Foto: Luis Quintero | Pexels

„Mein bester Abschied: Den Gedanken zu verabschieden, immer gefallen zu müssen“

Wir haben sechs Persönlichkeiten gefragt, was sie mit dem Thema Abschied verbinden, wie sie den passenden Zeitpunkt dafür erkennen und wie Abschiede gelingen können.

Manche sieht man kommen und andere überollen einen unvorbereitet: Abschiede. Wir durchleben sie in Variationen: der Übergang vom Kind zum Erwachsenen, das Lebewohl beim Umzug in eine neue Stadt, das Ablegen alter Gewohnheiten oder auch der Abschied von geliebten Menschen. Nicht selten sind diese Momente mit Angst verbunden – und dann fragen wir uns, wie wir einen Abschied am besten gestalten können. „Ich glaube es könnte helfen, wenn man Abschiede als etwas Individuelles betrachtet, darüber spricht und nicht gleich nur das Negative sieht“, sagte Franziska Knost im Interview.

Wir haben mit sechs Personen gesprochen und gefragt, woran sie erkennen, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen, was sie für einen guten Abschied brauchen und welchen Umgang sie sich mit dem Thema wünschen.

Leo Ritz und Hendrik Thile haben das Bestattungsunternehmen „Junimond“ gegründet und begleiten täglich Menschen bei ihrem persönlichen Abschied von geliebten Menschen. Alissa Hitzemann ist Founder und CEO von B wie Berlin und ist es gewohnt, Abschied zu nehmen, da sie in verschiedenen Ländern aufgewachsen und ihre Familie über drei Kontinente verteilt ist. Franziska Knost war professionelle Sprecherin, TV-Autorin und -Produzentin und sprach in ihrem Podcast „Sick o fit – Statements einer Sterbenden“ über ihre Krebserkrankung und den Weg des Abschiednehmens (Franziska Knost starb am 10. Februar 2022). Joana Fatondji ist Life Coachin und wünscht sich einen entspannteren Umgang mit Abschieden, bei dem man die vergangene Zeit mehr wertschätzt. Amani Abuzahra ist promovierte Philosophin, Autorin und Public Speakerin und erlebt gute Abschiede, wenn sie im Nachhinein Klarheit verspürt.

Junimond Bestattungen – Leo Ritz & Hendrik Thiele

Helfer*in, Wegbegleiter*in und Unterstützter*in im Prozess von Sterben, Trauer und Tod – das sind Leo Ritz und Hendrik Thile mit ihrem Bestattungsunternehmen „Junimond“. Leo lebt seit zehn Jahren in Berlin und ist seit 2014 Bestatterin. Ihr Wissen rund ums Bestatten hat sie sich bei zwei alternativen Berliner Bestattungsunternehmen angeeignet. Angstfrei und achtsam versucht sie mit Einfühlungsvermögen ihre Arbeit auf die Bedürfnisse der Hinterbliebenen anzupassen. Hendrik ist studierter Designer und lässt sich seit 2018 zum Coach für systemische Aufstellungsarbeit ausbilden. Das dabei gewonnene Wissen kann er bei Junimond anwenden und Hinterbliebenen dabei helfen, einen klärenden Zugang zu den eigenen Gefühlen zu bekommen und mit ihnen umzugehen. Das Vertrauen, das ihm im Umgang mit Zugehörigen sowie bei Trauerfeiern und Beisetzungen entgegengebracht wird, motiviert ihn jeden Tag aufs Neue.

Leo Ritz und Hendrik Thiele, die Gründer*innen von Junimond, stehen vor einer weißen Wand und schauen in die Kamera. Neben ihnen stehen Trockenblumen.
Foto: Max Threlfall Photo

Woran merkt ihr, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen?

Hendrik und Leo: „Wir merken es, wenn der tote Körper beginnt sich mehr und mehr zu verändern. Das ist auch für die Angehörigen oft dann der Moment, in dem sie spüren: Ja, wir sollten unseren Menschen jetzt gehen lassen. Das hier ist nur noch der Körper und es ist Zeit, diesen zu verabschieden.“

Was war euer schwerster und was euer bester Abschied?

Hendrik: „Mein schwerster privater Abschied war definitiv der für mich traumatische Suizid meines Vaters vor über 20 Jahren. Eben weil es keinen richtigen Abschied gab. Mein ,bester‘ Abschied hingegen war der von meinem Hund Löwe. Ich saß bis zu seinem letzten Atemzug neben ihm und habe seinen Kopf gehalten.“

Leo: „Mein schwerster Abschied war der eines kleinen Kindes, das im Gartenteich der Großeltern ertrunken war. Da bin ich echt an meine Grenze gekommen, was meine trauerbewältigenden und traumabewältigenden Werkzeuge betrifft. Es gab kaum ein aktives Handeln, kaum ein Funktionieren. Nur ein Müssen. Mein schönster Abschied dagegen war der von meiner Oma, die ich bestattet habe. Ich habe sie gemeinsam mit meiner Mama und meiner Tante angezogen. Wir haben Oma und der gesamten Familie die Fingernägel in Omas Lieblingsfarben lackiert – der hielt sogar bis zur Beerdigung – und als wir den Sarg durch das Altenheim zum Auto geschoben haben, haben wir dazu ganz laut Frank Sinatra gehört.“

Was braucht ihr für einen guten Abschied?

Hendrik: „Beistand, Ruhe und Zeit.“

Leo: „Austausch auf Augenhöhe, Mut zum Selbermachen, Ästhetik.“

„Wir müssen aufhören so zu tun, als gäbe es uns für immer und damit beginnen, den Tod konkret in unser Leben einzubeziehen. Auch wenn es weh tut, ja, gerade weil es wehtut.“

Was wünscht ihr euch im Umgang mit Abschieden?

„Wir brauchen einen gesamtgesellschaftlichen, neuen Umgang mit Abschieden. Einen, der Raum und Zeit für echte und individuelle Trauer bietet und sich an den Bedürfnissen der Individuen orientiert, statt an traditionellen Formen. Wir müssen aufhören so zu tun, als gäbe es uns für immer und damit beginnen, den Tod konkret in unsere Leben einzubeziehen. Auch wenn es weh tut, ja, gerade weil es wehtut. Die Auseinandersetzung mit der Angst, kann die Angst ein wenig nehmen.“

Alissa Hitzemann

Alissa Hitzemann ist Founder und CEO von B wie Berlin. Mit ihrem Unternehmen hat sie ABC-Lernkarten entwickelt, mit denen jedes Kind Spaß hat, spielerisch das Alphabet zu lernen und gleichzeitig Berlin zu entdecken. Mit viel Liebe für Diversität und antirassistische frühkindliche politische Bildung hat Alissa ihr Business aufgebaut. Dafür wurde sie 2021, zusammen mit 32 weiteren Unternehmer*innen, von der Bundesregierung als Kultur- und Kreativpilotin ausgezeichnet. Alissa ist Mutter von zwei Kindern und war vor der Corona-Pandemie als Geschichtenerzählerin tätig.

Alissa Hitzemann steht in einer roten Jacke und einem Sticker von „B wie Berlin“ vor dem Brandenburger Tor und lächelt in die Kamera.
Foto: Katja Hensche

Woran merkst du, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen?

„Wenn ich merke, dass mich nichts mehr überrascht, ich nicht mehr inspiriert bin und nichts Neues mehr ausprobieren möchte, ist es Zeit Abschied zu nehmen. Abschied vom Job, der Beziehung, dem Land. Ich kenne das Gefühl sehr gut, wenn mein Leben zu bequem, alles berechenbar und smooth sailing wird: Ich esse oft im gleichen Lokal, nehme immer den gleichen Weg nach Hause, kenne meine Aufgaben und die Menschen um mich herum gut. Dann ist es Zeit, etwas zu wagen und neue Leute kennenzulernen. Ich brauche die Herausforderung und Abenteuer. Manchmal muss ich auch Abschied von mir selbst nehmen, von eingefahrenen Mustern und Angewohnheiten. Am besten geht das, indem ich meine Zelte abbreche und weiterziehe. Weil das nicht immer sofort möglich ist, stelle ich alle paar Monate mein Möbel zu Hause um.“

„Für einen guten Abschied sind zwei Dinge essentiell: Die Gewissheit, dass ein Abschied nicht permanent ist und man sich wiedersehen kann oder aber der feste Glaube daran, dass die Dinge, so wie sie geschehen, gut und richtig sind.“

Was war dein schwerster und was dein bester Abschied?

„Generell fallen mir Abschiede nicht schwer. Von materiellen Sachen kann ich mich leicht trennen. Ich hänge nicht an Kleidern, Möblen oder irgendwelchen Dingen. Als ich endgültig von meiner Großmutter verabschiedet habe, war ich nicht traurig, weil ich bis jetzt das Gefühl habe, dass sie bei mir ist. Mein wirklich schwerster Abschied war womöglich 2008, als ich nach einem Auslandssemester in Jamaika die Insel wieder verlassen musste. Noch nie habe ich so sehr in einem Flughafen geweint!

Mein bester Abschied war der, als ich mich dazu entschieden habe, nicht mehr zu meinem super schicken und anerkannten Job bei den Vereinten Nationen zurückzukehren. Es war eigentlich der Job, von dem ich immer geträumt hatte und der alle beeindruckte. Aber er passte nicht wirklich zu mir – zu hierarchisch, zu diplomatisch, zu formell. Ich verabschiedete mich von meinem Job bei der UNO und meldete mich am selben Tag zum Schauspieluntericht an. Best goodbye ever. Never looked back.“

Was brauchst du für einen guten Abschied?

„Meine Familie ist auf drei Kontinenten verteilt und ich habe gute Freund*innen in den unterschiedlichsen Ecken der Welt. Ich bin in Deutschland, Niger, Burkina Faso, Malawie und Indien aufgewachsen, habe in Jamaika und den USA gelebt. Ich bin also quasi Profi, wenn es ums Verabschieden geht. Für einen guten Abschied sind meiner Meinung nach zwei Dinge essentiell: Die Gewissheit, dass ein Abschied nicht permanent ist und man sich wiedersehen kann oder aber der feste Glaube daran, dass die Dinge, so wie sie geschehen, gut und richtig sind. Auch wenn es mir ab und zu schwer fällt loszulassen, habe ich dieses Grundvertrauen, dass am Ende alles gut wird und mein Leben sich so entwickeln wird, wie es für mich bestimmt ist. When one door closes, another one opens.“

Was wünscht du dir im Umgang mit Abschieden?

„Ich wünsche mir, dass wir aufhören der Vergangenheit hinterherzutrauern. Wenn wir uns von Menschen oder Situationen verabschieden müssen, wäre es besser die neue Realität so zu akzeptieren wie sie ist und nach vorne zu schauen. Die Akzeptanz, dass sich Dinge ändern und das Leben weitergeht. Mit neuen Menschen, neuem Job, neuem Abenteuer. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber ein Abschied kann immer auch der Anfang sein. Deswegen werde ich mich immer wieder verabschieden. Ich werde immer wieder neugierig sein, was mich auf der anderen Seite erwartet.“

Franziska Knost

Franziska Knost war professionelle Sprecherin. Bevor sie von dem Uni-Radio Kölncampus gefragt wurde, ob sie die Stationvoice werden möchte, kam ihr nie die Idee, mit ihrer Stimme zu arbeiten. Davon inspiriert, ließ sie ihre Stimme durch verschiedene Sprech- und Stimmtrainer*innen professionell ausbilden und fand so zu ihrer heutigen Profession. Neben dem Sprechen vor dem Mikrofon arbeitet sie als TV-Autorin und -Producerin. Im November 2021 startete sie den Podcast „Sick o fit – Statements einer Sterbenden“, in dem sie mit Gesprächspartner Tamer Jandali über ihre Krebserkrankungen sprach und vermeintlich erstrebenswerte Lebensziele hinterfragte. Ihr Motto: „Who cares about a Bucket-List? Let’s do a F*ck-it-List!“

Franziska Knost sitz lässig auf einem braunen Ledersessel. Sie trägt ein dunkles Cap, gelbe Hose, grüne Jacke und schaut in die Kamera.
Foto: Felix Eisenmeier

Woran merkst du, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen?

„Ich merke, dass meine Kräfte schwinden und das auf allen Ebenen. Ich spüre immer mehr, was die Krankheit mit mir macht und bin nicht mehr so belastbar. Es ist jetzt Zeit loszulassen, beziehungsweise erstmal Abschied zu nehmen, um loslassen zu können.“

Was war dein schwerster und was dein bester Abschied?

„Mein schwerster Abschiede war sicher der Tod meiner Mutter. Wir waren uns sehr nah. Ich war 27 und mein Kind gerade mal dreieinhalb Monate alt, als sie starb. Ich dachte immer, mit 27 ist man eine erwachsene Frau, aber in diesem Moment fühlte ich mich wieder wie ein Kleinkind. Es hat lange gedauert, das zu verarbeiten.

Wenn ich abstrakter denke, könnte einer meiner besten Abschiede gewesen sein, als ich mich von dem Gedanken verabschiedet habe, immer gefallen zu wollen, immer fuckable sein zu müssen. Ich habe in den letzten Jahren, vor allem bedingt durch eine Beziehungskrise, viel mehr zu mir selbst gefunden. Es wäre zu viel, wenn ich es als Abschied von meinem alten Ich bezeichnen würde, weil ich kein komplett anderer Mensch geworden bin. Aber mein Bewusstsein als Frau und vor allem als kranke Frau hat sich stark verändert. Ich wollte nie auffallen, nicht als krank wahrgenommen werden, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass in unserer Gesellschaft Krankheit immer noch mit Schwäche und Minderwertigkeit verknüpft wird. Ich musste erst meinen Selbstwert als kranke Frau erkennen, um mich wirklich zu mögen und mich selbst nicht mehr ständig zu verbiegen.“

Was brauchst du für einen guten Abschied?

„Oft ist es so, dass man sich aus einer Wut oder Verzweiflung heraus verabschiedet. Ich glaube, so ist es sehr schwer, im Guten abzuschließen. Für einen guten Abschied brauche ich Ruhe, damit Gedanken und Gefühle ihren Platz finden können. Auch in meinem Sterbeprozess, in dem ich mich gerade befinde, brauche ich vor allem Ruhe. Das fällt mir gar nicht so leicht, da ich eigentlich ein sehr sozialer Mensch bin und mich gerne von Dingen ablenke.“

„Ich glaube es könnte helfen, wenn man Abschiede als etwas Individuelles betrachtet, darüber spricht und nicht gleich nur das Negative sieht.“

Was wünscht du dir im Umgang mit Abschieden?

„Ich finde es schwierig, darauf eine allgemeine Antwort zu geben. Es kommt ganz darauf, um welchen Abschied in welchem Lebensbereich es sich handelt. Wenn es der Abschied vom Kindsein hin zum Erwachsenenleben ist, würde ich sagen: ,Umarme die Herausforderung, stell dich allem, was kommt, habe den Mut, Dinge auch falsch zu machen.‘

Mit Blick auf die Königinnendisziplin des Abschiednehmens, nämlich dem Sterben, braucht es viel mehr Sichtbarkeit. In dem Sinne, dass Sterben und Tod sich in jede Altersklasse hineinziehen und es ganz unterschiedliche Geschichten gibt. Es ist wichtig, diese Geschichten zu erzählen und zwar möglichst frei von Klischees und Stereotypen. Das passiert bisher viel zu wenig, egal ob in der Berichterstattung oder in fiktionalen Erzählungen. Das merke ich vor allem jetzt, wo es mich selbst betrifft. Ich versuche das Thema Abschiednehmen bis zum Schluss zu umgehen. Ich glaube, es könnte helfen, Abschiede bei aller Tragik als etwas Natürliches und gleichzeitig Individuelles zu betrachten, darüber zu sprechen und sich offen darüber auszutauschen.“

Joana Fatondji

Joana Fatondji ist „the first“ – die erste aus ihrer Familie für vieles. Sie ist International Business Bachelorabsolventin, ganzheitliche Gesundheitsberaterin, Transformation Life Coachin, Networkerin und Feministin. Sie setzt sich für „feminine leadership“ ein, das ihrer Meinung nach gerade jetzt gebraucht wird, um Gleichberechtigung auf allen Ebenen zu erreichen.

Joana Fatondji trägt einen grauen Blazer, steht vor einem weißen Vorhang und beugt sich lachend nach vorne.
Foto: Shootsnapper

Woran merkst du, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen?

„Wenn der Schmerz und die Unzufriedenheit im Gewohnten zu bleiben größer ist, als die Angst und das Unbehagen davor sich auf die Reise ins Ungewisse, auf die Suche nach dem Erfolg zu machen, dann ist es Zeit, Abschied zu nehmen.“

„Wenn der Schmerz und die Unzufriedenheit im Gewohnten zu bleiben größer ist, als die Angst vor der Reise ins Ungewisse, ist es Zeit, Abschied zu nehmen.“

Was war dein schwerster und was dein bester Abschied?

„Mein schwerster Abschied war der von meinem alten Ich und meinem alten Leben mit gewohnten Strukturen hin zu einer Person und einem Leben, nach dem sich meine Seele sehnt. Dazu gehörte auch der Abschied von Familienmitgliedern, die man zwar liebt, die einen aber auf der persönlichen Reise nicht unterstützen.

Mein bester Abschied wiederum war der von meinem Ex-Verlobten. Wir haben uns in Liebe und Verständnis getrennt. Das war eine schöne Erfahrung.“

Was brauchst du für einen guten Abschied?

„Eine glasklare Entscheidung, die aus dem innersten meines Wesens spricht. Dann gibt es für mich kein Zurück mehr und der Abschied findet in Frieden statt.“

Was wünscht du dir im Umgang mit Abschieden?

„Ich wünsche mir, dass wir einen entspannteren Umgang mit Abschieden finden. Wir sollten uns darauf besinnen, was für ein Segen die gemeinsame Zeit mit einer Person oder die Lebenserfahrung war. Das können schöne Momente und auch Lektionen sein. So oder so ist einer der besten Ratschläge des Lebens: Non attachment and flow.“

Amani Abuzahra

Amani Abuzahra ist promovierte Philosophin, Autorin und Public Speakerin. Sie widmet sich in ihrer Arbeit den Themen intersektionaler Feminismus, rassismuskritische Bildung, muslimische Lebenswelten und interkultureller, sowie intrakultureller Öffnung.

Sie ist in der Kategorie „Diversity Ambassador“ bei dem Impact of Diversity Award nominiert, bei dem per Public Voting abgestimmt werden kann.

Amania Abuzahra sitzt auf einer Wiese, hinter ihr ein Wald und die Sonne scheint. Sie trägt ein hellblau weiß gestreiftes Oberteil und einen weißen Hijab.
Foto: Dar Salma

Woran merkst du, dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen?

„Wenn zum Beispiel der Ort, an dem ich bin – das kann durchaus auch ein mentaler Ort sein – mir nicht mehr entspricht oder mir nicht guttut, dann heißt es: sich weiterbewegen und Abschied nehmen. Das sind dann sehr bewusste Prozesse. Manchmal nehme ich Abschied und merke erst im Nachhinein, dass ich mich weiterentwickelt und abgeseilt habe. Denn jeder Abschied bedeutet Loslassen und birgt auch Potential für einen Neubeginn.“

Was war dein schwerster und was dein bester Abschied?

„Ein Abschied, der mir schwer viel, war der von meinem Medizin-Studium und somit von meinen Erwartungen an mich selbst. Ob das wirklich mein schwerster Abschied war, kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht in absoluten Kategorien denke. Es gibt so viele Schattierungen und Nuancen im Leben. Und ich weiß ja nicht, was noch kommt, es gibt noch Potential für den schwersten Abschied. Aber ich glaube Abschiede, die man allein durchsteht sind wohl die schwersten.

Abschiede von Menschen sind besonders schwer. All jene, die eine Migrationsgeschichte mit sich tragen, erleben viele Abschiede. Die Familie ist auf der ganzen Welt verstreut – auch das kann schmerzen.

Meine guten Abschiede sind die, bei denen ich im Nachhinein Klarheit hatte. Dann weiß ich, dass die Entscheidung, die ich gefällt habe, die richtige war. Das schwierige dabei ist nur, dass man das davor ja nie weiß.“

Was brauchst du für einen guten Abschied?

„Ich brauche Zeit, um loszulassen. Zeit für Ausblick und Perspektivenwechsel. Jeder Abschied lädt zu einer Neuverortung ein, sich die Fragen zu stellen: Wo stehe ich jetzt und wo möchte ich hin? Aber auch, um Innezuhalten und Abschiedsschmerz zuzulassen. Die Worte des Propheten Muhammed helfen mir dabei: geduldig sein in schweren Zeiten, dankbar sein in guten Zeiten. Das hilft mir sehr beim Abschied nehmen. Geduldig zu sein mit den Herausforderungen, dann Loszulassen und dankbar zu sein, für das was war.“

Was wünscht du dir im Umgang mit Abschieden?

„Ich wünsche mir mehr Raum für Schmerz und generell Emotionen. Trauern, Freuen, Weinen – diese verletzlichen Momente sind Chancen, in denen wir einander auffangen und unterstützen können. Beim Abschiednehmen sind Menschen manchmal offener und sprechen aus, was sie sonst zurückgehalten hätten. Das schafft eine neue Qualität der Verbindung.

„Jede Erwartungshaltung, die wir aufgeben und loslassen ist nicht nur ein Abschied, sondern auch eine Begrüßung an ein neues, anderes Leben.“

Ich wünsche mir auch, dass Abschiede als Teil des Lebens betrachtet werden. Jede Erwartungshaltung, die wir aufgeben und loslassen ist nicht nur ein Abschied, sondern auch eine Begrüßung an ein neues, anderes Leben.“

Dieser Artikel erschien erstmals am 2. Februar 2022 bei EDITION F plus.

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