Bei einer Hamburger Digitalagentur darf sich jeder wünschen, was er verdienen will, und weiß, wie viel alle anderen kriegen – was macht das mit dem Team?
Wer verdient wie viel?
Julian Vester hat seine Geschichte schon oft erzählt. Denn das Experiment, das er mit seiner Hamburger Digitalagentur „Elbdudler“ gewagt hat, ist in Deutschland wohl bisher relativ einzigartig: Bei ihm bestimmten die Mitarbeiter selbst, wie viel sie verdienen möchten.
Das Ganze war ein langer Aushandlungsprozess. Erstmal erstellte er eine Liste mit allen Namen und aktuellen Gehältern. Neben das aktuelle Gehalt sollte jeder Mitarbeiter sein Wunschgehalt eintragen. Und sich vier Fragen stellen: Was brauche ich? Was würde ich auf dem freien Markt verdienen? Was verdienen meine Kollegen? Was kann die Firma sich leisten?
Hier habe es die ersten Konflikte gegeben, sagt er, aber genau das habe er auch einkalkuliert. „Wenn Unzufriedenheit da ist, muss man damit umgehen“, ist seine Devise. Mache Gehaltswünsche waren schlicht zu hoch, und einige Gehaltswünsche von Kollegen wurden als unangemessen empfunden. Die Agentur führte daraufhin ein Peer-Review-System ein: Jeder muss sich sein Wunschgehalt von zwei bis fünf Kollegen absegnen lassen.
Das Ergebnis: Ein Drittel der Mitarbeiter hatte sich selbst eine Gehaltserhöhung verordnet (davon übrigens 80 Pozent Männer), ein weiteres Drittel hatte zwar diskutiert, war am Ende aber beim alten Gehalt geblieben, ein Drittel war zufrieden – insgesamt stiegen die Gehälter um 6,6 Prozent.
Die vierte Frage, also ob die Firma sich das leisten kann, hält Vester für besonders wichtig. Würde er alle Wunschgehälter auszahlen, wären keine Rücklagen möglich und es gäbe auch keine Gewinne. Damit die Wunschgehälter Realität würden, müsste der Pro-Kopf-Umsatz um 18 Prozent steigen. Vesters Argument ist also, dass bei jedem Mitarbeiter das unternehmerische Denken einsetzt, das ganze Team überlegt, wie man den Gewinn steigern kann, welche Projekte sich lohnen, welche Produkte verbessert werden müssen, damit man am Ende das Geld bekommt, das man sich wünscht.
Der Professor Dirk Sliwka von der Universität Köln ist kein großer Fan von eine solchen absoluten Gehaltstransparenz. Er schreibt in einem Beitrag, die, die ohnehin unterdurchschnittlich verdienen, seien nach der Offenlegung der Gehälter unzufriedener, wer mehr verdient als die anderen, sei aber nicht zwingend glücklicher. Insofern würde sich die Gehaltstransparenz nicht auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter auswirken.
Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wiederum ist eine große Befürworterin von transparenten Gehaltsstrukturen. Sie will, dass Firmen die Gehälter ihrer Mitarbeier offenlegen und plant ein Entgeltsgleichheitsgesetz, auch, um der Gender Pay Gap etwas entgegenzusetzen.
Ein weiteres Argument der Gegner von Gehaltstransparenz: Am Ende würde es nur zu mehr Missgunst führen, weil in Deutschland eine Neidkultur herrsche, die durch eine Offenlegung der Gehälter noch weiter angeheizt würde.
Wie ist das bei euch? Würdet ihr gern wissen, wie viel eure Kollegen verdienen? Und meint ihr, das würde der Stimmung in eurem Büro guttun oder eher nicht?
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