Am 1. Februar fand zum ersten Mal der World Hijab Day statt. Unsere Community-Autorin Menerva ist selbst Kopftuchträgerin und erinnert uns daran, dass unter jedem Kopftuch ein Mensch steckt.
Unter jedem Kopftuch steckt ein Mensch
Sie sind laut, sie sprechen in eine dir unverständliche Sprache, haben viele Kinder, aus irgendeinem Grund heißen sie alle „Anne“ und man erkennt sie meistens am Kopftuch: Musliminnen, Muslimas, muslimische Frauen, oder Mohamedanerinnen. Man will ja schließlich auch als Fremdenhasser das Binnen-I nicht vergessen. Nur weil man gegen einer bestimmten Gruppe von Frauen ist, heißt das ja noch lange nicht, dass man auch seine Manieren vergisst.
Immer dann, wenn du auf eine von ihnen triffst, stellen sich dir folgende Fragen: Wieso tun diese Frauen nichts? Nichts für ihre Bildung, nichts für die Integration, nichts für ihre Kinder (also Verhütung) und generell nichts für die Gesellschaft? Sie kommen her, sind nur für ihren Haushalt zuständig, dauerschwanger und haben dann auch noch die Frechheit mit voller Selbstsicherheit durch unsere Straßen zu laufen, laut zu lachen und reden etwas daher, das keiner versteht.
Anne und ihre Töchter
Wenn ich das Wort „Kopftuch“ lese, oder höre, dann verdrehe ich meine Augen schon ganz automatisch und das, obwohl ich selbst eins trage! Es ist ganz egal, wie oft oder mit wem die Idee des Kopftuches von einer Kopftuchtragenden erklärt wird, es wird immer Menschen geben, die folgende Kommentare von sich geben: „Das ist Frauenunterdrückung“, „Die sind verklemmt“, „Die integrieren sich nicht“, „Die sind hässlich“, „Religionen sind alle gewalttätig, werdet lieber vegan“, „Wieso gehen die nicht nach Saudi Arabien, wo die das tragen können“, und viele viele viele andere Kommentare in diesem Stil.
Diese Aussagen kommen von Leuten, die Folgendes nicht wissen oder nicht wissen wollen: Diese Frau Anne, die wahrscheinlich einmal die Woche deine Wohnung putzt, oder an der Kasse im Supermarkt steht und in gebrochenem Deutsch versucht mit dir zu kommunizieren, tut das für ihre Töchter, die heutzutage Anwältinnen, Ärztinnen, Krankenschwestern, Lehrerinnen, Ingenieurinnen, Journalistinnen und sogar weltberühmte Athletinnen sind.
Überrascht?! Wer hat auch damit gerechnet, dass Annes Töchter eines Tages auf Augenhöhe mit Stefanie und Co. stehen würden? Keiner, nicht einmal Anne selbst. Annes Töchter sind nicht nur Damen, die ein Kopftuch tragen, oder etwa nur Musliminnen, nein, Annes Töchter sind sind auch alle Draganas und Sladjanas, alle Aminatas und Ashantis, alle Arnelas und Elmas, alle Adilas und Ansas und auch alle Stephanis und Claudias, die sich für das Gute im Menschen einsetzen und so viele, viele Frauen mehr!
Träume einer neuen Generation
Diese Frauen haben auch Träume und Ziele. Sie müssen sich am Arbeitsplatz doppelt beweisen, denn unterläuft ihnen auch nur der kleinste Fehler, dann war das kein Versehen, sondern: „weil sie Ausländerkinder sind“. Nein, sie sind keine Opfer, oder hilflose Frauen, die um ihre Situation trauern, sondern Frauen, die in einer Gesellschaft hineingeboren wurden, die sie als Personen sowie ihre Hautfarbe, ihre zweite Sprache, ihren Glauben und natürlich auch ihr Geschlecht – einfach alles – in Frage stellt.
Kommt jetzt ein Besserwisser her und meint: „Dann sollen sie bitte wieder dorthin, wo sie hergekommen sind, wenn es ihnen bei uns sooo schlecht geht“. Nun ja, Herr oder Frau Besserwisser, da sind sie doch schon längst. Sie sind schon genau dort, wo sie hergekommen sind. Und obwohl es ignorante Menschen wie dich gibt, haben es diese Frauen geschafft, einen Weg zu finden, diese Gesellschaft zu lieben, in und mit ihr zu wachsen und sie so zu repräsentieren, dass man stolz auf sie sein kann. Geh gern in diverse Krankenhäuser, zähle dort die Pflegerinnen und Ärztinnen muslimischen Glaubens und deiner Meinung nach „fremder“ Herkunft. Dann geh in Bildungsinstitute und zähle sie dort. Danach zähle sie bei den Olympischen Spielen und wenn du dann noch weiter zählen kannst, dann zähle sie weltweit.
Wir sind viele und wir werden mehr und noch besser: Nichts wird uns aufhalten, schon gar nicht euer Hass. Das Erwachsenwerden in einer Gesellschaft, die dich für jeden Fehler, den du nicht begangen hast verurteilt und eine Distanzierung erwartet, macht dich willensstärker, fokussierter und bringt das Beste in dir hervor. Ein lebendes Beispiel ist eine meiner Freundinnen: mit Kopftuch durfte sie keine Krankenschwester werden, heute ist sie Ärztin MIT Kopftuch.
Diese Worte richten sich an all jene, die ihr eigenes Leben so dermaßen hassen, dass sie diese negative Energie auf alles projizieren, das ihnen fremd ist und deswegen „ein Feind sein muss”! Euer Hass ist unsere Liebe, eure Wut unser Verständnis, euer Zweifel unsere Hoffnung und diese wird nicht aussterben. Nehmt diese Negativität, atmet sie aus und macht etwas Schönes daraus! Somit habt nicht nur ihr, sondern die ganze Welt etwas davon. Wenn ein Stückchen Stoff eine Gesellschaft spalten kann, dann muss es eine sehr brüchige Gesellschaft sein und genau DARAN sollten wir arbeiten, nicht an Kleidungsvorschriften der Frauen, die von Männern bestimmt werden. Kommt ein Klugscheißer daher und meint: „Aber der Islam schreibt euch ja auch vor dies und das zu tragen“. Dieser zwingt aber niemanden dazu. Es gibt genug praktizierende Musliminnen, die kein Kopftuch tragen.
Diskriminierung geht uns alle an
Ob du nun für ein Kopftuchverbot, dagegen, oder es dir egal ist – das spielt eigentlich keine große Rolle. Was sehr wohl eine wichtige Rolle spielt ist, wie du zu dir selbst stehst. Denn wenn ein Mensch, der halbwegs mit sich selbst zufrieden ist, ein Unrecht mitbekommt, dann empfindet er etwas. Auch dann, wenn ihn dieses Unrecht nicht direkt betrifft, er spürt trotzdem etwas. Warum? Weil Empathie bei Menschen so funktioniert. Empfindet dieser ein Siegesgefühl oder erfreut sich über das Unrecht gegenüber anderen, dann sollte er sich ernsthaft überlegen, was in seinem Leben schiefgelaufen ist.
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