Vor 40 Jahren kam das erste Baby zur Welt, das außerhalb des Körpers gezeugt wurde. Auf EDITION F erzählen Frauen von ihrem Weg durch die Kinderwunschbehandlung. Franziska war erstaunt, dass ungewollte Kinderlosigkeit immer noch ein solches Tabu zu sein scheint – und hat gemeinsam mit ihrem Mann entschieden, offen mit ihrer Situation umzugehen.
Franziska Gärtner, 32:
„Wir sind seit sechs Jahren zusammen, seit dreieinhalb Jahren versuchen wir, ein Kind zu bekommen – mittlerweile weiß ich, dass es auf natürlichem Weg nicht klappen wird. Wir haben es zwei Jahre lang ganz locker versucht und haben uns keine großen Gedanken gemacht, meine Frauenärztin hat dann einige hormonelle Untersuchungen gemacht, mir ein pflanzliches Mittel zur Regulierung meines Zyklus empfohlen, nach einem halben Jahr wusste sie aber auch nicht weiter und empfahl uns, einen Termin in einem Kinderwunschzentrum zu machen.
Ich hatte 2008 Gebärmutterhalskrebs. Der Arzt in der Kinderwunschpraxis sagte gleich beim ersten Gespräch, dass ich wegen der beiden Konisationen, die damals gemacht wurden, nicht schwanger werden könnte. Bei einer Konisation wird ein kegelförmiger Anteil des Gebärmutterhalses abgetragen, um betroffenes Gewebe zu entfernen – der Arzt meinte, es sei unmöglich, dass sich eine befruchtete Eizelle auf natürlichem Weg in meiner Gebärmutter einnistet. Außerdem stellte er ein leichtes PCO-Syndrom und einen unregelmäßigen Eisprung fest. Jedenfalls sagte er uns, dass ich auf natürlichem Weg nicht schwanger werden würde und empfahl uns eine IVF.
Unfassbar ungerecht
Für uns war das ein Mega-Schock, ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, sondern war irgendwie davon ausgegangen, dass ich gesagt kriege, das und das müssen Sie machen, und dann wird das schon … und die ganzen Gefühle, mit denen ich glaubte, nach der überstandenen Krebserkrankung abgeschlossen zu haben, kamen wieder hoch: Ich haderte, war unendlich traurig, und fand es so unfassbar ungerecht, dass ich damals schon so leiden musste, und der Krebs jetzt wieder in mein Leben trat, indem er eins meiner wichtigen Lebensthemen bedrohte.
Das zweite Beratungsgespräch wenige Wochen später brach der Arzt nach 20 Minuten ab, nachdem mein heutiger Mann gesagt hatte, dass er sich nicht von einem Arzt zur Hochzeit drängen lassen wolle, sondern darüber gern selbst entscheiden wolle – der Arzt hatte uns gerade klargemacht, dass wir unbedingt sofort heiraten müssten, damit die Kosten der Behandlung nicht gesprengt würden. Er empfahl uns sogar ungefragt Standesämter, wo man sofort einen Termin kriegen würde. Das hat mich auch so unendlich wütend gemacht: dass in Deutschland im Jahr 2017 derart antiquierte Maßstäbe angelegt und Paaren solche Steine in den Weg gelegt werden. Was gibt es für ein deutlicheres Zeichen, dass man es ernst meint, als sich gemeinsam für den Weg einer Kinderwunschbehandlung zu entscheiden? Ich habe mich so ausgeliefert gefühlt.
Der Start der EDITION F-Serie
40 Jahre IVF: Wie Frauen heute eine Kinderwunschbehandlung erleben
Am 25. Juli 1978 wurde in Großbritannien Louise Joy Brown geboren, das erste Retortenbaby der Welt, gezeugt außerhalb des Körpers. Mittlerweile gibt es Millionen Kinder, die so entstanden sind – doch für jedes Paar, jede Frau ist eine Kinderwunschbehandlung bis heute eine Zeit voller körperlicher und seelischer Herausforderungen. Und von politischer Seite wird vielen Paaren bis heute die Unterstützung verweigert. Weiterlesen
Ich selbst wäre tatsächlich am nächsten Tag zum Standesamt gerannt, um sofort loslegen zu können, aber im Rückblick bin ich meinem Mann so dankbar, dass er sich damals gegen dieses Schnell-Schnell gewehrt hat. Es war genau richtig so, wir hatten im Juni eine wunderschöne Hochzeit, in den letzten Monaten war das schöne Thema Hochzeitsvorbereitungen so präsent, dass das Thema Kinderwunsch eine Zeitlang in den Hintergrund rücken konnte.
„Dann lassen wir es doch einfach“
Unsere Beziehung ist durch diese Erfahrung noch intensiver geworden, wir trösten uns gegenseitig, machen gemeinsam Witze darüber, dass wir uns eine Schildkröte als Haustier anschaffen, sollte es mit Kindern nicht klappen, die bleibt dann ein Leben lang bei uns.
Aber natürlich gab es auch Tiefs; als ich nach dem zweiten Gesprächstermin ewig keinen Heiratsantrag bekam, entstanden bei mir schon solche Gedanken: ,Dann lassen wird es doch einfach‘, oder ,Soll er sich doch eine andere Frau suchen, dann hat er weniger Probleme.‘ Aber wir haben gemerkt, dass wir aufeinander zählen konnten, und natürlich war unsere Hochzeit eine Erfahrung, die uns noch näher zusammengebracht hat. In so einer Situation merkt man erst, ob eine Beziehung stark genug ist, so eine Krise auszuhalten.
Wir haben gemeinsam beschlossen, mit dem Thema möglichst offen umzugehen und uns – falls nötig – auch schnell um psychologische Begleitung zu kümmern. Ich finde es total schade, dass ungewollte Kinderlosigkeit anscheinend immer noch so ein Tabu ist, in unserem Freund*innenkreis wurde darüber bisher überhaupt nicht gesprochen – mich haben die vielen gut gemeinten Tipps von Freund*innen oder Leuten, die einfach keine Ahnung über unsere Situation haben, belastet. In jeder Geburtstags- oder Weihnachtskarte stand irgendeine Anspielung auf Kinder. Ich wollte das von der Seele haben und nicht jedes Mal einen kleinen Stich ins Herz kriegen, wenn schon wieder jemand nach Kindern fragt oder eine Anspielung macht, dass es doch jetzt mal ,langsam Zeit wird‘.
Manchmal kommen unschöne Gedanken
Und klar, manchmal kommen solche unschönen Gedanken, warum eine Familie so viele Kinder hat und sich nicht mal gescheit um die kümmert, und ich selbst habe keins – aber ich weiß, dass das zu nichts führt und ich die Situation anderer nicht auf mich beziehen sollte.
Ich habe das Glück, dass ich mit meinen Chefinnen offen über meine Situation sprechen konnte und sie mich voll unterstützen, das ist eine große Erleichterung. In früheren Jobs hatte ich immer auch Angst davor, schwanger zu werden – wegen des Jobs.
Ich habe in den Wochen nach der Diagnose begonnen, ein kleines Tagebuch zu schreiben, in dieser Zeit war da eine große Trauer in mir, und ich wollte irgendwohin mit meinen Gefühlen, ohne meinen Mann jeden Tag damit vollzujammern. Heute schreibe ich nur noch ab und zu etwas auf, aber damals hat mir das total gutgetan, um meine Gefühle zu sortieren und mich zu finden.
Maßnahmen zum „Dazubuchen“
Was mich auch wütend macht, ist diese riesige Industrie, die hinter dem Thema Kinderwunsch steckt, ich dachte, das ginge erst nach der Geburt eines Kindes los. Unser erster Arzt fragte allen Ernstes, ob wir lieber Porsche oder Mercedes hätten, als er uns die ganzen zusätzlichen, privat zu bezahlenden Maßnahmen aufzählte, die man „dazu buchen“ kann, um die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen. Wer würde nicht den Porsche nehmen, wenn man es sich irgendwie leisten kann?
Nun haben wir im Sommer ein Beratungsgespräch in einer neuen Kinderwunschpraxis, und ich bin total gespannt, ich bin aufgeregt und will, dass es endlich losgeht. Ich fühle mich wie vor einer großen Reise.“
Protokoll: Lisa Seelig
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