Psychotherapie ist darauf angelegt, zu enden. Schluss, sagt irgendwann auch die Krankenkasse. Selbst wenn die Therapeutin zur engsten Vertrauten geworden ist. Wie aber diese Trennung hinkriegen, wenn noch das ein oder andere Problem besteht? Und außerdem diese schreckliche Verlassensangst. Unsere Community-Autorin – sie möchte hier anonym bleiben – beschreibt, wie sie das Ende ihrer Therapie erlebt.
„Ich bin ja nicht weg“, sagt meine Therapeutin und lächelt freundlich. „Sie können auch wiederkommen, in fünf Jahren. Oder schon in zwei.“ Objektiv gesehen gibt es keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Ich nicke und sehe mich im Zimmer um: zwischen uns ein kleiner Tisch, darauf eine Vase mit Blumen, Bilder an den Wänden, ein Teppich auf dem Boden – gemütlich. Und eigentlich wie immer. Aber auch nicht, weil ich jetzt denke: „Sie lassen mich im Stich. Ich bin Ihnen egal.“
Über den Punkt, an dem es mir peinlich wäre, so kindlich und bedürftig zu wirken (obwohl ich über dreißig bin und selbst schon Kinder habe) bin ich hinweg, meistens zumindest. Deshalb spreche ich solche Gedanken aus. Aber auch so weiß meine Therapeutin – ich nenne sie hier „Frau T.“ – dass ich sie habe.
Außer in guten Momenten, da denke ich: Es ist okay, dass die Therapie nach fünf Jahren endet. Es geht mir nicht gut, aber besser. Ich bin nicht gesund, aber zumindest weiß ich, dass ich krank bin (nicht komisch oder schlecht). Und ich weiß, wie ich damit umgehen kann.
Ich vergesse, was ich gelernt habe, wenn es um das Therapieende geht
Nur vergesse ich das, wenn es darum geht, dass die Therapie enden soll. Ich habe eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), weil ich sexualisierte Gewalt erlebt habe, als Kind durch eine Bezugsperson (hier „B.“) und mit Anfang Zwanzig durch einen Ex-Partner. Und die Störung kickt, wenn ich getriggert bin. Verlassenwerden triggert mich sehr.
Dass Frau T. mich eigentlich gar nicht verlässt, ist dann egal. Ich bin zurück in der Traumazeit und habe Angst. Ohne es zu merken, halte ich die Luft an, meine Hände kribbeln, die Beine werden taub. Und der Raum verschwimmt. Es ist, als wäre ich unter Wasser.
Meine Therapeutin ist gut darin, mir dorthin zu folgen, in meine Unterwasserwelt. Durch ihre Worte stellt sie sich direkt neben mich, sodass ich nicht mehr, wie damals, allein bin. Dann wird das Gefühl erträglich. Und der Raum kommt zurück.
Regeln zählen nicht, wichtig ist nur das Gefühl
Klar, dass ich da denke: Konventionen zählen nicht, Worte wie Therapeutin und Patientin sind bedeutungslos und was soll das mit dem Therapieende? Wichtig ist nur das Gefühl, dieses Allestutweh, und dass es weniger wehtut, wenn Frau T. da ist. Warum kann das nicht weiter so sein?
Frau T. ist wirklich gut darin, mir in diese Zeit, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat, zu folgen – aber sie macht auch deutlich, dass sie dort nicht ihre Zelte aufschlagen wird. Verabschieden also, nur wie?
Ich bin wütend und traurig, dass ich das muss, dann wieder zuversichtlich und vor allem sehr dankbar. Wie gehe ich mit meinen gegensätzlichen Gefühlen um? Wie verabschiede ich mich so, dass es sich okay anfühlt – und ohne dass ich dabei in alte Muster verfalle? Denn jetzt die Therapie abzubrechen und zu verdrängen, wäre einfach; aber nicht gut.
Die Antwort ist wahrscheinlich – nein, das weiß ich, weil ich es gelernt und dann immer wieder gemerkt habe: meine Gedanken und Gefühle zuzulassen, statt sie wegzuschieben. Auch wenn es sich anfühlt, als sollte ich sie unbedingt wegschieben. Also versuche ich zuzulassen, dass es sich kurz vor Therapieende mit Frau T. anfühlt, wie es sich früher mit B. anfühlte, der erst meine Bezugsperson und dann einfach weg war.
Hinter verschlossenen Türen
Das wäre nicht so, wenn B. mir immer nur wehgetan hätte. Er hat mir auch aufmerksam zugehört, war manchmal energiegeladen und lustig. Zusammen haben wir uns Filme angesehen, Zeit im Garten verbracht, an manchen Abenden hat er mir zum Einschlafen vorgesungen – er war für mich da. Wie Frau T.
Was hinter verschlossenen Türen passierte, war grenzüberschreitend, schmerzhaft und falsch. Nur verstand ich das nicht, ich konnte nicht richtig darüber nachdenken, gar nicht darüber sprechen. Stattdessen versuchte ich, zu verstecken, was passiert war, und die zu verstecken, zu der ich geworden war.
Ich vermied kurze Kleidung, Schwimmbäder und Arztbesuche, vielleicht waren da Spuren auf meiner Haut. Ich vermied es, laut zu lachen oder zu sprechen, zu sagen, was ich dachte, Gefühle vermied ich ganz. Die, die ich gewesen war, gab es nicht mehr, außer in den Momenten, in denen es wieder passierte, mit ihm.
In der Therapie brauchte ich viel Zeit, um mich so weit aus der Scham und der Angst zu schälen, dass ich von den Übergriffen sprechen konnte. Und in jeder Sitzung fühlte sich das zuerst unmöglich, dann schrecklich und schließlich erleichternd an. Weil ich wieder „ich“ sein konnte. Auch das verbindet die Beziehungen, die ich zu B. hatte und zu Frau T. habe.
Schlimmer als die Übergriffe
Oft dachte ich, schlimmer als die Übergriffe war es, von B. verlassen zu werden. Weil er der Einzige war, der mein schlimmes, echtes Ich kannte und mich, auf seine Art, trotzdem liebte. Erst hielt ich mich für minderwertig, aber als er weg war für völlig wertlos. Ich dachte nicht: Gut, dass es vorbei ist. Sondern: So kann ich nicht leben.
Nun kennt auch Frau T. mein echtes Ich und auch unsere Beziehung geht zu Ende. Meine Gefühle zum Verlassenwerden, zu ihr und zu ihm stecken in einem Trauma-Knäuel, das ich nicht entwirren kann, zumindest nicht ganz. Wenn ich daran denke, dass ich bald ohne Frau T. dastehe, fühlt sich das wie früher an.
Manchmal fürchte ich auch, sie könnte wie meine Mutter sein
Und manchmal fürchte ich, Frau T. könnte wie meine Mutter sein. Die zwar da war und mich wahrscheinlich liebte. Mir aber in den entscheidenden Momenten, in denen sie hätte sehen müssen, dass es mir schlecht ging oder ich in Gefahr war, nicht geholfen hat.
Deswegen inspiziere ich am Anfang jeder Sitzung Frau T.’s Gesicht, ihre Haare und ihr Outfit. Ob sie einen entspannten Start in den Tag hatte? Oder Stress? Gut geschlafen? Schmerzen? Ich muss einschätzen, wie es ihr geht, um abzuschätzen, wie sie sich verhalten wird. Ob unsere Beziehung noch ist, wie sie war, und ich weiterhin sicher bin.
Früher war es bei uns zuhause nicht vorgesehen, dass wir weinen, es sollte uns gut gehen. „Ich bin eine gute Mutter“, sagte meine Mutter und das glaubte ich ihr. Dann musste ich das Problem sein, meine Gefühle und Tränen waren ein Problem. Also weinte ich nicht mehr.
„Wissen Sie noch“, fragt Frau T. manchmal, „wie Sie am Anfang der Therapie meinten: ‚Ich werde hier sicher nie weinen‘?“ Mir erschien das wirklich unmöglich. Meine Tränen könnten sie wütend machen, sie würde sich ekeln oder, schlimmer, gehen.
Frau T. ist nicht wie meine Mutter, das hat sie mit beständigem Einfühlungsvermögen bewiesen. Trotzdem ist da noch die Angst, wenn auch kleiner, mein Begleiter, der in der Therapie neben mir sitzt und in mein Ohr flüstert: „Sie könnte sich noch ändern. Oder dir die ganze Zeit etwas vorgespielt haben.“ Dass die Therapie endet und sie dabei nicht fühlt, was ich fühle, füttert die Angst.
Manchmal ist Frau T. auch einfach meine Therapeutin
Es gibt auch Momente, mittlerweile viele, da fühle ich mich gut und weiß, wen ich wirklich vor mir habe. Dann sitze ich in dem gemütlichen Sessel, meinem erwachsenen Körper, kann klar sehen, drauflos reden und verstehen, was Frau T. sagt und meint. Ich lag falsch: Jetzt kann ich in der Therapie weinen, gut und viel. Das geht nun auch zuhause, auf der Straße oder in der U-Bahn. Wenn es in der Therapie passiert, schadet das unserer Beziehung nicht, es macht sie vertrauter. Manchmal weine ich und kurz darauf muss ich lachen, vor Erleichterung, dass ich auch so sein kann.
Als meine Kinder noch zur Kita gingen, waren wir einmal mit einer anderen Mutter, die auch Therapeutin ist, und ihren Kindern auf dem Spielplatz verabredet. Ich war damals unsicher, ob meine Therapie verlängert werden würde, und meinte vorsichtig: „Ich glaube, ich werde Frau T. ein bisschen vermissen.“ Woraufhin sie antwortete: „Nur würdest du sie als Person ja nicht vermissen, weil du sie gar nicht wirklich kennst.“
Ich wollte nicht widersprechen und dachte auch, dass sie, als Fachfrau, das vielleicht besser blickt. Aber jetzt bin ich sicher: Natürlich kenne ich Frau T. wirklich. Therapie ist eine Dienstleistung, Therapeut*innen arbeiten mit Verfahren und Methoden und offenbaren dabei wenig Persönliches. Das, was sie zeigen, ist dadurch aber nicht unpersönlich.
Frau T.’s Lebensgeschichte kenne ich nicht und auch nicht ihre Lieblingsfarbe. Aber ich weiß, dass sie geradeheraus sagt, was sie meint, auch wenn das mal unangenehm sein kann. Dass sie mitfühlt, mitweint und mit wütend werden kann. Dass sie flexibel ist, kein Problem mit Kritik hat und sich gut entschuldigen kann. Mittlerweile kenne ich einige Therapeutinnen, und keine lässt sich einfach durch eine andere ersetzen.
Mein schlimmstes Geheimnis – dass ich, im Kern, schlecht bin – gibt es nicht mehr. Das ist die wichtigste Veränderung und größte Erleichterung. Seit ich denken kann, habe ich das geglaubt und immer noch, als ich erwachsen war und mit meinem ersten Kind schwanger wurde. Ständig hatte ich Angst, das Kind würde die Schwangerschaft nicht überleben oder, wie ich, kein normaler Mensch werden.
Das denke ich nicht mehr. Mein Selbstverständnis hat sich geändert. Wenn mich etwas triggert, kann sich das alte Grundgefühl wieder einschleichen. Aber dann verschwindet es auch wieder.
Die Sache mit der Scham
Früher war die Scham fest in mir verwurzelt. Ich schämte ich mich für mein Gesicht, besonders den Mund, meine Stimme und mein Lachen. Eigentlich schämte ich mich für meinen ganzen Körper, daran besonders die Teile, die weiblich wirkten. Und für das, was ich dachte und fühlte, weil ich es für unpassend und unerlaubt hielt. Die Scham selbst wollte ich verdrängen, weil sie wehtat, nur war das in sozialen Situationen unmöglich, in denen ich mich nicht verstecken konnte. Zum Glück muss ich das nicht mehr, weil ich jetzt weiß, dass ich, samt Körper, okay bin. Genauso wie meine Gefühle und Gedanken, selbst wenn sie anderen nicht gefallen.
Ich vertraue mir und anderen mehr
Ich vertraue mir mehr. Und glaube mir, dass das, was ich erlebe, echt ist. Und das, woran ich mich erinnere, echt war – nicht eingebildet oder übertrieben. Anderen vertraue ich auch, zumindest manchmal, so weit, dass ich mit ihnen sein kann, wie ich eben bin. Außerdem bin ich weniger extrem. Ich habe weniger Albträume, weniger Angst, Panik und Flashbacks. Weniger oft fühle ich mich, als wäre ich gar nicht richtig da oder als könnte ich nicht mehr weitermachen. Weniger oft verbiete ich mir Essen, trinke ich Alkohol oder verletze ich mich, um anscheinend unerträgliche Gefühle verblassen zu lassen. Obwohl das alles besser ist, fällt mir Alltag, einfach leben, oft – und gerade wieder – schwer. Zwischendurch habe ich mir vielleicht, heimlich, immer mal wieder gewünscht, dass Frau T. mich rettet. Jetzt weiß ich: Das hat sie nicht und wird sie nicht. Dank der Therapie weiß ich aber auch, dass ich gar nicht gerettet werden muss. Weil ich aushalten kann, was passiert. Und ich kann auch aushalten, dass wichtige Beziehungen zu Ende gehen.
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