Foto: Lea Malo Espercieux | Unsplash

Wie es ist, seine Mutter im Hospiz zu verabschieden

Wie sagt man seiner eigenen Mutter, dass es sich nicht mehr zu
kämpfen lohnt? Unsere Community-Autorin Jenny musste genau das tun. Ein Bericht aus dem Hospiz.

 

Und plötzlich musst du die Starke sein

Dass sich das Fürsorgeverhältnis zwischen Eltern und Kindern an einem bestimmten Punkt dreht, ist sicherlich jedem bewußt. Dass du als Kind einem Elternteil vor Augen führen musst, dass es sehr bald sterben wird, ist allerdings fern von jeglicher Vorstellung.

Wie sagt man seiner eigenen Mutter, dass es sich nicht mehr zu kämpfen lohnt? Dass die Kraft, die sie alltäglich aufbringt, um eine Maske der Alltäglichkeiten und Kontrolle aufrecht zu erhalten, keinen Sinn mehr macht? Ich hätte gerne eine Bilderbuchantwort darauf, aber natürlich existiert diese nicht. Schließlich ist die Vorstellung schon so grausam, dass man sich mit den Gedanken darum gar nicht konfrontieren mag. Und doch ist auch dies bittere Realität.

Wie ehrlich darf ich sein?

Man könnte meinen, dass die Realität einen todkranken Menschen im Prozess des Krankheitsverlaufes einholt. Spätestens mit dem Einzug ins Hospiz stehen die Vorzeichen für alle Involvierten auf Abschied, nicht mehr auf Kampf. Aber es geht alles zu schnell. Es ist zu wenig Zeit. So hart und unfassbar schrecklich diese kurzen Wochen für uns Angehörige waren und sind – so unbegreiflich müssen sie für den Betroffenen zu verarbeiten sein. Was folgt ist ein hartnäckiger Verdrängungsprozess und daraus resultierend alltägliche Diskussionen um Nichtigkeiten. Ich kann das alles logisch verstehen, aber emotional nicht greifen. Ich hatte in den letzten Tagen schon so oft das Bedürfnis meine Mutter geradezu anzuschreien, dass sie mit der Scharade aufhören soll – dass sie ehrlich zu sich und zu uns sein soll. Und dadurch fühle ich mich schlecht. Also schlucke ich es runter und spiele weiter mit. Die Absurdität der Unterhaltungen nimmt dadurch natürlich nur weiter zu.

Welche Optionen haben wir nun? Weiter mitspielen und damit kostbare Zeit verschenken, aber einen todkranken Menschen in dem Glauben der Hoffnung lassen? Und in wieweit ist es wirklich Hoffnung und nicht nur Verdrängung? Ist es vielleicht auch nur unser eigener Egoismus anzunehmen, dass sich die Realität im gesprochenen Wort besser anfühlt? Ich weiß es nicht. 

Irgendwann geht es nicht mehr anders

Als Kernfamilie haben wir beschloßen, sofern es die Situation ergibt, ehrliche Worte anzubringen. Und wie das Leben eben immer so spielt, kam dieser Moment schneller als gedacht. Fast schon so, als ob eine nicht greifbare kommunikative Ebene herrschte, die aufgebrochen werden wollte. Denn es geschah nicht bei einem der vielen persönlichen Besuchen, sondern am Telefon. Im Hintergrund dudelte klassische Musik, meine Mutter berichtete mir vom Abendbrot und fragte mich, was ich noch in der Firma erlebt hatte. Fast schon eine inszenierte Normalität, die genau in dieser Form auch vor drei Monaten hätte stattfinden können. Und dann kam irgendwann der Satz: 

„Manchmal glaube ich, ich schaffe es diesmal nicht. Vielleicht komme ich nie wieder nach Hause.”

Was antwortet man da? Einen kurzen Moment wollte ich es einfach übergehen und der Situation damit entfliehen – bis mich eine innere Stimme laut fragte: „Und dann, Jenny? Wieder ins Hamsterrad?” Es war Zeit, das wußte und spürte ich an der abwartenden Stille am anderen Ende des Telefons. Und so ließ ich die Worte einfach herauströpfeln – anders lässt es sich nicht beschreiben. Denn eigentlich bin ich nicht auf den Mund gefallen. In meinem Gedächtnisprotokoll lief das dann in etwa so ab:

„Weißt du Mami, du hast Recht – diesmal werden wir es nicht schaffen. Und wenn du ehrlich zu dir selber bist, weißt du das auch.“

Mit leiser Stimme antwortete sie: 

„Das ist so schrecklich. Und du bist so realistisch.“

Ich musste ihr recht geben: 

„Ja das ist es. Es ist grausam. Und ja, das bin ich. Das muss ich grad sein – das müssen wir alle sein – für uns, für dich.“

Und dann kam das Wort, das so groß ist, dass du dir wie der
schlechteste Mensch auf dem Planeten vorkommst, wenn du es mit einem
Satz zerstörst: 

„Aber vielleicht ist da ja noch Hoffnung. Ich habe des doch schonmal geschafft.“

Aber ich musste ehrlich bleiben: 

„Weißt du Mami, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die lassen sich nicht erklären – das haben wir doch schon viel zu oft erlebt und ja, Hoffnung gibt es immer. Und dennoch sieht es so aus, als ob uns die Zeit davon läuft. Was im Jetzt wichtig ist, dass du auf dich  schaust – was du dir wünscht, was du dir von uns wünscht. Dass es dir gut geht,wir gemeinsame Zeit haben und alle die dich lieb haben, werden dafür Sorge tragen, dass es so ist.”

In einem Rosamunde Pilcher-Roman hätten die Beteiligten jetzt gemeinsam am Telefon geweint – bei uns wurde es allerdings still. Meine Mutter wollte nicht mehr sprechen. Das war viel, das war mir klar. Und so beendeten wir das Gespräch und ich blieb mit einem etwas erleichterten, aber dennoch schlechten Gewissen auf meiner Couch zurück.

Dieser Artikel ist zuerst auf Jennys Blog erschienen. Wir freuen uns, den Beitrag auch hier veröffentlichen zu können.


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