Die Autorin Brigitte Rohm wird derzeit permanent gefragt, ob sie auch mal Mama werden möchte. Sie hat bislang darauf einfach noch keine Antwort. Ein Kommentar.
Ich soll Kinder wollen – oder eben nicht, das stresst
Beim Vater-Mutter-Kind-Spielen im Kindergarten war ich raus. Langweilig. Was sollte das? Auch Baby-Puppen habe ich nie verstanden. Okay, eine wollte ich unbedingt haben. Aber nur wegen des mitgelieferten Zauberstabs, mit dem man Plastikedelsteine aufs Haar kleben konnte. Die Puppe saß in der Ecke. Hübsch, schweigsam, unangetastet. Ich suchte derweil nach Action und Spannung, wollte Robin Hood sein oder Musketier. Ein Fuchs, der sich von Jäger*innen verfolgen ließ – das war mein Ding. Das Erwachsenenleben zu imitieren, erschien mir als das unkreativste Spiel der Welt. Und der Gedanke, irgendwann tatsächlich selbst Mutter zu sein, geradezu absurd. Denn was das reale Leben betrifft, stand es um mein kindliches Interesse an meinen noch kleineren Artgenossen nicht besser.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich keine Geschwister habe und nie Gelegenheit hatte, mich der Spezies Baby in ihrem natürlichen Lebensraum zu nähern. Aber ich wollte ein solches Wesen nie freiwillig im Arm halten. Was macht man damit? Kann es kaputtgehen? Was will es mir sagen, wenn es sabbert? Und wenn es anfängt, zu laufen und sprechen – worüber, um Himmels Willen, unterhält man sich mit einem Kleinkind?
Als ich während meines Studiums ein Jahr lang mit der zweijährigen Elena und ihren Eltern in einer WG wohnte, lernte ich: Man redet über geflügelte rosa Wölfe oder singt zusammen in Dauerschleife das Lied aus „Die unendliche Geschichte“. Elena war lieb, schlau und witzig. Meine Verunsicherung wich der Überzeugung, dass Kinder unter Umständen doch ganz cool sein können. Bloß: Ein eigenes zu haben, kam mir mit Mitte 20 noch nicht in den Sinn. Ich vertagte die Entscheidung auf ein diffuses Später.
„Ich vertagte die Entscheidung auf ein diffuses Später.“
Meine innere Uhr hat wohl die Zeitumstellung verschlafen
Elenas Mutter Paula sagte zu mir: „Ich hatte auch nie den Plan, Kinder zu bekommen, aber mit 30 wusste ich ganz plötzlich: Jetzt ist der richtige Moment.“ Bei Paula war alles so leicht, so selbstverständlich: Sie folgte ihrem Impuls, wurde einfach schwanger, als sie Lust darauf hatte. Inzwischen bin ich selbst fast 30. Und habe immer mehr Paulas kennengelernt, die mir mit dem weisen Lächeln lebenserfahrener Frauen erzählen: Warte nur ab, du wirst spüren, wenn es so weit ist. Allmählich sollte es so weit sein, dass ich etwas spüre. Aber mein Bauchgefühl ist absolut neutral. Wenn meine biologische Uhr überhaupt tickt, hat sie offenbar die Zeitumstellung verschlafen.
Vor Kurzem habe ich gelesen, wie wichtig es sei, mit seinem*r Partner*in früh zu klären, ob man Kinder möchte oder nicht. Das finde ich durchaus richtig und sinnvoll. Mein Problem ist nur: Ich weiß es einfach nicht. Immer noch nicht. Und ich habe keine Ahnung, woran das liegt. Mit etwa zehn Jahren stand für mich absolut und unverrückbar fest: Ich möchte selbst keine Kinder haben.
Mein damaliges Argument war rein rationaler Natur. Ich wollte nicht zur Überbevölkerung unseres Planeten beitragen, fand es unlogisch und egozentrisch, sich angesichts unserer Umweltprobleme überhaupt reproduzieren zu wollen. Das Beste, was man für seinen ökologischen Fußabdruck tun kann, ist nun einmal, keine Nachkommen zu gebären. Und die Erde, so war ich mir sicher, steuerte ohnehin auf eine Katastrophe zu. Wie herzlos konnte man sein, trotzdem Kinder in diese Welt zu setzen? Nur um zu sehen, ob es die Augenfarbe und die Sommersprossen geerbt hat, und um im Alter nicht allein zu sein?
„Sollte ich nur Kinder haben, um zu sehen, ob sie meine Sommersprossen geerbt haben?“
Inzwischen bin ich der Meinung, dass Kinder zwar einerseits unökologisch, aber andererseits auch die einzigen sind, die möglicherweise die Erde wieder zu einem lebenswerten Ort machen können. Wenn wir es selbst nicht mehr auf die Reihe kriegen. Und zugegeben, vor der Pubertät misst man dem Thema Alter vielleicht noch nicht ganz so viel Bedeutung bei. Später kam mir durchaus der Gedanke: Es wäre schön, eine neue Familie zu haben, wenn die eigenen Eltern irgendwann mal nicht mehr da sind.
Bei meiner Entscheidung für oder gegen Kinder bringt mich das allerdings nicht weiter. Denn der Wunsch, eine Familie zu haben, ist nicht gleichzusetzen mit dem Wunsch, ein Baby zu haben und Mutter zu sein. Mit allem, was dazugehört: schwanger werden, schwanger sein, unvorstellbare Schmerzen in Kauf zu nehmen, wenn es raus will. Sich kümmern wollen und müssen, vom ersten Moment an, für alle Momente, die danach folgen. Sich selbst immer an zweite Stelle setzen. Tendenziell würde ich sagen, dass ich nicht der Typ dafür bin. Aber manchmal denke ich, es könnte mich reizen, herauszufinden, ob ich mich irre. Zumindest theoretisch. Den Drang dazu spüre ich trotzdem nicht.
„Der Wunsch, eine Familie zu haben, ist nicht gleichzusetzen mit dem Wunsch, ein Baby zu haben und Mutter zu sein.“
Der Baby-Zug ist irgendwann abgefahren
Die Vorstellung, dass eine Frau grundsätzlich Kinder bekommen muss, gehört in die Zeit des Mutterverdienstkreuzes. Aber ich habe den Eindruck: früh oder spät Mutter zu werden, gar keine Kinder zu wollen; alles ist mittlerweile akzeptabel. Nur keine klare Meinung dazu zu haben ist ein Problem. Ich soll wollen, oder eben nicht. Aber bitte mit Überzeugung. Das Schlimme daran ist, dass die Natur bei dieser Sache ein Wörtchen mitzureden hat.
Sofern man sich nicht vorsorglich ein paar Eizellen einfrieren lässt, was schon allein aus Kostengründen für mich nicht infrage kommt. Ich kann mich auch mit Ende 30 noch entscheiden, ein Start-up zu gründen, eine Ausbildung zur Bühnenbildmalerin zu machen oder als Aussteigerin auf Madagaskar zu leben. Aber der Baby-Zug ist irgendwann abgefahren. Die Entscheidung für oder gegen Kinder ist die einzige, die ich ausschließlich in einem begrenzten Zeitfenster treffen kann. Und sie ist nie wieder rückgängig zu machen. Das vergrößert den Druck.
Normalerweise mache ich mir in Fällen, in denen meine Intuition komplett fehlt, eine Pro- und Kontra-Liste. Aber wie sollte die in diesem Fall bitte aussehen? Pro: Kinder sind cool, ich habe eine eigene Familie, erlebe noch etwas vollkommen Neues und Aufregendes, kann meiner Liebe zu Kuscheltieren frönen, ohne mich erklären zu müssen. Kontra: Ich habe jahrelang Schlafmangel, mache mir Sorgen, ob ich mir ein Kind überhaupt leisten kann und muss den Drahtseitlakt zwischen Familie und Karriere meistern. Diese Herangehensweise finde ich falsch. Familienplanung mag für einige funktionieren: sich vernünftig und abgeklärt mit seinem*r Partner*in zu überlegen, ob und wann es mit dem Nachwuchs passt, Fixpunkte im eigenen Lebenslauf zu setzen.
Ich persönlich kann Kinder aber nicht einfach planen, wie einen Urlaub oder einen Einkauf. Natürlich würde ich die Vernunft nicht ausblenden. Aber wenn ich mich entscheide, Kinder zu bekommen, dann möchte ich zuvor einen Moment haben, wie Paula ihn erlebte. Ob und wann das passiert, kann ich nicht beeinflussen. Aber ich weiß, dass ich die Idee lieben und spüren muss, dass ich mich mit offenen Augen in dieses Abenteuer stürzen will. Den Gedanken haben muss: Ich bin bereit, neues Leben entstehen zu lassen. Und ein Bauchgefühl, das mir sagt: In diesem Bauch möchte etwas wachsen.
Der Originaltext von Brigitte Rohm ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen
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