, in der sich sowohl die Explorerinnen als auch die Socialiserinnen wohlfühlen und ihr ganzes Potential ausschöpfen können, ganz anders gestaltet werden als die uns heute so bekannte Welt des klassischen Managements. Es braucht also zwei Welten für ganz unterschiedliche Menschentypen. Die alte Welt ist so aufgebaut, dass sie möglichst effizient funktioniert. Die zweite, neue Welt hingegen so, dass deren Bewohnerinnen zu neuen, radikalen Lösungen gelangen.

aus: „Hört auf Innovationstheater zu spielen! Wie etablierte Unternehmen wirklich radikal innovativ werden“, Verlag Franz Vahlen München, 28. Februar 2018, 317 Seiten, 24,95 Euro

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