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Jeden Morgen Tränen in der Kita – ist meine Tochter zu sensibel?

Die Tochter unserer Community-Autorin Anna-Lena ist sehr ängstlich und macht sich für ihre fünf Jahre viel zu viele Sorgen. Dabei wächst sie doch unbeschwert und mit viel Liebe auf. Woher kommen diese Ängste und Sorgen und wie kann ihre Mutter ihr dabei helfen?

Keine Lust auf Ratgebergersülze

Es gibt unzählige Ratgeber zum Thema Kindererziehung und Kinderentwicklung. Zugegeben, ich habe bisher noch keinen einzigen gelesen. Ich dachte immer, ich würde schon instinktiv alles richtig machen. Ich brauche keinen Ratgeber, der am besten noch von einer kinderlosen Person verfasst wurde, die zwar Kinder- und Jugendpsychologie studiert hat, aber noch nie länger als zwei Stunden alleine auf ein oder gar mehrere Kinder aufgepasst hat. Nein, das wollte und will ich mir nicht geben.

Hinzu kommt meine ausgeprägte Lesefaulheit und die angeborene (ich glaube ja fast vererbte) Sturheit, die es mir in vielen Situationen schwer macht, Hilfe anzunehmen. Aber nun gut, ich habe eben großes Vertrauen in meine Fähigkeiten und die meines Partners. Ich vertrauen darauf, dass wir unserer Tochter gegenüber in erster Linie alles richtig, statt vieles falsch machen. So weit die Theorie. In der Praxis war es von Geburt unserer Tochter an so, dass ich tatsächlich viel mit mir, meiner Erziehung und an meinem Verhalten gegenüber diesem winzigen Geschöpf gezweifelt habe.

Zu viel Empathie?

Das erste Mal, als ich mich mit meinen Erziehungsmethoden auseinandersetzen musste, war, als die Erzieherinnen aus Milas Kita mir sagten, sie seien der Auffassung, dass unser Kind Schwierigkeiten hätte, mit emotionalen Situationen umzugehen. Sie sei beinahe zu empathisch, unglaublich ängstlich und wäre schnell überfordert. Ich fand das im ersten Moment fast sympathisch. Als die Erzieherinnen dann aber eine Empfehlung für einen Heilpädagogen aussprachen, kamen mir doch große Zweifel. Ist mein Kind wirklich emotional überfordert? Bin ich am Ende schuld? Denn zugegeben, ich bin von Natur aus eine Person, die sehr verkopft ist und sich sorgt. Habe ich das am Ende auf mein Kind übertragen?

Um bloß nichts falsch zu machen, sind wir damals also dem Rat der Erzieher gefolgt und saßen nur wenige Wochen später mit unserer Kleinen – sie war damals zwei Jahre alt – bei einer Heilpädagogin, ohne jedoch wirklich zu wissen, was wir dort überhaupt sollten. Die Dame war, Gott sei dank, sehr nett. Nach zwei Sitzungen, bei denen einmal ich mit meiner Tochter vor laufender Kamera spielen sollte und mein Partner beim nächsten Termin das selbe tat, stellte die freundliche Expertin fest (wir hatten die entstandenen Videos gemeinsam analysiert), dass unser Kind ganz „normal“ und erfreulich unauffällig sei. Erleichterung!

Besorgt um Mama

Trotzdem habe ich seither mehr auf das Verhalten meiner Tochter geachtet. Und ich muss zugeben, sie ist tatsächlich schnell emotional überfordert, macht sich für ihre jungen Jahre viel zu viele Sorgen und Gedanken und schränkt sich damit doch in einigen Situationen sehr ein. Ich möchte fast sagen, dass ihr manchmal diese Unbeschwertheit fehlt, die man als Kind eigentlich haben sollte.

Ein Beispiel: Ich fahre Mila zu ihrer Oma, zu der sie immer sehr gerne geht, verabschiede mich von ihr und sie fängt furchtbar an zu weinen. Aber nicht etwa, weil sie nicht alleine bei Oma bleiben möchte. Als ich sie frage, warum sie denn jetzt so traurig sei, sagt mir meine damals dreieinhalbjährige Tochter: „Dann bist du ja ganz alleine Mami.“ Sie sorgte sich also um mich, ihre Mutter. Dabei war ich ehrlich gesagt heilfroh, sie bei meiner Mama, ihrer Oma, endlich mal für eine Nacht abgeben zu können. Ich habe ihr also in keiner Weise das Gefühl vermittelt, dass ich mich einsam fühlen würde, sobald ich sie bei Oma abgebe – im Gegenteil. Trotzdem war sie ganz aufgelöst.

Bloß nicht zu spät kommen!

Jeden Morgen findet in Milas Kita der Morgenkreis statt. Es wird gesungen, erzählt und jedes Kind willkommen geheißen. Dieses Ritual findet jeden Tag um 9 Uhr statt. Falls man es nicht schafft, sein Kind pünktlich zu diesem beliebten Happening abzugeben, sind die Eltern aufgefordert, die Kinder erst nach dem Morgenkreis zu bringen, da sonst diese wichtige Tradition gestört würde. Es gibt also die beiden Optionen: pünktlich zum Morgenkreis oder unpünktlich und erst nach dem Morgenkreis. Wenn wir morgens einmal verschlafen und die Gefahr besteht, zu spät zum Kindergarten zu kommen und dadurch den Morgenkreis zu verpassen, wühlt das Mila fürchterlich auf.

Von anderen kinderhabenden Freunden weiß ich, dass solch eine Stresssituation am Morgen eher dazu führt, dass die Kinder noch mehr bocken als sonst, alles noch länger dauert und die Kinder nur dank Erpressung („Du bekommst dafür auch etwas Süßes“) und in jedem Fall mit lautstarkem Protest endlich den Weg ins Auto, den Fahrradanhänger oder den Kinderwagen finden.

Erst neulich haben wir verschlafen. Ich habe Mila geweckt und ihr gesagt, dass wir uns beeilen müssten, da wir sonst den Morgenkreis verpassen würden. Kein Stress, kein Geschrei. Stattdessen verzichtete Mila freiwillig auf ihr Morgenritual (im Schlafanzug und mit einer Schale Müsli vor die Lautsprecherbox sitzen und ein Märchen anhören), zog sich schnell an, putzte die Zähne. Klingt erstmal nett. Aber eben nicht ganz nach einer Fünfjährigen. Sie war sehr besorgt, dass wir den Morgenkreis nicht mehr rechtzeitig schaffen würden, bat mich um Eile bei meiner Morgenhygiene und war sehr aufgewühlt. Ihr machte dieses eventuelle Zuspätkommen wirklich große Sorge.

Dank ihrer Kooperation und Eile sind wir also nicht zu spät gekommen – by the way: wir sind noch nie zu spät gekommen.

Tränen in der Kita

Die Sorge, dass wir aber jemals dieses wichtige Ereignis verpassen könnten, ist bei Mila stark ausgeprägt. Ich gebe sie also pünktlich in der Kita ab, habe damit ihre Sorge des Zuspätkommens zunichte gemacht, doch anstatt sich zu freuen, plagt sie bereits die nächste Angst. Diese ist relativ neu hinzugekommen. Die neuste Sorge von Mila ist die, dass wir sie nicht rechtzeitig aus dem Kindergarten abholen. Tränen statt Jubel.

Immerhin kenne ich bei dieser Sorge den Ursprung. Denn tatsächlich habe ich sie ein Mal später als gewohnt abgeholt. Statt um vier Uhr war ich erst um halb fünf da. In dieser halben Stunde wurden die meisten Kinder schon von den Eltern abgeholt, zudem war es schon dunkel draußen (danke Winter). Ich fand meine Kleine also weinend im Arm einer Erzieherin vor, die mir gleich die Situation erklärte und sagte: „Mila hatte Angst, dass dir etwas passiert ist.“ Statt wütend zu sein, weil Mama zu spät kommt, statt mich mit Missachtung zu strafen, rannte sie mir entgegen, nahm mich fest in den Arm und sagte: „Ich dachte du hattest einen Unfall.“ Niemals musste meine Tochter einen Unfall miterleben. Niemand in der Familie hatte je einen Unfall gehabt. Lediglich ihr Opa ist vergangenes Jahr nach schwerer Krankheit gestorben. Könnten es Verlustängste sein, die sie seither plagen? Ich bin ehrlich gesagt ratlos.

Jeden Morgen das gleiche Spiel

Seit diesem Vorfall – meiner 30-minütigen Verspätung – gibt es beinahe jeden Morgen Tränen im Kindergarten. Schon hunderte Male haben mein Mann oder ich ihr erklärt, dass sie niemals alleine im Kindergarten sein wird, es sind immer Erzieher da und wir werden sie immer abholen. Das Versprechen, dass ich immer pünktlich sein werde, möchte ich ihr nicht geben, denn ich werde es wahrscheinlich nicht einhalten können. Jemandem Pünktlichkeit zu versprechen, der ohnehin die Uhrzeit noch nicht beherrscht, ist auch etwas schwierig.

Wir haben versucht sie zu beruhigen, ihre Angst zu nehmen, doch bisher leider vergebens. Jeden Morgen das gleiche Spiel. Heute habe ich mich gar nicht darauf eingelassen, habe sie einfach weinend der Erzieherin übergeben und bin schnell gegangen. Das schlechte Gefühl bleibt. Ich weiß auch von den Erzieherinnen, dass sie sich immer schnell beruhigt und ich bin auch sonst überzeugt, dass sie sich im Kindergarten wohl fühlt. Denn beim Abholen, beim pünktlichen Abholen, ist Mila immer gut drauf.

Mit etwas Zeit und viel Liebe…

Ich bin immer wieder extrem verunsichert, ob wir alles richtig machen. Warum ist Mila so verkopft? Warum macht sie sich so viele Sorgen und Gedanken, wo sie doch noch ein Kind ist – zumal eines, das eigentlich sorgenfrei aufwächst. Wir wissen es nicht. Und ich weiß aktuell nicht, was ich tun kann. Wie kann ich ihr helfen? Braucht es einen Psychologen?

Wahrscheinlich braucht es einfach nur Zeit, viel Liebe und Geduld. Und das haben wir zum Glück im Überfluss…

Dieser Artikel ist zuerst auf Anna-Lenas Blog killepupmitlala erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu dürfen.

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