Wie fühlt es sich an, mit dieser partiellen, emotionalen Mondfinsternis zu leben? Ein Artikel, um sich verstanden zu fühlen oder um Verständnis zu entwickeln.
Der dumpfe Boden: Depressionen
Angst ist nicht das, was ich am meisten fürchte – obwohl ich als Mensch mit Panikstörung diese Anfälle aus heiterem Himmel kenne, die mir das Herz bis zum Hals schlagen lassen und mich in Sekundenschnelle mit Todesangst fluten bis unters Dach – sie sind es nicht, die mir das Leben manchmal unerträglich machen. Denn Angst ist ein sehr lebendiges Gefühl – sie fordert volle Konzentration, ein hohes Maß an Energie, alles verdichtet sich zu diesem einen, drängenden Gedanken: überleben, irgendwie da durchkommen. Die Muskeln hart, das Blut in den Adern pocht, die Luft wird knapp – und irgendwann dann schließlich die Entladung, wenn die Attacke ihren Klammergriff endlich löst und Entspannung meinen Körper erfasst. Hoch und Tief des Lebens, in wenigen Augenblicken. Anstrengend wie ein Marathonlauf. Aber immer noch bunt, wenn auch ein wenig schrill.
Aber was darunter liegt, das ist das wahrhaftig Beängstigende. Dieser matte, dumpfe Teppich, der dem Leben alle Farben entzieht und den Gefühlen den Sound abdreht. Depressionen. Lange drang ich gar nicht zu ihnen durch, nur ab und zu flackerte dieses seltsame Nichts in meiner Brust auf – lange Jahre war ich mit Angst beschäftigt, dann mit einer Essstörung und wenn ich nicht gerade mit einem von beidem rang, dann fand ich Wege, diese Leere zu betäuben. Konsum war einige Jahre lang mein bester Freund. Wenn man immer etwas herbeisehnt, den nächsten Kissenbezug, das nächste Paar Schuhe, wenn man sich richtig Mühe gibt, um eine oberflächliche Mitte zu kreisen und sich regelmäßig mit einem kleinen Endorphinrausch versorgt, hat die lähmende Traurigkeit es schwer, sich einzunisten. Natürlich war sie trotzdem da, wartete geduldig und ich wusste das – aber ich fürchtete sie so sehr, dass es lange dauerte, die anderen Schalen dieses Zwiebelprinzips der Gefühle abzublättern und mich zu trauen, sie anzusehen. Ihr wirklich zu begegnen.
Irgendwann drang sie zu mir durch
Nachdem ich meinen Blog erst auf nachhaltiges Interior Design umstellte und schließlich dann voll und ganz meinen eigenen Wortspielereien widmete – weil mir Kunst sinnvoller vorkam, als Konsum – sickerte sie langsam durch die Ritzen meines Bewusstseins. Schlich sich von hinten an und legte mir ihre klammen Finger um Herz und Verstand. Sie trieb die fröhlichen Gedanken zu den Toren hinaus und ließ mich direkt morgens in ein Gefühl absoluter Leere und fehlender Sinnhaftigkeit erwachen, das sich nur schwer wieder abschütteln ließ. Was auch immer ich tat, sie stand nebendran – allzeit bereit. Und manchmal schlug sie gerade dann zu, wenn etwas besonders schön war. Während ich mich über eine kleine oder große Sache freute, flüsterte sie plötzlich in mein Ohr: Aber am Ende ist doch alles sinnlos. Und ich fand keine geeignete Gegenrede. Gab ihr mit hängenden Schultern Recht und alles Glück wich jener trüben Mattigkeit, die mir das Hirn vernebelte und die Tage in Nächte verwandelte.
Ich glaube, die Depression ist schon lange in mir, ein Abgrund unter der dünnen Schicht Leben, die ich ihr abgetrotzt hatte, aber in dem Moment, als ich mich auf mich selbst besann, brach ich einfach ein. Immer, wenn Menschen den Kampf gegen sie verloren, Robert Enke, Robin Williams, Chester Bennington, ergriff mich Panik – wenn sie es nicht schafften (Menschen, die Zugang zu den besten Therapien hatten), wie konnte ich es dann schaffen? Wird mich diese partielle emotionale Mondfinsternis wirklich mein ganzes Leben lang begleiten?
Depressionen kann man nicht mit positiven Gedanken wegzaubern
Ich beneide glühend all jene, die mich nur verständnislos anschauen, wenn ich das Wort mit D in den Mund nehme. Was für gesegnete Wesen! Oft höre ich den Satz: „Aber warum fragst du dich denn nach dem Sinn des Lebens? Genieß es doch einfach!“ In ihrer Denkwelt eine logische Frage. In meinem Kopf nicht. Denn ich stelle mir diese Frage nicht. Das Gefühl ist einfach da. Es ist eine Form von Hoffnungslosigkeit, die sich einfach meiner bemächtigt, ohne, dass ich sie eingeladen, gebeten oder stundenlang darüber philosophiert hätte. Das ist ja das Heimtückische.
Natürlich gibt es, neben der allgemeinen Tendenz zur Dunkelheit, Phasen, in denen sich die Symptome noch verschlimmern. Nach der Trennung von meinem Mann vor einigen Wochen rieb sich die Depression begeistert die Hände, um anschließend wie eine Wahnsinnige über mich herzufallen. Ihre Wucht war so gewaltig, dass ich weiter gar nichts tun konnte, außer mich in den Wind zu stellen und die Wellen kommen zu lassen. Die guten Momente zum Atemholen zu nutzen – es waren wenige – und irgendwie daran zu glauben, dass es sich lohnt, weiterzumachen.
Ich muss die Verletzlichkeit zulassen
Denn meine Erfahrung ist auch die: Je mehr ich dagegen ankämpfe, je mehr ich sie nicht haben will, je angestrengter ich mit viel zu schwachen Glühbirnen gegen diese Schwärze anzuleuchten versuche, umso mächtiger wird sie. Deshalb gibt es immer diesen Moment, an dem ich – vorübergehend! – kapituliere. In dem ich akzeptiere, dass sie da ist und sie einfach da sein lasse. So geschehen vorletzte Woche, als ich einfach keine Kraft mehr hatte, an ihrem Rand zu balancieren. Dann tauche ich für einige Tage ab und gebe ihr den Raum, den sie so lautstark beansprucht. Und nach einer Weile lösen sich dann aus dieser Hoffnungslosigkeit wieder einige Gefühle, unangenehme meist: Traurigkeit, Wut, Einsamkeit, in letzter Zeit vor allem Einsamkeit. So, wie in der Dämmerung die Dinge um uns langsam wieder Konturen annehmen und sich aus der Dunkelheit herausschälen, schwappen dann diese Emotionen in mir hoch – sie zu fühlen ist ein steiniger Weg. Aber ich glaube, er ist der einzige Weg. Darin unterstützt und mir Kraft gegeben hat dieser TED Talk von Brené Brown über Verletzlichkeit, in dem sie sagt:
„Verletzlichkeit ist die Wurzel von Scham, Angst und unserer Sehnsucht danach, uns wertvoll zu fühlen. Aber sie ist ebenso die Geburtsstunde von Freude, Kreativität, von Liebe – du kannst deine Gefühle nicht partiell betäuben. Wenn du Scham und Angst betäubst, betäubst du im Gegenzug auch Dankbarkeit, Fröhlichkeit, Verbundenheit.”
Und das ist wohl wirklich so. Schließlich funktioniert meine besondere Sensibilität für die Moll-Töne genauso auf der Dur-Tonleiter. Oder, wie mein lieber Wörtertausch-Partner und Lieblings-Insta-Poet sommeraufdemdach es ausdrückt: „Wir Dichter sind Behältnisse für allerhand Gefühle. Das wird immer dazu gehören.” Ich hoffe trotzdem, dass sich die Zusammensetzung dieses Gefühlscocktails im Laufe meines Lebens ein bisschen mehr Richtung Sonnenseite ändert. Möglich wird das aber vermutlich nur dann, wenn ich bereit bin, alte Wunden heilen zu lassen und mich nicht zu betäuben. Dieser Ansatz begegnete mir auch in einer Online-Therapiestunde von Katy Perry, die es auf Youtube zu sehen gibt. Darin sagt Dr. Siri Singh, dass ein nicht authentisches Leben in verschiedenen „Lösungsstrategien“ münden kann: Betäuben (Konsum, Sex, Substanzen), Externalisieren in Wut, Internalisieren durch Depression oder die Umwandlung in körperliche Symptome. Wie wir uns denken können, sind alle diese Strategien zwar Krücken, aber meist sehr destruktive. Es gibt keinen Weg um den Schmerz herum. Wir müssen ihn suchen, wir müssen ihn annehmen, um ihn zu heilen. Ich versuche schon seit einer Weile, durch die Arbeit mit meinem inneren Kind diesen Gefühlen zu begegnen. Und ich mache Fortschritte, heule wie ein Baby und wühle mich durch Schichten und Schichten aus Schmerz – und dann gibt es Momente, in denen ich denke, es kann gar nicht genug Selbstliebe in mir geben. Dass diese Flut an Traurigkeit und Verlassenheitsgefühlen zu groß ist für mich. Deshalb bin ich froh und unendlich dankbar für all die lieben Menschen, die in dieser Zeit für mich an mich glauben – denn ich kann es nicht immer. In diesen Zeiten sind meine Freundinnen die Sterne an meinem Firmament.
Zufluchtsorte und Routinen helfen mir
Abseits davon gilt für mich: Natur, Sport, Meditation – meine heilige Dreifaltigkeit. Und, natürlich, die Lyrik, mein Zufluchtsort in Worten. Ansonsten gibt es noch das Credo: Jeden Morgen duschen. Klingt für Normalsterbliche ganz normal, für mich ist es das in depressiven Phasen nicht. Da braucht es dann manchmal mehrere Anläufe und klappt erst nachmittags oder am Abend – Home Office ist in dieser Hinsicht verführerisch. Und ich weiß, wenn ich diesen ersten Schritt morgens nicht schaffe, kann ich den Rest des Tages meistens in die Tonne kloppen. Deshalb versuche ich, liebevoll und gemeinsam mit der Depression unter dem warmen Wasserstrahl zu stehen und das Leben trotzdem immer wieder in Angriff zu nehmen. Spätestens, wenn ich dann im Wald stehe, den Wind in den hohen Bäumen rauschen höre und mich mit der Welt für ein paar Augenblicke verbunden fühle, dann weiß ich – es lohnt sich. Für diese Augenblicke lohnt es sich.
Allen da draußen, die auch gegen diese Krankheit kämpfen, wünsche ich Kraft, Zuversicht und schicke ihnen vielleicht wenigstens das Gefühl, nicht alleine zu sein!
Dieser Artikel erschien bereits auf Keas Blog www.kea-schreibt.de. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.
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