Foto: Flo Karr | Unsplash

Liebe Ratgeber, hört auf mir zu sagen, ich bräuchte ein Vision um glücklich zu sein!

Unsere Community-Autorin Julia hat lange nach der einen großen Vision gesucht und nichts gefunden. Inzwischen hat sie gelernt, dass sie auch ohne Lebenstraum glücklich sein kann.

Manifestation als Weg zum Ziel

Wer Ratgeber, Bücher über positive Psychologie und spirituelle Lebensweisheiten liest und parallel auch noch motivierende Podcasts, Youtube-Videos oder Instagram-Accounts verfolgt, der stolpert auch immer wieder über Aussagen wie:

„Deine Gedanken werden deine Wirklichkeit!“

„Erstelle ein Visionboard!“

„Visualisiere deine Träume!“

„Manifestiere deine Ziele!“

Das klingt alles sehr logisch und ich bin überzeugt, dass Manifestation ein Schlüssel zum Erfolg ist. Wenn ich ganz fest an meine Vision glaube, dann kann ich alles erreichen. In diesen Büchern, Videos und Trainings werden einem Tools mitgegeben, die helfen, seine Ziele zu erreichen und Grundelemente vermittelt wie Mut, Energie und Ausdauer zu vermitteln. Danach heißt es dann: Voll Kraft voraus, um seine Träume umzusetzen.

Bin ich innerlich blind?

Das Internet ist voll von inspirierenden Erfolgsstories. Viele wussten schon als Kind, was sie mal werden wollen, Andere entwickelten aufgrund von traumatischen Ereignissen eine neue Lebensvision und wieder Andere stellen ihr ganzes Leben im hohen Alter noch mal komplett auf den Kopf und verwirklichen ihre Träume.

Bei der Frage: „Was wolltest du als Kind werden?“, verstumme ich immer ganz schnell, denn ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht gab es da auch einfach keinen besonderen Wunsch.

Was ist, wenn ich innerlich blind bin und gar keine Vision sehen kann? Was ist, wenn ich gar nicht den einen Traum habe und mein Leben nicht bildlich vor meinem inneren Auge abläuft? Wie kann ich dann all die tollen Tools anwenden, die in den Ratgebern angepriesen werden?

Die verzweifelte Suche nach einem Traum

Ich versuche verzweifelt diese Vision, diesen Traum zu finden. Stattdessen tappe ich im Dunklen. Etwas stimmt nicht mit dir, hör ich mich sagen. Bin ich etwa die Einzige, die sich nicht festlegen kann?

Na klar hätte ich auch gern einen fetten Lottogewinn, ein tolles Heim mit einer liebevollen Familie und eben all die klassischen Wünsche. Aber das ist nicht der Traum meines Lebens. Es scheint so schwer zu sein, seine Visionen umzusetzen – man muss durch das Tal der Angst gehen, Ablehnung einstecken , Selbstzweifel überwinden, finanzielle Wagnisse eingehen, Urvertrauen finden und weitere Bereiche seines Innersten selbst erforschen — und ich scheitere schon am allerersten Schritt? Das kann doch nicht sein.

Ich bin ein Scanner

Mich begeistern so viele Sachen, dass mich manchmal schon allein das überfordert. Ich möchte immer alles jetzt sofort wissen, entdecken und erforschen. Stundenlang recherchiere ich im Internet, kontaktiere Leute, lese Bücher und besuche Workshops. Aber kein Thema hält mich lange genug fest. Nichts schafft es meine ganze Konzentration, Risikobereitschaft und Begeisterungsfähigkeit für sich zugewinnen. Die Begeisterung ebbt leider meistens genauso schnell wieder ab, wie sie kam.

Man unterscheidet Menschen wohl in zwei Gruppen: Diver und Scanner. Die Diver haben die Fähigkeit tief in ein Thema einzutauchen und darin vollends aufzugehen. Die Scanner hingegen können sich für viele Themen begeistern und haben eher ein generelles Wissen auf den verschiedenen Gebieten. Menschen, die sich vielschichtig begeistern, aber nie wirklich Spezialisten werden, bezeichnet man im englischen auch als multipotentialite. Aber ist das am Ende nicht nur die Unfähigkeit, sich auf eine Sache festzulegen, aus Angst ein anderes spannendes Feld zu verpassen, ein Risiko einzugehen oder zu scheitern?

Ich bin auf jeden Fall erleichtert, dass es einen Begriff gibt für Menschen wie mich. Das gibt mir das Gefühl, dass ich nicht alleine bin und dass es nichts Schlechtes sein muss, wenn man sich nicht auf eine Sache festlegt.

Der Weg ist das Ziel

Ich spüre diese unbändige Energie in mir, die endlich losgelassen werden will auf eine Vision. Dabei glaube ich daran, dass wir unseren „Purpose of Life“, also den Sinn unseres Lebens, selbst bestimmen können und das nicht von einer übergeordneten Macht festgelegt wird. Es gibt kein Rätsel, das es zu entschlüsseln oder einen Schatz, den es zu finden gilt.

Letztendlich ist es egal, welchen Weg wir gehen. Wichtig ist nur der Weg selbst. Den sollten wir uns so schön wie möglich machen, voller Blumenwiesen, Sonnenbänken, entlang an kristallklaren Flüssen und grossen Bäumen.

Ich habe viel zu all diesen Themen gelesen und für mich entschieden, dass es ok ist keine Vision zu haben und darauf zu vertrauen, dass diese noch kommen wird. Bis dahin lasse ich mein Leben fließen,  folge meinen Impulsen und meiner Intuition statt Ratgebern.  Ich erlaube mir, dem Leben zu vertrauen und mich nicht verrückt machen zu lassen von meinem Umfeld, das Häuser erbaut und Babybäuche streichelt. Sollen Andere doch Social-Media-Happy-Life-Stories posten. Ich genieße lieber und mache, was sich gut anfühlt. Auch ohne große Vision dahinter.

Mehr bei Edition F

Achtsamkeit? Lasst mich mit eurem Eso-Kram zufrieden! Weiterlesen

Über die Kunst, wirklich bei sich zu bleiben – jenseits aller Ratgeber und Methoden. Weiterlesen

Michael Kurth: „Wir sollten öfter darüber nachdenken, was uns genau jetzt glücklich macht.“ Weiterlesen

Anzeige