Anas Eltern kommen aus Kroatien, leben aber schon lange in Deutschland. Seit dem die Stimmung in Österreich und dem Rest Europas so gekippt ist, hat Ana vor allem um ihren Vater Angst. Eine traurige Bestandsaufnahme.
Die aktuelle Stimmung ist gefährlich
Ich habe Angst, dass die politische Stimmung in Österreich und Europa in der nächsten Zeit so hochkochen wird, dass sie einen Menschen verletzt, den ich liebe: Meinen Vater. Während die Titelseiten voll sind von „Asylanten“ und „kriminellen Kanaken“, finden meine Ängste keinen Platz in den Medien. Ein ausgezeichneter Studienabschluss und ein „guter“ Job machen dich nämlich zwar zur Vorzeigemigrantin, lassen aber deine Ängste um deine nicht ganz so vorzeigbaren Lieben nicht verschwinden. Was furzende Schafe, das Geturtel meiner Eltern am Telefon und Mikroaggressionen damit zu tun haben? Ich erzähl es euch.
Seit längerer Zeit habe ich Angst. Im Gegensatz zu allerlei diffusen Ängsten mit denen wir uns beim Erwachsenwerden so herumschlagen, kann ich diese Furcht an einem Ereignis festmachen. Es war kein Artikel über Alzheimer, keine Artikel über pflegebedürftige Angehörige. Keiner darüber, dass Männer immer noch viel zu selten zum Arzt gehen und deshalb früher sterben.
Ein Mann mit polnischem Migrationshintergrund ist in England von Teenagern getötet worden. Der Mann soll umgebracht worden sein, weil er polnisch vor den Jugendlichen gesprochen hat und diese sich provoziert davon gefühlt hatten.
Mein Vater ist Kroate. Ein sehr klischeehafter, könnte man sagen. Während Leute über mich oft wohlmeinend sagten: „Man sieht dir gar nicht an, dass du nicht von hier bist.“, meinten sie, dass man „es” meinem Vater im Gegensatz dazu immer ansah. Was sie wirklich sagen wollten, war wohl, dass ihn sein bärenhaftes Aussehen und sein etwas grimmiger Gesichtsausdruck zu einem Bilderbuch-Tschuschen machten.
Beide Sprachen gehören zu uns
Mein Vater spricht Deutsch, aber mit starkem Akzent. Meine Eltern haben immer darauf bestanden, dass zuhause nur Serbokroatisch gesprochen wird, damit meine Schwestern und ich unsere Muttersprache nicht verlernen würden. Außerdem war das (in meinen Augen) gute Deutsch meiner Eltern für sie selbst nicht gut genug, um es uns beizubringen. Das überließen sie dem deutschsprachigen Fernsehen, unseren Freunden und dem österreichischen Bildungssystem.
Mein Vater verschickt Emojis, wenn er mir auf WhatsApp schreibt. Sein Favorit ist ein Schaf mit einer Windwolke dahinter. Es sieht so aus, als würde das Schaf furzen und ich muss immer sehr viel lachen, wenn er mir das schickt. Meine Mutter ruft mein Vater aber meistens an. Dann erzählt er ihr etwas und meine Mutter kichert dann wie ein verliebter Teenager. Er klingt am anderen Ende der Leitung wahrscheinlich furchteinflößend, wegen seiner tiefen Stimme und weil er immer sehr ernst aussieht, wenn er nachdenkt.
Mein Vater ist viel unterwegs. Er ist Krankenpfleger und arbeitet neben seiner Anstellung als Stationsleiter in einem Altenheim auch als mobile Pflegekraft. Wenn er länger in der Straßenbahn sitzt, ruft er manchmal meine Mutter an.
Die Angst ist greifbar
Jetzt, wo man ein Bild von meinem Vater hat, kann ich vielleicht besser erklären, warum ich Angst habe. Was, wenn mein Vater mal wieder meine Mutter anruft. Was, wenn er ihr gerade die lustigsten Begebenheiten seines Tages erzählt, dabei aber seinen ernsthaften, nachdenklichen Gesichtsausdruck hat. Was, wenn ihn die falschen Leute hören. Und was, wenn sie glauben, ihre Wut an meinem Vater auslassen zu müssen?
Wenn ich jetzt jemanden sagen höre: „Ach komm schon, warum sollte so etwas passieren?“ Dann denke ich nicht an die Zukunft, sondern nur zurück in die Vergangenheit und werde noch eine Spur ängstlicher. Dank meines Vaters wusste ich nämlich, was Mikroaggressionen sind, bevor ich ein Wort für diese beschissen herablassende Art hatte, die Menschen in ihre Gesichter gespült wird, wenn sie sich Migranten gegenüber überlegen fühlen und sie das auch spüren lassen. Polizisten, Behördenmitarbeiter, Ärzte, Lehrer – Anhänger aller Berufsgruppen haben ihr Ansehen in meinen Augen auf ewig verloren, weil sie meinen Vater behandelten, als wäre er dumm, nur weil seine Zunge sich an den rauen Stellen der deutschen Sprache stieß.
Klar kann man sagen, dass diese Menschen alle nur wütend sind, weil sie von gesellschaftlichen Entwicklungen überholt worden und deshalb nun unsicher sind. Mein Vater ist aber von den gesellschaftlichen Veränderungen um ihn nicht nur überholt worden, sie haben ihm quasi den Weg abgeschnitten: Statt Lehrer zu werden, wurde er Kriegsflüchtling und daraus folgend Hilfsarbeiter. Aber komischerweise habe ich meinen Vater nie nach Sündenböcken suchen sehen.
Meine Angst ist nicht gesellschaftsfähig
Mindestens genauso komisch ist, dass meine Ängste einzigartig zu sein scheinen. In den Medien sehe ich sie zumindest nicht gespiegelt: Ständig wird von den Ängsten der „Angry White Men“ gesprochen. Dass man diese abbauen müsse, sonst würde uns ein so starker Rechtsruck bevorstehen, dass wir womöglich gegen eine Wand donnern könnten.
Ich bin nicht naiv, ich weiß, dass mir niemand meine Ängste gänzlich nehmen kann. Kein kluger Artikel in den Leitmedien kann einem die Angst um geliebte Menschen nehmen. Es gibt keine schnelle Lösung. Aber können wir bitte aufhören so zu tun, als wären die Ängste der „alten weißen Männer“ die einzigen, die es gibt? Und deshalb natürlich auch die wichtigsten? Nur, weil meine Angst mich keinen Faschisten wählen lässt, ist sie nicht weniger real und weniger ernst.
Dieser tolle Text ist bereits auf Anas Blog erschienen. Wir freuen uns sehr, dass sie ihn auch bei uns veröffentlicht.
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