Geschwister sind vieles gleichzeitig: Verbündete, Kritiker und die vielleicht größten Konkurrenten. Damit helfen sie uns zu wachsen – und sind deswegen mit die wichtigsten Bezugspersonen in unserem Leben.
Der ehrlichste Kritiker
„Ich brauche deine GoPro für meine Surfversuche auf Bali, kann ich die später abholen?“ Als Antwort höre ich am anderen Ende der Leitung nur schallendes Gelächter. „Schwesterherz, was genau willst du denn filmen, du wirst doch nicht
einmal richtig auf dem Brett stehen. Aber klar, komm vorbei!“
Vielleicht hat er ja Recht. Dieser Ton ist auf jeden Fall normal zwischen uns. Geschwister haben ihre eigene intuitive Art miteinander zu kommunizieren. Die kleinen Seitenhiebe gehören zum guten Ton und zeigen umso mehr, wie nahe man sich steht. Ich sehe meinen Bruder alle paar Monate – maximal. Jeder ist nach der Schule seinen eigenen Weg gegangen. Mich zieht es in Städte, ich brauche das Gefühl am Puls der Zeit zu sein. Er hingegen braucht nur sein Snowboard und die Berge, so abgelegen wie nur möglich – die Natur ist quasi sein Energielieferant.
Unsere Lebensweisen passen also überhaupt nicht mehr zusammen, aber das scheint keine Rolle zu spielen. Wenn es um die Wurst geht, dann zählt etwas anderes, nämlich unsere Wurzeln. Und die sind zweifelsohne die selben.
Ein Band für die Ewigkeit
Man kennt diese typischen Geschichten von Geschwistern, die sich im Laufe der Zeit verlieren, vielleicht weil es wirklich nicht funktioniert, aber vielleicht auch, weil sie an diese unsichtbare Verbindung nicht glauben, nie zu schätzen wussten, welche Kraft davon ausgehen kann, die gleichen Wurzeln zu haben.
Stephen Bank und Michael Kahn bringen es in „The Sibling Bond“ auf den Punkt: Die Beziehung zu unseren Geschwistern ist vielleicht die längste unseres Lebens. In den meisten Fällen überdauert sie die zu unseren Eltern, Partnern und unseren besten Freunden. Unsere Geschwister sind von Anfang an da, haben an
unserer Seite für die gleichen Rechte gekämpft, uns verteidigt, beschützt und uns die Welt erklärt und ja – bestimmt auch das ein oder andere Mal in die Bredouille gebracht.
Ein ewiger Kampf
Ich wage zu behaupten, niemanden auf der Welt so sehr geliebt und so sehr gehasst zu haben wie meinen kleinen Bruder. Die roten Flecken an der Küchenwand sind eine Erinnerung daran, dass er mich einmal versucht hat
mit Tomaten zu bewerfen. Tomatenschlachten und Boxkämpfe, die so lange andauern, bis einer weint, sind nichts weiter als ein Kräftemessen und sich Ausprobieren in einem sicheren Rahmen. Mit niemandem kann man so gut kämpfen. Streiten, sich wieder versöhnen und sehen, dass der andere immer noch da ist, schafft Sicherheit und Vertrauen.
Die Beziehung zu unseren engsten Verbündeten und gleichzeitig größten Konkurrenten ist wichtig für unsere gesamte Entwicklung. Sie lehrt uns viel über Vertrauen, Freundschaft, Kooperation und Konfliktverhalten, viel mehr
als wir uns bewusst sind. Voraussetzung dafür ist allerdings ein gutes
Fundament.
Halt in schwierigen Momenten
Aus der Sicht eines Geschwisterkindes fühlt es sich so an, als ob belastende Lebensereignisse sich besser verkraften lassen, wenn man Geschwister hat. Viele Erfahrungen wurden gemeinsam gemacht, prägende Jahre wurden zusammen verbracht. Die Sozialisation geschieht im selben Rahmen und man erlebt die Welt an Seite der gleichen signifikanten Bezugspersonen. Lange Autofahrten in die Toskana auf der Rückbank unseres weißen VW-Busses, während vorne Simon und Garfunkel lief – das sind Momente und Bilder, die sich, wenn auch auf verschiedene Art und Weise, einprägen und einem zu dem machen, was man heute ist. Und es ist unglaublich schön, die Erinnerung daran später zu teilen.
Mit einem Bruder oder einer Schwester bekommen wir das Geschenk eines lebenslangen Weggefährten. Das nehmen wir viel zu oft als selbstverständlich hin. Wir vergessen, dass auch diese Beziehung etwas einfordert: Aufmerksamkeit und Energie. So ist das nun mal mit Beziehungen. Der Bund zwischen Geschwistern ist fest, aber wenn wir ihn zu sehr vernachlässigen, kann auch er verloren gehen.
Auch Geschwister-Beziehungen brauchen Pflege
Was man dann tun kann? Sich genau auf diese gemeinsamen Erlebnisse besinnen, sich Anekdoten erzählen, da anknüpfen wo schon Gemeinsames besteht. Scheinbar nervige Familientreffen und Pflichtveranstaltungen als Chance nutzen, um eine gute Zeit gemeinsam zu haben und neue Erinnerungen zu schaffen.
Außerdem sollte man nicht zu viel erwarten! Wenn man sich sehr stark auseinandergelebt hat, darf man sich nicht mehr als Experte im Leben des anderen aufspielen. Man muss erst einmal wieder viel miteinander reden: Was ist der Status Quo? Was beschäftigt den anderen zur Zeit?
Manchmal können schon kleine Lebenszeichen aus dem Alltagsleben (manchmal tut es schon ein Foto bei WhatsApp) helfen, um zu zeigen, dass der andere immer noch auf dem eigenen Radar herumschwirrt und das Band nicht gebrochen ist. Und das allerwichtigste: Habt wieder Spaß zusammen! Als Kinder wart ihr unbeschwert und habt zusammen die Welt auf den Kopf gestellt, warum also nicht nochmal losziehen und verrückt sein? Ihr habt schließlich nichts zu verlieren – außer das beste Band der Welt!
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