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Parent Blaming: Wenn ein Kind psychisch erkrankt, sind die Eltern schuld

Eltern psychisch kranker Kinder haben mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Höchste Zeit, damit aufzuräumen, schreibt Psychotherapeutin Lena.

 

Psychische Erkrankungen: Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter

Warum suchen wir in schwierigen Situationen so gerne nach einem Sündenbock oder klammern uns an Vorurteile, statt den Dingen auf den Grund zu gehen?

Erstens: Es lebt sich für alle leichter, wenn es einen Schuldigen gibt. Vorausgesetzt natürlich, man selbst wurde nicht dazu ausgewählt. Dann kann man empört in Richtung des Schuldigen zeigen, die Augenbrauen hochziehen, böse vor sich hin murmeln und möglichst vielen davon erzählen, dass es einen Verursacher des Übels gibt. Endlich. Und mehr muss man dann auch nicht machen.

Zweitens: Wenn Kinder psychisch erkranken, dann sind per se die Eltern schuld. Und das bekommen sie von ihrem Umfeld spätestens dann zu spüren, wenn sie sich irgendwo Hilfe holen. Zum Beispiel beim Jugendamt. Dann hört die Akzeptanz der Gesellschaft schneller auf, als man: „Denk nochmal nach“ sagen kann. Und mehr kann man dann auch nicht machen.

„Halt, Stop! Das kann man so aber nicht sagen“, sagt die Psychotherapeutin. Denn erstens: Das Thema Schuld bringt uns in dieser Sache keinen Millimeter weiter. Eigentlich bringt es uns im Leben fast nie voran. Schwierige Situationen gibt es immer. Viel wichtiger ist doch, wie wir mit ihnen umgehen und was wir daraus lernen können. Und zweitens: Ziel sollte es sein, die Eltern zu unterstützen um gemeinsam mit Professionellen an der Problematik arbeiten zu können. Mit- und nicht gegeneinander.

Die perfekte Familie gibt es nicht

Ja, die ersten Jahre eines Kindes sind prägend und wichtig für die weitere Entwicklung. Und natürlich sollten Kinder sicher gebunden aufwachsen; möglichst mit beiden Elternteilen. Aber das optimale Leben, die perfekte Familie gibt es nunmal nicht. Und wir würden es uns sehr einfach machen, wenn wir immer den Eltern den schwarzen Peter zuschieben würden. Ihr habt Recht wenn ihr sagt, dass es Fälle gibt, in denen Eltern unfassbar viel Leid verursachen und einen erheblichen Teil zur Erkrankung ihres Kindes beitragen. Aber das ist eben nicht immer so. Wie bei einem bunten Blumenstrauß ist jeder Mensch einzigartig und jede Geschichte anders. Eine psychische Erkrankung hat oft multifaktorielle Ursachen, sagen die Experten.

Es gibt da draußen viele engagierte, besorgte Eltern, die sehr bemüht um die weitere Entwicklung ihres Kindes sind. Die sich Urlaub nehmen, um den Termin in der psychiatrischen Ambulanz wahrnehmen zu können. Die in ihrer Mittagspause bei der Lehrerin anrufen, weil sie sich um ihr Kind sorgen. Die ihr knappes Geld für den Bus ausgeben, damit sie zum Elterngespräch kommen können. Und da frage ich mich wirklich: warum ist die Akzeptanz unserer Gesellschaft so viel größer, wenn ein Kind körperlich erkrankt ist? Warum habe ich in der Weihnachtszeit noch nie von Spendenaktionen für Eltern psychisch kranker Kinder gehört? Wer unterstützt diese Eltern, damit sie ihre Kinder in Spezialkliniken besuchen und an der Elternarbeit mitwirken können? Wie machen das eigentlich Alleinerziehende? Und wovon leben sie in dieser Zeit?

Selbsthilfegruppen und Vernetzung der betroffenen Angehörigen, das sind gute erste Schritte. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie wird der Fokus zunehmend mehr auf die Arbeit mit den Angehörigen gelegt. Und das Umfeld? Das sollte sich einfach mal Gedanken darüber machen, dass leider niemand eine Garantie dafür hat, dass nicht auch das eigene Kind im Laufe des Lebens erkrankt. Körperlich und psychisch.

Dieser Artikel ist auf freud mich erschienen. Wir freuen uns, ihn auch hier veröffentlichen zu können.

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