Foto: Lina Metzler

Der Tag, der mein Leben für immer verändert hat

Im Trubel des Alltags fällt es vielen schwer, die schönen Momente des Lebens wirklich wahrzunehmen. Oftmals braucht es erst einschneidende Erlebnisse um festzustellen, dass man die ganze Zeit viel zu streng zu sich war und das eigene Leben Wertschätzung verdient. So geschehen auch bei Lisa.

 

Das schöne Leben? Verborgen im täglichen Seelenmüll

Am vergangenem Wochenende war ich mit meinem Gedanken wieder überall ein bisschen und nirgendwo so richtig.
Ich habe mich tierisch geärgert über den Stau auf der Autobahn, darüber, dass ich erkältet bin und über meine Schwiegermutter. Im Großen und Ganzem war ich wieder mal im Sumpf des
täglichen

Seelenmülls angekommen, der umso größer wird umso länger man sich damit beschäftigt. Man ärgert sich über dieses und jenes, fühlt sich hilflos und beschäftigt sich viel zu viel mit Negativem – um dann zu dem Entschluss zu kommen: 

Manchmal ist das Leben wirklich unfair – warum immer ich Und das, sind nun wirklich nicht unsere glorreichsten Momente. Hallo, liebe Opferrolle, in der ich keine Verantwortung über mein Leben übernehmen muss: hier bin ich!

Während der Fahrt hörte ich im Radio ein Interview mit Kira Grünberg. Die österreichische Stabhochspringerin ist im Juli 2015 bei einem Trainingssprung mit dem Kopf aufgeschlagen und seither vom Hals abwärts gelähmt. Ich fahre also auf der Autobahn dahin, höre ihre Stimme, bin mit dem Kopf nur halb bei der Sache….und plötzlich horche ich auf…

Wach endlich auf!

Was hat sie gerade gesagt?

Es läuft mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

„Ich bin jetzt an das Bett und an den Rollstuhl gebunden. Aber mein Kopf und mein Geist haben sich nicht verändert. Ich habe trotzdem noch ein schönes Leben. Man freut sich jetzt über andere Dinge als früher, Kleinigkeiten haben eine ganz andere Bedeutung bekommen.“ Ihre Worte treffen mich wie eine flache Hand ins Gesicht. Worüber rege ich mich gerade noch einmal auf? Über Nichtigkeiten! Verdammt nochmal, Lisa! Wach auf!

Und dabei hatte mich ein persönliches Erlebnis doch längst selbst auf den harten der Boden der Tatsachen knallen lassen.

Der Tag, der mein Leben veränderte

Im Februar diesen Jahres fiel mein Vater vom ersten Stockwerk die Stiege hinunter und schlug mit dem Hinterkopf auf. Er war bis dahin ein Mensch, der gerne lebte, feierte und fröhlich war. Am glücklichsten war er, wenn er wusste, dass es uns Kindern gut geht. Nach der Diagnose „Schädel-Hirn-Trauma“ war zuerst nicht sicher ob er den Sturz überhaupt überlebte, da sich die Blutung in seinem Kopf nicht zu beruhigen schien. Er konnte kein Wort sprechen. Die meiste Zeit wurde er ruhig gestellt und hat geschlafen oder wild umher gemurmelt, was kein Mensch verstehen konnte.

Zum Zeitpunkt vor dem Unfall war ich genau an dem Punkt, dass ich dem „Seelenmüll“ viel zu viel Raum in meinem Leben gegeben habe. Mich ständig über mich selbst geärgert und mir um vieles Sorgen gemacht habe – schlicht, mit den Gedanken bei allem anderen nur nicht bei mir selbst war. Ich wusste nicht wer ich bin, was ich eigentlich wollte und was ich überhaupt kann. Ich lebte schnell und unachtsam. Und dann kam der Unfall und erschütterte mich in meinen Grundfesten.

Wenn dir der Boden unter den Füßen weggezogen wird

Es war so, als wäre ein Stück Fundament auf dem man steht weggezogen worden, einfach so. Auf einem Bein balancierte ich noch, das andere Stück hat gefehlt. Und ab dem Moment, in dem ich meinen Vater im Krankenhaus sah und jeden Abend betete, er möge doch bitte wieder gesund werden, fühlte ich mich wie ein kleines hilfloses Kind. Ich versprach mir selbst, dass wenn er wieder gesund werden würde, ich viel achtsamer werden und ihn noch so viel fragen würde, was mir auf der Seele brennt.

Mein Vater ist mittlerweile auf dem Weg der Besserung. Er hat zwar noch große Gedächtnislücken und weiß in 95 Prozent der Fälle meinen Vornamen nicht, aber wenn er mich sieht strahlt er über das ganze Gesicht und flüstert „Hallo Tochter!“ In diesem Moment geht jedesmal mein Herz auf.

Ich habe wieder Dankbarkeit für das Leben gelernt

Die Geschichte mit meinem Vater hat mich ins Leben geholt. Ich bin wieder dankbar für die kleinen Dinge des Lebens, nicht mehr so streng zu mir selbst und habe mich wie versprochen auf mich konzentriert und wieder Verantwortung für mein Leben übernommen. Ich weiß jetzt viel besser was ich kann, gerne tue und was nicht. Gesundes Essen, Bewegung und Yoga begleiten mich auf meinem Weg zu mir selbst, der mir wirklich Spaß macht. Hin und wieder falle ich noch in alte Muster zurück –  und dann sind es Geschichten wie die von Kira Grünberg, die mich wieder an den Moment erinnern als ich dachte, ich hätte meinen Vater für immer verloren.

Warum es immer soweit kommen muss damit man begreift, dass die täglichen Ärgernisse meist nicht mal der Rede wert sind, dass es immer dieses Aufrütteln braucht, um mal den Allerwertesten hoch zu bekommen, das weiß ich nicht. Aber eines weiß ich: Ich habe wieder Appetit auf mein Leben bekommen, auch wenn die Medizin dazu etwas bitter war.

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