Foto: Steffen Baranski

Ninia LaGrande: „Ich will meinem Kind später nicht erklären müssen, was damals falsch gelaufen ist“

Wir kommen alle entscheidend weiter, wenn wir uns gegenseitig unterstützen. Was für eine Erfahrungen die Poetry-Slammerin Ninia LaGrande besonders häufig weitergibt und welche Entscheidung die beste ihres Lebens war, hat sie uns im Interview erzählt.

 

„Die Gesellschaft muss begreifen, dass sie von Vielfältigkeit profitiert“

Veränderung ist definitiv etwas Gutes, auch wenn sie mit Hürden verbunden ist – das lernt man spätestens, wenn man Ninia LaGrande zuhört. Die Poetry-Slammerin, Bloggerin und Moderatorin ist überall auf den Bühnen und im Netz zu finden und auch wenn dazu immer noch Aufregung gehört, ist sie dort schlicht zuhause. Nun ist sie gerade auch Mutter geworden, was definitiv die beste Entscheidung ihres Lebens war, auch wenn es das nicht gerade einfacher macht, wie sie uns im Interview erzählt hat. Und sie verrät auch, wie man ganz leicht zu einer besseren Zukunft beitragen kann.

Wann hast du zuletzt einen anderen Menschen dazu bewegt, mutig zu sein?

„Ich bekomme oft Nachrichten von Mädchen und Frauen, die selbst Texte schreiben und gerne mal bei einem Poetry Slam mitmachen wollen, sich aber noch nicht so recht trauen. Denen antworte ich gerne, dass ich vor über neun Jahren – als ich mit Slam angefangen habe – so aufgeregt war, dass sich mich im Zug auf dem Weg zur Location übergeben musste. Fünf Minuten vorm Auftritt fand ich meine Texte furchtbar, zitterte und schwitzte. Heute bin ich immer noch sehr nervös, habe aber meine Tricks gefunden, damit umzugehen. Die verrate ich den Absenderinnen und spreche ihnen Mut zu. Fast immer bekomme ich später das Feedback, dass sie sich doch getraut haben und es ein ganz tolles Erlebnis war. Das macht mich jedes Mal froh.“

Welche Erkenntnis hat dich im Leben entscheidend weitergebracht?

„Dass es völlig egal sein muss, was andere Leute denken. Darüber, was ich tue, wie ich meine Beziehung führe oder wie ich mit meinem Kind umgehe. Intuition ist besser als alle ungewollten Tipps von außen.“                           

                                                                                                                                                                         

                                          Quelle: Ninia LaGrande | Instagram

Hast du dich schon einmal komplett neu erfunden?

„Ich habe mich vor eineinhalb Jahren selbstständig gemacht – das würde ich schon als Neuerfindung bezeichnen. Ich hatte keine Absicherung mehr, keinen festen Job, der mir die Miete garantiert. Die Jobs, die ich sonst aus Spaß nebenbei gemacht hatte, sollten jetzt mein Leben finanzieren. Das ist immer noch sehr aufregend – vor allem, weil ich ein dreiviertel Jahr später schwanger geworden bin und meine Situation so nicht unbedingt leichter gemacht habe. Aber es war immer noch die beste Entscheidung meines Lebens.“

„Wenn Unternehmen es nicht schaffen, ihre Strukturen aufzubrechen und nicht nur eine weiße Frau in den Aufsichtsrat zu rufen, dann sieht die
Zukunft für mich ganz düster aus.“



Was ist deine Super-Power?

„Aktuell: Abpumpen und gleichzeitig das Malzbier in der einen sowie das Smartphone in der anderen Hand halten (lacht). Ansonsten habe ich ein sehr großes Talent dafür, in noch so kuriosen und aufregenden Situationen ruhig zu bleiben. Manche verwechseln das mit Emotionslosigkeit, ich nenne es Klarheit. Ich halte gern die Fäden in der Hand, delegiere gerne und behalte fast immer einen kühlen Kopf.“

Warum gehen die Themen Weiblichkeit und Zukunft für dich Hand in Hand?

„ ‚Weiblichkeit’ empfinde ich als störrischen Begriff, weil auch dieser wieder Menschen ausschließt, die sich nicht als ‚weiblich’ definieren und trotzdem – oder gerade deswegen – diskriminiert werden. Ich hoffe und kämpfe dafür, dass wir uns die Zukunft so divers wie möglich gestalten können. Das Stichwort Intersektionalität spielt hier eine ganz große Rolle. Wenn Unternehmen es nicht schaffen, ihre Strukturen aufzubrechen und nicht nur eine weiße Frau in den Aufsichtsrat zu rufen, dann sieht die Zukunft für mich ganz düster aus. Die Gesellschaft muss begreifen, dass sie von Vielfältigkeit nur profitieren kann – in allen Lebensbereichen.“

Was ist entscheidend dafür, dass Netzwerke gut funktionieren und etwas bewegen können?

„Gute Netzwerke brauchen immer ein paar Aushängeschilder: Menschen, die nach vorne treten und für die Sache einstehen. Die andere bewegen können, sich dem Netzwerk anzuschließen – auch, wenn sie nur im Kleinen unterstützen wollen. Ein gutes Netzwerk braucht genauso Menschen, die die Organisation übernehmen, die Menschen im Netzwerk antreiben, Aufgaben verteilen und die mitnehmen, die vielleicht noch nicht genau wissen, was sie innerhalb des Netzwerkes tun möchten. Um etwas zu bewegen, braucht man natürlich auch ein paar Profis in Sachen Medien, sowohl für Print und TV als auch fürs Netz. Man kann aber auch ganz kleine Sachen bewegen, ohne gleich die große Pressekeule rauszuholen: Mit einem Nachbarschaftsnetzwerk kann ich zum Beispiel Alleinerziehende in meiner Umgebung unterstützen, Senior*innen helfen usw. Die Hauptsache ist immer: machen!“

Was müssen wir jetzt bewegen, damit die Zukunft sich für alle in eine positive Richtung wendet?

„Das Wichtigste für mich ist aktuell gegen Rechts einzutreten. Die immer größer werdende rechte Stimmung in Deutschland und Europa hat Auswirkungen auf alle anderen politischen Diskussionsfelder: Rassismus, Feminismus, Antisemitismus, Ableism …

Ich versuche immer wieder, in den Dialog zu treten, Menschen zum Nachdenken anzuregen und in meinen Bühnentexten auf die Gefahr des Populismus aufmerksam zu machen. Momentan stehen wir an einem Punkt in der Geschichte, auf den ich in vierzig Jahren nicht zurückblicken möchte und meinem Kind erklären muss, was damals falsch gelaufen ist.“

Welcher Mann und welche Frau haben dich in deinem Leben besonders inspiriert und wieso?

„Es gibt keine bestimmten einzelnen Personen, die mich inspiriert haben. Ich picke mir von vielen das raus, was ich bewundernswert und respektabel finde. Das ist die Unbeschwertheit, mit der meine Eltern mich mit der Diagnose ‚Kleinwuchs’ erzogen haben oder der starke Wille von Künstler*innen wie Frida Kahlo oder Salvador Dalí, die Präsenz mit der eine Beyoncé oder eine Adele eine große Bühne füllen kann oder die Kraft von Bekannten oder Freund*innen, mit der sie sich durch Schicksalsschläge kämpfen.“

Welchen Rat würdest du heute deinem jüngeren Ich geben?

„Mach dir keine Sorgen – es kommt alles so, wie es kommen soll!“

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