Wer sich das Thema Arbeiten 4.0 vorknöpft, liest schnell Prognosen wie diese: Alles wird noch vernetzter, digitaler und flexibler. Isabelle Kürschner forscht seit vielen Jahren zur Zukunft der Arbeit und glaubt:„Jeder kann mitbestimmen, wie sein Job aussehen wird.“ Wie das geht, hat sie uns im Interview erzählt.
Die Arbeitswelt wandelt sich
„Wir machen uns die Arbeitswelt, wie sie uns gefällt“ – das ist die These von Isabelle Kürschner, die sie in ihrem neuen Buch „New Work: Wie Sie lernen, Ihren Job zu lieben“ differenziert aufgeschrieben hat. Darin verarbeitet sie das, was sie als selbständige Beraterin in Unternehmen und Organisationen erlebt hat hinsichtlich der Arbeitsorganisation, Gestaltung von Arbeit und Freizeit sowie Chancengerechtigkeit von Männern und Frauen. Manche packen die Themen der Arbeit 4.0 an – andere (noch) nicht. Elke Tonscheidt hat mit Isabelle Kürschner gesprochen.
Isabelle, über welchen Zeitraum reden wir eigentlich?
„Das ist schwer vorherzusagen. Aber es wird schneller gehen als wir denken – fünf bis zehn Jahre halte ich für realistisch.“
Welche Kompetenzen sind dann besonders gefragt?
„Eindeutig werden die sozialen Kompetenzen gefragter denn je sein. Ganz egal, in welchem Berufsfeld. Klar, man braucht Fachkenntnisse, aber darüber hinaus spielen innovative und soziale Fähigkeiten eine immer größere Rolle!“
An welche Aufgabenbereiche denkst Du?
„Ich meine Tätigkeiten, bei denen persönliche Interaktion und Kommunikation benötigt werden. Sie haben die besten Chancen zu überleben, denn Beratung, Verhandlung und Problemlösung werden auch weiterhin in Menschenhand bleiben, ebenso wie weite Bereiche der Medizin, Pflege und Erziehung.“
In Deinem Buch heißt es: Die, „die mit kreativer Intelligenz Entwicklungen vorantreiben und Probleme lösen“, haben super Aussichten. Was heißt das konkret?
„Dienst nach Vorschrift zu machen, wird in Zukunft nicht mehr ausreichen. Gefragt sein wird, wer weiter denkt, Dinge weiter entwickelt, neue Ideen hat und sie gleich selbst umsetzt. Dafür müssen allerdings alle – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – lernen, dass es auch erlaubt sein darf, Fehler zu machen, von vorne anzufangen und den Durchbruch erst beim zweiten oder dritten Mal zu schaffen.“
Wo wird der Wandel der Arbeitswelt besonders tief greifen?
„Ich glaube, dass er keinen Bereich auslassen wird, selbst da, wo wir es bis vor kurzem noch für undenkbar gehalten haben. Denken wir an die Medizin – wer von uns hat nicht schon einmal selbst per Internet diagnostiziert? Oder an rechtliche Belange – ich selbst habe gerade über flightrights.de einen Rechtsstreit gegen eine Airline gewonnen.“
Sprich, es betrifft uns alle schon heute sehr …
„Genau das ist mein Punkt. Nur drei Beispiele: Wir generieren heute in zwei Tagen so viele Daten wie in der gesamten Geschichte der Menschheit bis ins Jahr 2003. Es gibt heute mehr Handys auf der Welt als Menschen. Und 65 Prozent der heutigen Schüler werden später einmal in Berufen arbeiten, die derzeit noch nicht einmal existieren – hingegen sind 47 Prozent der heutigen Jobs in zehn bis zwanzig Jahren komplett verschwunden.“
Wie sollten wir am besten mit diesem Prozess umgehen?
„Zum einen müssen wir anerkennen, was ist. Nicht nur eine kleine Elite sollte wahrnehmen, wie sehr sich der Arbeitsalltag ändern wird. Weg gucken und sich weiter durchwurschteln, ist keine gute Lösung. Zum anderen sollte man versuchen, die Veränderungen so positiv wie möglich für sich selbst zu nutzen und sich dabei trauen, Neues auszuprobieren. Für eine Mitarbeiterin kann das bedeuten, ein neues Projekt anzuschieben und dabei gleich die Führung zu übernehmen, ohne erst darum gebeten zu werden. Und drittens müssen Führungspersonen lernen, mehr loszulassen, ihren Teams mehr Freiräume zu geben, ihnen mehr zu vertrauen. Wie Laszlo Bock, Personalchef von Google so schön sagt:
„Give people slightly more trust, freedom, and authority than you are comfortable giving them. If you‘re not nervous, you haven‘t given them enough.“
Studien sagen voraus: In zehn bis 20 Jahren könnten fast die Hälfte der heutigen beruflichen Tätigkeiten voll automatisiert erledigt werden können. Was sagst Du dazu?
„Ich kenne diese Zahlen gut, aber was technisch möglich ist, macht in der Praxis nicht immer Sinn beziehungsweise rechnet sich auch betriebswirtschaftlich oft nicht. Maschinen und voll automatisierte Prozesse hin oder her: Insbesondere im Dienstleistungssektor werden sie den Bedarf an Fachkräften nicht decken können. Im Gegenteil: Das Arbeitszeitpensum wird Prognosen zufolge eher zu- als abnehmen. So müssen im Jahr 2030 13 Milliarden Arbeitsstunden geleistet werden, im Vergleich zu den 11 Milliarden geleisteten Stunden im Jahr 2010.“
Wie wird unser Arbeitsplatz in 10 Jahren aussehen? Teilst Du die These, dass Arbeit und Privates immer mehr zusammen wachsen?
„Ja, was wir heute mit Arbeit verbinden, wird sich in Zukunft mehr und mehr auflösen. Wir werden nicht mehr zwangsläufig die Arbeit an einem bestimmten Ort, mit denselben Kollegen, zu einer bestimmten Zeit und für Jahre oder gar Jahrzehnte für ein- und denselben Arbeitgeber verrichten. Das bedeutet auch, dass sich unser soziales Umfeld rund um den Arbeitsplatz lockern oder sogar auflösen wird.“
Du sagst, Freiheit sei die neue Sicherheit. Das klingt fast ein bisschen idyllisch. Ist das realistisch?
„Als idyllisch würde ich es nicht bezeichnen – das wäre wirklich leichtsinnig. Was ich damit meine ist: Wir haben es mehr als je zuvor in der Hand, selbst über unser Arbeitsschicksal zu bestimmen. Keiner sollte in Zukunft mehr abwarten und hoffen, dass er bei der nächsten Restrukturierung wieder einmal verschont bleibt. Vielmehr sollten wir die Augen immer offen halten für neue Möglichkeiten, neue Kenntnisse und neue Nachfragen und uns rechtzeitig darauf einstellen. In Zukunft sollten wir uns nicht mehr die Frage stellen: Wie finde ich einen Job, der zu meinen Fähigkeiten passt? Sondern vielmehr: Wie eigene ich mir die Fähigkeiten an, um zu den gefragtesten Fachkräften zu gehören und mir damit ein beständiges Auskommen zu sichern?“
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