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Anna Schunck: „Feministinnen müssen an die Frauen jenseits unserer privilegierten Gesellschaft denken“

Fast Fashion und Feminismus, schließt sich das denn nicht per Definition aus? Ein Gespräch mit Nachhaltigkeitsexpertin Anna Schunck.

 

Der neue Feminismus kostet nur ein paar Euro

Sieht man sich in den Onlineshops um, sieht man in letzter Zeit viel „Girlpower“ auf allen möglichen Produkten abgedruckt – darunter auch Shirts mit feministischer Botschaft bei den großen Fast-Fashion-Riesen. Zehn Euro, ein paar Tage warten und schon kann man das Statement in die Welt hinaus tragen und zeigen, dass man andere Frauen unterstützt – halt, ganz so einfach ist es nämlich nicht, denn: Wo kommt das Shirt her? Und wer hat es zusammengenäht? Wahrscheinlich eine Frau, die am anderen Ende der Welt lebt und nichts vom Feminismus mitbekommt, der sich offenbar in unseren Onlineshops abspielt. Paradox? Ja, sagt Anna Schunck, die Journalistin hinter Viertel Vor, einem Magazin über Nachhaltigkeit, die sich in einem Artikel fragt: „Wie antifeministisch ist Fast Fashion?“. Wir haben mit Anna darüber gesprochen, was Feminismus mit Fair Fashion zu tun hat, ob wir alle mal wieder aus unserer Blase treten sollten und was jede einzelne von uns tun kann.

„Girlpower“ ist in aller Munde und wird auf immer mehr Produkte gedruckt. Ist Feminismus zu einem Lifestyle geworden?

„Zumindest zu einem Lifestyle-Thema, das man gefühlt gerade irgendwie gut finden sollte. Das mag erst einmal oberflächlich klingen. Es ist aber schon mal ein Schritt in die richtige Richtung, nämlich in eine, in der man sich zumindest schon mal ein bisschen damit beschäftigt. Und sicher auch in Richtung eines neuen Selbstbewusstseins für Frauen und Mädchen. Dass alle gerade Feminismus wollen unterstütze ich also. Auch und gerade in der Light-Form! Denn es ist meistens so: Nur wenn die Masse mitmacht, lässt sich wirklich etwas erreichen.“

In deinem Artikel „Wie antifeministisch ist Fast Fashion?” thematisierst du, ob es okay ist, als Feministin Fast Fashion zu tragen. Was ist dabei überhaupt das Problem?

„Kurz gesagt: dass Teile, die in Billiglohnländern wie China, Indien, Bangladesh oder Rumänien entstehen zu 80 Prozent von Frauen genäht werden. Modelabels, die dort fertigen, müssen nur die vor Ort geltenden Rechte einhalten und die sind, gerade für Frauen und Mädchen, oft nicht besonders groß. Die meisten arbeiten viel zu lange für viel zu wenig Geld und unter schlechten Bedingungen. Weil es aber kaum Alternativen für sie gibt, sind die Frauen und Mädchen dort auf die Jobs angewiesen – und fühlen sich gezwungen, fast alles mit sich machen zu lassen, um überleben zu können. Da werden dann die günstigen Girlpower-Shirts für europäische Fast-Fashion-Ketten von ausgebeuteten Mädchen genäht. Und das sollte – Feministin hin oder her – natürlich niemand unterstützen!

Vergessen werden darüber hinaus auch oft die Frauen und Männer am Anfang der Herstellungsketten, beispielsweise auf den Baumwollfeldern. Baumwolle wird fast immer als Monokultur angebaut, nimmt landwirtschaftliche
Fläche für Nahrungsmittel weg, verbraucht und verschmutzt viel Wasser. Damit die Pflanzen gut wachsen, werden Pestizide versprüht, die auf den Feldern
eingeatmet werden. Auch beim Weichmachen, Färben und Kleben in den Textilfabriken wird gerade in der billigen Herstellung kaum darauf geachtet, dass die Frauen, die unsere It-Pieces herstellen, keine giftigen Dämpfe einatmen!“

Feminismus und Fair Fashion gehen für dich also Hand in Hand?

„Feminismus ist für mich Empowerment und gleiches Recht für alle. Und diese Überzeugung endet für mich nicht an der Bundes- oder Kontinentsgrenze. ‚Step by Step‘ ist voll okay und niemand ist perfekt. Aber wer von sich behauptet, ein Feminist oder eine Feministin zu sein, der sollte meines Erachtens zumindest hin und wieder auch an die Rechte der Frauen und generell der Menschen jenseits unserer eigenen privilegierten Gesellschaft denken.“

Oft ist das Argument ja, dass Fair Fashion einfach zu teuer sei. Stimmt das denn?

„Die Frage kann ich mit einem klaren Nein beantworten. Konventionelle Mode ist einfach zu billig. Weit weg, wo wir sie nicht sehen, werden Frauen und Mädchen ausgebeutet, damit wir regelmäßig Shirts für fünf Euro kaufen können. Und nur weil wir können, wollen wir das ja überhaupt. Die niedrigen Preise, Werbung und Medien suggerieren uns, dass wir ständig neue Sachen brauchen. Nach dem Abschneiden der Jeans-Beine werden ziemlich sicher wieder längere Hosen im Trend sein. Wir rennen den Trends hinterher ohne zu merken, wie wir manipuliert werden. Man kann auch mit weniger Konsum gut angezogen sein. Ich meine damit keinen asketischen Verzicht, sondern einfach nur: ein oder zwei neue Teile im Monat statt in der Woche! Die können dann auch mal 30 bis 80 Euro kosten. Und dafür gibt es durchaus faire Teile bei Jan’ N June, Armedangels oder Kings Of Indigo. Sneaker von Veja kosten sogar weniger als bei den gängigen It-Brands. Wer mehr ausgeben kann und will, kauft bei Acne oder Stella McCartney. Auch Higher Fashion geht fair! Am allerfairsten ist es aber, einfach zu kaufen, was schon da ist: Vintage, Secondhand, Kleinanzeigen, Kleiderkreisel. Oder vielleicht mal was ausleihen in der Kleiderei?“

Manchmal habe ich das Gefühl, dass viele nur über den Feminismus nachdenken, der sie unmittelbar selbst betrifft. Die
Frauen, die am anderen Ende die Girlpower-Shirts zusammennähen werden dabei vergessen. Wie siehst du das?

„Ich sehe das genau so. Aber ich möchte das nicht generell verurteilen. Es wäre natürlich viel besser und meines Erachtens übrigens auch möglich, dass wir wieder menschlicher und ein bisschen weniger egoistisch werden. Aber wer bei sich selbst anfängt, der hat immerhin schon mal angefangen – das ist die Grundvoraussetzung für den nächsten Schritt. Geht ihn!“

Müssen wir dabei wieder lauter werden oder ist jeder kleine Schritt ein Schritt in die richtige Richtung?

„Beides. Dem ersten kleinen Schritten müssen schon weitere folgen. Und diejenigen, die in Sachen Feminismus schon weiter sind, sehe ich in der Pflicht und Verantwortung, jüngere oder auch einfach Einsteiger und Einsteigerinnen mitzunehmen. Möglichst konsequent, liebevoll und so vorbehaltlos wie möglich. Das ist für mich sehr feministisch und das verstehe ich unter Sisterhood.“

Welche Wege sollte der Feminismus gehen – gerade in der Modebranche?

„Einen schnellen (lacht). Ich bin ja nicht unbedingt für meine Geduld bekannt. Außerdem bin ich hoffnungslos optimistisch und auch noch Idealistin! Ich denke immer: Das kann doch alles nicht so schwer sein. Ist es aber leider doch. Jeder einzelne von uns kann aber etwas beitragen, wenn er weniger günstige Fast Fashion kauft. Viel weniger! Denn wir sind viele und können gemeinsam durch Nachfrage ein Statement setzen. Das wünsche ich mir auch noch mehr von Influencern aus dem Modebereich. Ihr habt eine Stimme! Benutzt sie! Aus Gesprächen weiß ich, dass viele berühmte Leute sich davor fürchten, darauf festgelegt zu werden, wenn sie einmal offiziell eco-faire Teile tragen und einen Shitstorm erwarten, wenn sie dann wieder etwas Konventionelles anhaben. Das finde ich schade. Wir alle, gerade die, die versuchen etwas zu verändern, dürfen auch mal fehlbar sein!

Weniger Fehler wünsche ich mir von politischer Seite. Ich bin niemand der gern nach Regeln und Gesetzen schreit, aber es wäre durchaus eine Möglichkeit für die entsprechenden Gremien, härtere Richtlinien oder mehr Transparenz von den großen Modeherstellern zu fordern. Menschenrechte sind überall gleich!“

Was kann jede einzelne von uns tun?

„Auf Fairtrade-Siegel achten. Und sich vor allem vor jedem Kauf fragen:
,Brauche ich das wirklich?’ Damit hilft man sich übrigens auch selbst: Weniger
Frustkäufe, mehr Lieblingsteile, weniger Grübeln vor dem Schrank und ein klarerer Stil sind als Resultat doch auch was. Plus Impact für die Näherinnen. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass ‚Girlpower‘ mehr ist und wird, als nur ein (Trend-)Wort.“


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