Foto: Mareike Graepel

Wie der Müll eines Jahres in ein Einmachglas passt? So lebt Autorin und Bloggerin Shia Su

Der Müll von einem ganzen Jahr in nur einem Einmachglas! Wie soll das gehen? Shia Su macht’s vor: Seit Jahren lebt sie konsequent müllfrei und erklärt auf ihrer Website und in ihrem Buch, warum und wie sie das tut. Ihr ist wichtig, andere freundlich von dem sogenannten „Zero Waste“-Konzept zu überzeugen.

In Deutschland fällt mehr Müll an als in anderen europäischen Ländern

„Schon als Kind fand ich es unmöglich, wenn beim Einkaufen alles in Tüten gepackt wurde, wenn man doch Taschen mitbringen konnte“, sagt Shia Su. Gleichzeitig legt sie eine Edelstahldose heraus – sie wird nämlich an einem Greenpeace-Workshop teilnehmen und das am Rhein aufgestellte „Plastik-Monster“ besuchen. „Falls wir uns unterwegs was zu essen kaufen wollen.“ Vorausschauend den Tag zu planen gehöre zum Alltag ohne Müll dazu, und sei, so die 35-Jährige, nur eine Frage der Gewohnheit.

Am Anfang sorgte die Müllvermeidung für hochgezogene Augenbrauen, doch inzwischen hat ihr Verhalten auf ihr Umfeld abgefärbt: Wie selbstverständlich werden Stoffbeutel zum Brötchen holen oder Dosen für Reste im Restaurant eingesteckt. Gerade ist sie vom Digitalmagazin „Edition F“ aus mehr als 1.000 Nominierten in die Top 50 der Frauen, die mit ihrer Stimme unsere Gesellschaft bewegen, gewählt worden.

Ohne erhobenen Zeigefinger geht das Vermitteln ihres Konzepts und freundlich – obwohl ihre Message eindringlich ist und von harten Fakten belegt wird: In Deutschland fällt mehr Müll an als in den anderen europäischen Ländern, so das Umweltbundesamt in der 2018 veröffentlichten Studie zum Verpackungsverbrauch. 18,16 Millionen Tonnen werden demnach pro Jahr weggeworfen. Das sind mehr als 220 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Fast die Hälfte davon ging auf das Konto der privaten Verbraucher*innen.

Seit 1969 hat sich die Plastik-Produktion laut der Ellen MacArthur Stiftung weltweit um ein Zwanzigfaches erhöht. 95 Prozent der Produkte werden nach einmaligem Gebrauch weggeworfen. „Das soll nicht nach Weltuntergang klingen, aber der wissenschaftliche Stand ist nun mal, dass wir nur noch bis 2030,“ und da wird Shia Sus Stimme dunkel und ernst, „elf Jahre Zeit haben, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Ich will gar nicht erfahren, was passiert, wenn wir nichts tun.“

Die 35-Jährige ist kein alternativer Öko-Hippie und keine militante Weltverbesserin, sie spricht spontan und lustig, ist mitreißend und weiß die Fakten auf ihrer Seite. Sie nimmt wahr, was um sie herum in Sachen Abfall passiert. So liegt mein Notizbuch mit einem Kunststoff-Umschlag auf dem Tisch. Sie wirbt für eine Alternative, denn sie könne die Welt nur retten, „wenn mehr Menschen mitmachen“.

„Nicht supereasy, aber auch nicht unmöglich“

Und das geht zum Beispiel, in dem man sich im Supermarkt bewusst gegen Verpackungen aus Plastik, Aluminium und beschichteter Pappe entscheidet. Beim Orangensaft den Strohhalm dankend ablehnt und den To-Go-Kaffee in mitgebrachte Mehrwegbecher füllen lässt. Shia Su sagt: „Das verwirrte mich schon als Kind: Warum wissen erwachsene Menschen, dass das falsch ist und machen es trotzdem?“ Dabei kann sie jegliche Argumente à la zu schwierig, zu teuer, zu aufwändig mit wenigen Sätzen entkräften.

„Es ist nicht supereasy, aber auch nicht unmöglich. Man sollte nicht zu hart mit sich sein und man darf sich langsam umgewöhnen.“ Unverpackte Bioprodukte, Extra-Fahrten in einen auf unverpackte Produkte spezialisierten Laden – idealerweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – Einkäufe in Hofläden und auf Wochenmärkten wirkten auf den ersten Blick teurer. Aber: „Wer bewusster einkauft, verschwendet weniger – und spart bares Geld. Statistisch gesehen jährlich mehr als 200 Euro pro Person.“ Dem erhöhten Aufwand setzt Shia Su entgegen, dass es neben Unverpackt-Läden auch inhabergeführte Geschäfte gebe, in denen man nach Alternativen suchen könne.

Eine Frage der Gewohnheit

In ihrem Buch „Zero Waste: Weniger Müll ist das neue Grün“ und ihrem Blog www.wastelandrebel.com schreibt sie: „Wir wissen, dass der Müll – einmal aus der Wohnung und so aus dem Sinn gebracht – sich nicht in Luft auflöst, wir wissen von toxischen Mülldeponien.“ Später wird die 35-Jährige der Greenpeace-Chemikerin Viola Wohlgemuth zuhören, die von tonnenweisem deutschen Abfall im Meer vor Malaysia berichtet. In ihrem Buch heißt es: „Ich kann keine Gesetze erlassen, aber ich muss mich nicht dem Schuld-Ping-Pong zwischen Industrie und Konsument*innen ergeben – in dem die einen sagen, wir würden ja, aber dann kostet es so viel, dass es keiner kauft, und die anderen verlangen, dass sich die Industrie ändert.“

Sich selbst bezeichnet sie als „Quereinsteigerin“. Wie Millionen anderer hatte Shia Su im Job – als Projektmanagerin einer IT-Firma – viel Stress und wenig Zeit. Das heißt, sie hat häufig einen Fertig-Salat in der Plastikverpackung mitgenommen und sich jedes Mal aufs Neue darüber geärgert. Irgendwann reichte es ihr, sie hängte 2014 den Job an den Nagel und änderte ihr Verhalten radikal: „Ich war rundum unzufrieden und wollte nicht mehr Teil des Immer-neue-Produkte-auf-den-Markt-werfen-Hamsterrades sein.“

Ein Kühlschrank ohne Plastik: Auf Dauer lebt es sich müllfrei günstiger und gesünder, glaubt Shia Su. | Foto: wastelandrebel.com


Heute kann sie von Bucherlösen, ihrem Blog und Nachhaltigkeitsberatung leben. Sie zog mit ihrem Mann nach Bochum um, später nach Köln, beide ihren Alltag auf vegan um und sie nutzte ein Jahr zusammengesparter Auszeit, um ihr Konsumverhalten zu überdenken. „Ich hatte damals einen Kuchen-Blog und habe zu den Zutaten aufgeschrieben, wie man sie ohne Müll einkaufen kann“, erinnert sie sich. Als die Leser*innen anmerkten, dass sie das doch separat machen könne, war die Website geboren.

Das Buch folgte 2016 und ist auch als E-Book erhältlich. Spülmaschinenpulver aus Natron und Zitronensäure selber machen, mit Roggenmehl Haare waschen, Sonnenblumenöl statt Bodylotion nehmen, Stoff-Slipeinlagen selbst nähen und ohne Kassenbons überleben: Shia Su empfiehlt müllfreie Alternativen für Haushalt, Körperpflege und Co. Ebenso gibt es Tipps zum Kompostieren, was sogar in Mietwohnungen möglich sein soll. Ihr Credo: „Einfach anfangen. Überall, wo einem unnötiger Müll begegnet, charmant nach einer Alternative fragen. Und den nächsten Unverpackt-Laden aufsuchen.“ Und schon geht’s zum Rhein. Denn dort wartet das Greenpeace-Team.

Frauen sind das umweltbewusstere Geschlecht

Die Sonne knallt vom Himmel, die Menschen flanieren vorbei, mit zwei Eiskugeln im Plastikbecher, Einwegflaschen in der Hand und Kindern im Schlepptau, die voller Begeisterung den sechs Meter hohen, bunten Drachen bestaunen. Dabei besteht der Drache aus Shampooflaschen, Lebensmittelverpackungen und Hygieneartikeln, zum Großteil von Firmen wie Unilever, Procter & Gamble und Nestlé. Deshalb steht in großen Lettern: „Nestlé! No excuse – stop single use!“

Shia Su wird zusammen mit anderen Influencer*innen vor Betreten des Schiffes gebrieft. Neben Schauspieler und Umweltaktivist Daniel Roesner sind es vor allem Frauen. Auch Studien belegen, dass Frauen das umweltbewusstere Geschlecht sind. Su macht sich Notizen, fotografiert und tauscht sich mit den anderen aus; kurz vor Feierabend geht es um Anfragen von Konzernen.

„Mich hat McDonald’s mal für eine Kooperation angefragt“, erzählt sie. „Verrückt!“ Auch die anderen berichten von Anrufen von Kleiderketten wie H&M. „Es ist zwar gut, dass die Konzerne merken, dass es ein Umdenken in der Gesellschaft gibt und dass sie mit Berater*innen wie uns besser dastehen können,“ sagt Shia Su, „aber ich mache solche Sachen fast nie, obwohl ich täglich Anfragen bekomme.“

Viel wichtiger sei ihr, beim WDR-Sender „Cosmo“ ihren „Nachhaltigkeitstalk“ zu halten und pragmatisch für ein Leben ohne Müll zu werben. Es gibt zwar ein paar Dinge, die sich auch in ihrem Leben nicht vermeiden lassen: „Ich habe zum Beispiel viel mit Allergien zu kämpfen und nehme Tabletten, die es in Deutschland nur in den sogenannten Blistern gibt. Und ich bin tollpatschig und brauche öfter Pflaster.“ Aber Aktivistin Su findet: „Wenn ich es schaffen kann, meinen Müll von einem Jahr in einem Einmachglas unterzubringen“ – sie holt es aus dem Schrank – „dann kann das jede*r, der*die möchte, dass wir eine Zukunft auf diesem Planeten haben.“

Von Mareike Graepel, Köln

 

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