Bis vor zwei Jahren sang Adrineh Simonian als Mezzosopranistin, heute inszeniert sie ethisch korrekte Sexabenteuer vor der Kamera. Unser Partner ze.tt war beim Dreh dabei.
Es sieht echt aus wie auf einem Porno-Set
„Geht’s schon los?“, frage ich, als ich zur Tür hereinkomme. „Nein, zuerst gibt es immer etwas Süßes“, scherzt Adrineh Simonian aus der Küche. Eine junge Frau mit dunkelroten Haaren und einem runden Gesicht nimmt mich derweilen an der Hand. „Komm, ich zeig dir das Set“, erklärt sie mir, ohne sich die Mühe zu machen, erst mal Small-Talk zu führen.
Große schwarze Scheinwerfer stehen im Wohnzimmer. Das rote Ledersofa sieht aus, als wäre es vor langer Zeit einmal in Mode gewesen. Schwere ockerfarbene Vorhänge hängen steif von der Decke und riechen nach Asche. Neben dem Wohnzimmer ein Raum ganz in Schwarz. Die Blackbox. Wände, Fenster, das große Bett in der Mitte, alles von schwarzen Stoffen verhüllt. Die Scheinwerfer beleuchten das Bett. Darüber thront eine Kamera. Links und rechts davon sind weitere aufgebaut.
„Sieht ja echt aus wie auf einem Porno-Set“, entkommt es mir, bevor ich bemerke, wie lächerlich diese Aussage ist. Die junge Frau lacht und antwortet: „Sag mir das nicht, ich bin ohnehin schon ganz nervös.“ Erst jetzt wird mir klar, dass sie die Darstellerin des heutigen Filmes ist. Sie wird sich für die Plattform Arthouse ausziehen und vor laufender Kamera Sex mit sich selbst haben.
Sex vor einer Kamera hatte sie noch nie
In der Küche stehen Topfenstrudel, Plundergepäck und Schoko-Törtchen einer Wiener Traditions-Bäckerei auf dem Tisch bereit. In einer antiken Teetasse mit roten Rosen verziert türmen sich die Zigarettenstummel. Es wird geraucht, Kaffee getrunken und geplaudert. Über dies und das, von Politik bis Sex. Vier Frauen sitzen um einen Tisch wie zum Kaffeeklatsch. Dass hier heute noch Pornografie produziert werden soll, scheint unwirklich.
Die junge Frau, nennen wir sie Lisa, will ihren echten Namen nicht sagen und hat sich darum für das Format der „Blackbox“ entschieden. Inmitten der Licht- und Schattenspiele dieser Box ist es möglich, anonym zu bleiben, da der Körper nur bis zum Hals gefilmt und das Gesicht höchstens verschwommen gezeigt wird. Lisa hat ihre rot gefärbten Haare kunstvoll nach oben gesteckt. Unter ihren Augen sitzen zwei mit Kajal aufgemalte Punkte. Sie ist Mitte zwanzig, studiert Publizistik und will mal irgendwas mit Medien machen. Sex vor einer Kamera hatte sie noch nie.
Aber erst mal der Papierkram
Zahlreiche Drehs in der Vergangenheit hat Lisa abgesagt, weil sie kalte Füße bekam oder ihre Beziehung auseinander ging. Heute soll es endlich so weit sein. „Hoffe ich zumindest“, sagt sie. Lisa zieht so sanft an ihrer Zigarette, als könnte diese zwischen ihren Lippen zerbrechen. Während sie erzählt, lässt sie die goldene Kette an ihrem Hals keine Sekunde los: „Ich will Sex vor der Kamera endlich ausprobieren und Adrineh gibt mir die Möglichkeit dazu.“ Bevor es losgehen kann, kommt erst mal der Papierkram an die Reihe.
Im Vertrag steht beispielsweise, dass Lisa erst der Veröffentlichung ihres Clips zustimmen kann, wenn sie den fertig geschnittenen Film gesehen hat und theoretisch jeder Zeit ihre Zustimmung zurücknehmen kann. Derartige Klauseln sind in der Porno-Industrie keinesfalls üblich.
Die Produzentin und Regisseurin Adrineh Simonian ist Ethik in ihrem Beruf besonders wichtig. Das Hauptproblem in der Pornografie sei nach wie vor die Stigmatisierung, erklärt sie: „Wenn die Menschen das Wort Pornografie hören, denken sie automatisch an Mafia, Zuhälter, Prostitution und Gewalt.“ Nur mit Ethik kann sie gegen diese Stigmatisierung ankämpfen.
Von der Oper zum Porno
Für Adrineh Simonian begann das mit den Pornos in der Kantine der Volksoper Wien. Sie trank dort mit Freunden gerade einen Kaffee, als Kolleginnen und Kollegen am Nebentisch über Pornos diskutierten. Die Männer hielten sie für unproblematisch, die Frauen meinten hingegen Pornografie sei unmoralisch und frauenverachtend. Das Thema ging Simonian seither nicht mehr aus dem Kopf. An diesem Abend und an vielen folgenden dachte sie darüber nach: Gab es Pornografie, die ihr gefiel?
Sie beschäftigte sich mit den Regisseurinnen Erika Lust und Petra Joy. Simonian interessierte sich vor allem für die Psychologie hinter dem Sex. Mit 42 kündigte sie schließlich ihren Job als Mezzosopranistin an der Oper und begann feministische Pornografie in Wien zu produzieren. Dazu gründete sie die Firma „Arthouse Vienna“ und holte sich Patrick Catuz, den Autor des Buches „Feminismus fickt“ sowie ihre Nichte als Regieassistentin ins Boot. Heute produziert die ehemalige Opernsängerin hauptberuflich Clips wie Blind Date, in dem zwei Menschen mit verbundenen Augen miteinander schlafen, die sich noch nie zuvor gesehen haben. Oder eben die Black Box — wie an diesem Abend.
„Wann starten wir?“ fragt Lisa nach einiger Zeit. „Das bestimmst nur du“, antwortet ihr Simonian. „Dann los“ antwortet Lisa und lacht nervös. „Ach scheiße, ich hab das total vergessen.“ Alle im Team sehen sie erschrocken an. Lisa deutet auf ihren Arm. Niemand versteht. Als sich Lisa den engen Ärmel ihres Kleides hinaufschiebt, erscheint ein Tattoo auf ihrem Unterarm. Die Assistentin wird in die Nachtapotheke geschickt, um hautfarbene Pflaster zu kaufen. Währenddessen geht Lisa sich umziehen. Danach zeigt die Produzentin Lisa, wo sie sich hinlegen muss und stellt die Kameras ein. Das Team testet nochmals Ton und Einstellungen. Dann schließt Simonian die schweren, pompösen Türen des Wiener Altbaus und wünscht ihr „Viel Spaß.“
Wir trinken Kaffee und essen Plunder, während sie masturbiert
Nach Wunsch können Darsteller in der Blackbox alleine drehen, also ungestört Sex haben. Nur bei Paaren müsse sie und die Regie-Assistentin dabei sein, denn wenn zwei Menschen miteinander schlafen, passiere zu viel Bewegung, erklärt mir Simonian. Wir sitzen in der Küche und sprechen über Mainstream-Pornos, während Lisa im Nebenzimmer masturbiert. Immer wieder hören wir sie stöhnen. Alle zehn Minuten muss jemand aus dem Team in den Raum, da sich sonst die Kameras ausschalten. „Sie scheint Spaß zu haben“, meint die Assistentin, als sie gerade aus dem Zimmer kommt.
Simonian erklärt währenddessen, warum alternative Pornografie für sie so wichtig ist: „In der Mainstream-Pornografie siehst du nichts von der weiblichen Lust, als würde sie gar nicht existieren. Darum sind auch so viele Männer an meinen Filmen interessiert. Sie wollen mehr über die weibliche Lust erfahren.“ Ganz verteufeln will sie den Mainstream aber keines Falls, auch sie kenne Frauen, die gerne Mainstream-Pornos schauen. Es müsse aber trotzdem Platz für eine andere Art von Sexualität in der Pornografie geben, betont sie. „Durch den Feminismus haben Frauen langsam begonnen, sich zu öffnen und sich zu ihrer Sexualität zu bekennen. Warum sollten wir also unsere eigene Sexualität tabuisieren? Für mich geht Feminismus und Pornografie Hand in Hand“, so die Gründerin von Arthouse.
Ja, es gibt weibliche Lust
Wieder stöhnt Lisa einige Male laut auf. Noch bleiben die Türen verschlossen. Adrineh Simonian brennt für ihr Projekt, sie denkt nicht ans Aufhören. „Solange ich lebe, wird der Beruf der Pornoproduzentin stigmatisiert bleiben. Genau darum ist es wichtig, dass sich die feministische Pornografie weiterentwickelt. Männer bemerken erst langsam, dass es so etwas wie weibliche Lust überhaupt gibt. Es geht nicht nur um rein und raus.“
In den nächsten Tagen stehen für sie viele Aufnahmen an, zufrieden sind sie aber noch lange nicht. Sie wollen größer werden, mehr Drehs, ein eigens Büro. Wenn Simonian von ihren Zielen in der Zukunft spricht, holt sie weit aus: „Das mag jetzt wahnsinnig klingen, aber vielleicht helfen alternative Pornos eines Tages, dass Frauen in Afrika nicht mehr beschnitten werden.“ Das Team lacht über ihren Vergleich, Simonian meint es ernst.
Plötzlich hört sie auf zu erzählen und ihre Mundwinkel zieht es nach oben. Lautes Stöhnen ist bis in die Küche zu hören. Einmal, zweimal, kurze Pause und wieder. Kurz darauf kommt Lisa aus der Blackbox heraus. Als sich Lisa an den Tisch sitzt und eine Zigarette anzündet, sagt sie nur: „Ich hab Lust auf mehr. Das nächste Mal will ich mit jemandem gemeinsam rein.“
Der Originaltext von Eva Reisinger ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
Artikelbild: Franca Gimenez | flickr | CC BY-ND 2.0
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