Foto: Eddie Kopp | Unsplash

Wie mein Job mich krank machte und ich lernte auf meinen Körper zu hören

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass sich mein Leben schlagartig verändert hat. Damals habe ich mir nichts mehr gewünscht, als jemanden der mir sagt: „Ich hatte das auch, das wird wieder.“ Deshalb erzähle ich meine Geschichte.

 

Eine kleine Zeitreise

2014. Winter. Es ist eiskalt. Eine leichte Verkühlung. Müdigkeit. Erschöpfung. Abschied vom alten Job.  Die „Neue” im neuen Job. Stress. Gerade 30 geworden. Single. Allein. Kurz nach Weihnachten. Ich habe gerade den ersten Monat in meinem neuen Job überstanden. Viele Eindrücke, ausschließlich Neues und dieses seltsame Gefühl, dass es aus meinen fünf Jahren im alten Job nichts gibt, was ich im neuen Job anwenden kann. Ein Neuanfang. Ohne mich jemals von meiner Lebensphase davor wirklich verabschiedet zu haben. 

Zwischen Weihnachten und Silvester bin ich im Büro, mit ganz wenigen Kollegen. Obwohl in diesen Tagen weniger zu tun ist, habe ich gemerkt, dass ich eine große Unruhe mit mir herumtrage. Ich kann mich noch ganz genau erinnern. Zwei Tage vor Silvester und ich bin bei Freunden zum Essen eingeladen. Auf dem Weg dorthin, in der U-Bahn habe ich beim Aussteigen aus dem Wagon für eine Sekunde das Gefühl ins Nichts zu steigen. So schnell wie das Gefühl da ist, ist es auch wieder weg. Dennoch bleibt da ein mulmiges Unbehagen im Magen, was das denn wohl war. 

Auf dem Heimweg spaziere ich über verschneite Straßen zur U-Bahn zurück. Und da ist es plötzlich wieder, ein Gefühl wie in Watte zu steigen. „Wird wohl am Schnee liegen” habe ich mir gedacht. Am nächsten Tag, einen Tag vor Silvester, fahre ich nach der Arbeit zu meinen Eltern. Beim Ausstiegen aus der U-Bahn, beim Hinabsteigen der Treppen vom Bahnsteig ist es plötzlich wieder da – das Gefühl mein Bewusstsein zu verlieren. Das Gefühl in ein Loch zu steigen. Draußen ist es klirrend kalt. Anstatt die Straßenbahn zu nehmen, die gerade an der Station steht, habe ich mich auf die Bank bei der Haltestelle gesetzt. Zu groß ist die Panik, die plötzlich aufkommt. Was passiert da mit meinem Körper? Woher kommt dieser Schwindel? Ich habe so große Angst aufzustehen, dass ich sitzen bleibe. Es sind Minusgrade und mir ist heiß und kalt gleichzeitig. Nach etwa einer halben Stunde holt mich meine Mutter ab und bringt mich auf wackeligen Beinen zu meinen Eltern nach Hause. Dort falle ich gleich ins Bett. Ich zittere am ganzen Körper, sicher über eine Stunde lang. Der Gedanke aufzustehen macht mir riesige Angst. Angst und Panik davor, dass dieses Gefühl wieder da ist, wenn ich meinen nächsten Schritt tätige.

Was ist bloß los mit mir?

Ich weiß, eine sehr detailliert Schilderung – ich denke nur so kommt rüber, mit welcher Wucht mich dieses Gefühl gepackt hat. Und wie absurd es sich angefühlt hat. Die Tage und Wochen darauf waren geprägt von zahlreichen Arzt- und Krankenhausbesuchen. Ich war einige Tage im Krankenstand, was mir fürchterlich unangenehm war, nach vier Wochen im neuen Job. Das Gefühl, das ich versucht habe den Ärzten zu schildern, war schwer in Worte zu fassen. „Ich habe einen Dauerschwindel”, „Wenn ich gehe, dann fühlt es sich an, als würde ich in einen Abgrund steigen”, „Ich hinterfrage plötzlich mein gesamtes Weltbild, es fühlt sich alles so befremdlich an”, „Ich bin nicht mehr ich”. 

Hausarzt, HNO, ein großes Blutbild, ein Besuch in der Neurologie-Ambulanz, ein Schädel-MRT … alles ergab, ich bin kerngesund. Das stand im Gegensatz zu meinen Gedanken, die ich damals hatte. „Ich kann nie wieder alleine auf die Straße gehen”, „Ich kann nie wieder in den Urlaub fahren”, „Mein Leben, wie ich es kenne, ist jetzt vorbei”. Ich hatte keinen Hunger, keine Energie, keinen Glauben mehr an (m)eine Zukunft.

Google niemals Symptome 

Was sollte man in so einer Situation nicht machen? Im Internet recherchieren, was man alles haben könnte. Leider war das genau das, was ich gemacht habe. Die Symptome, die ich hatte, haben zu vielen Krankheitsbildern gepasst – los ging das Kopfkino. Dazu kamen Einträge von zahlreichen Personen, die in Foren darüber schrieben, dass sie seit Jahren an Schwindel litten. Dass er ihr Leben maßgeblich beeinflusst hat und dass man damit einfach leben muss. Alles keine Lösungen. Nur Leidensgeschichten, aber keine positiven Impulse. Und genau das ist der Grund, warum ich meine Erfahrungen hier teilen möchte. Denn es gibt eine Lösung. Es gibt einen Weg an seiner Gesundheit zu arbeiten. Man muss sich allerdings sehr eingehend mit sich selbst beschäftigen und sich eingestehen, wie es soweit kommen konnte. Diese Ehrlichkeit kostet viel Kraft, aber im Endeffekt profitiert man davon. Die Lebensqualität, die man danach gewinnt, steht in keiner Relation dazu, was man vorher ertragen musste. 

Ich habe eine einzige Website gefunden, von einem Jungen, der ähnliches erlebt hat und dazu geraten hat zu allererst einmal sofort aufzuhören nach Krankheiten zu googlen. Das habe ich mir zu Herzen genommen. Nach viel Gedankenarbeit habe ich akzeptiert, dass mein Leben nun mal eben so ist wie es ist. Dieser Schwindel gehört zu meinem Leben. Er ist eine Hürde, die ich nehmen muss, und lernen muss, zu überwinden. Alles im Leben hat einen Grund, einen Sinn. So wird der Schwindel wohl auch einen Grund haben. Der Gedanke der Akzeptanz hat mir über die folgenden Wochen und Monate geholfen. Ich habe beschlossen mich nicht mehr mit Krankheit, sondern mit Gesundheit zu beschäftigen. Mit meiner Gesundheit. Ich habe begonnen, vielen Menschen davon zu erzählen. Es sollte kein Geheimnis mehr sein. Erst so erfuhr ich davon, dass eine Freundin eine ähnliche Erfahrung durchlebt hatte. 

Ich ging zu einem ganzheitlichen Mediziner, der mir physisch und psychisch wieder auf die Beine geholfen hat und mir durch geführte Meditation, die Panik genommen hat, alleine auf der Straße unterwegs zu sein. Ich hatte vor jeder Straßenbahnfahrt, jeder Busfahrt, vor jedem noch so kurzen Fußweg Angst. Im Büro lautete mein Motto: „Überstehe irgendwie diesen Tag”. Ich habe eine Therapeutin besucht. Sie hat Symptome eines Erschöpfungssyndroms vermutet. Sie hat mir wiederum Tipps gegeben, wie man mit diesen Angstgefühlen umgehen kann. Außerdem war ich mehrmals bei einer Osteopathin. Probleme mit der Halswirbelsäule können nämlich auch Schwindel erzeugen. Ich war über Monate einmal pro Woche bei ihr. Ich habe für einen längeren Zeitraum aufgehört zu rauchen, sehr viel Obst gegessen, viel Sport getrieben, wieder mit Yoga begonnen. Mit dem Rauchen, so ehrlich muss ich an dieser Stelle sein, habe ich dann irgendwann wieder angefangen, eine Heilige bin ich nicht.

Endlich ist klar, was mit mir los ist 

Zurückblickend weiß ich, warum mir das passiert ist: Ich war unglücklich in meinem alten Job. Und ich habe daran viel zu lange nichts geändert. Es lag nicht an meinen Kollegen, die waren wie Familie für mich. Ich war einfach nicht mehr glücklich mit meiner Tätigkeit. Und das habe ich viel zu lange ignoriert. Aus Bequemlichkeit, aus Angst, meine Komfortzone zu verlassen. Dann war da plötzlich ein neuer Job. Ein Neustart bei Null. Kollegen die mich nicht kennen, die Angst völlig zu versagen und den neuen Chef zu enttäuschen. Zweifel, ob der Jobwechsel ein Fehler war. Im alten Job hatte ich eine Familie, im neuen Job waren da viele Menschen, die mich skeptisch beäugt haben, sich nicht für mich interessiert haben, die meiner Vorgängerin nachgetrauert haben. Zwischen den beiden Jobs lag genau eine freie Woche, in der ich aus Erschöpfung nur geschlafen habe und mit Übelkeit zu kämpfen hatte.

Die heutige Zeit ist so schnelllebig. Und wir nehmen uns so selten die Zeit, Erlebtes richtig zu reflektieren, zu verarbeiten. Wir haben die Erwartung an uns, dass wir in dieser Schnelllebigkeit funktionieren müssen. Bloß keine Sekunde, Minute, Stunde verschwenden und immer schneller, höher, weiter. Ein Jobwechsel ist ein einschneidendes Erlebnis. Man sollte sich die Zeit nehmen, sich von dem Vergangenen zu verabschieden und sich auf das Neue einzustellen. Neben dem Jobwechsel gibt es sicher zahlreiche Aspekte, die zu meinem Zustand beigetragen haben. Die hier zu erläutern würde den Rahmen sprengen. 

Mein Fazit: Solche gesundheitlichen Herausforderungen entstehen, aus meiner Erfahrung, nicht von einen Tag auf den anderen. Sie entwickeln sich über Monate und Jahre. Und genau aus diesem Grund, glaube ich, dass man seinem Körper und seiner Psyche soviel Zeit für den Genesungsprozess geben muss, wie sie eben brauchen. Ich schätze mich sehr glücklich und bin unbeschreiblich dankbar dafür, dass es mir wieder besser geht. Ich bedanke mich täglich für diesen Neustart.

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