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So läuft es ab, wenn man mit einer Depression in einer Tagesklinik behandelt wird

Viele Frauen fürchten sich, freiwillig in eine Klink zu gehen, um sich bei Depressionen helfen zu lassen. Zu groß ist die Angst vor Stigmatisierung. So auch Elenor Weber (30). Hier spricht sie über eigene Vorurteile und wie es tatsächlich in der Klinik war.

 

Die Angst vor dem Stigma

Obwohl heute schon viel über die Krankheit Depression gesprochen wird, einige Frauen und Männer damit in die Öffentlichkeit gehen und zahlreiche Radiofeatures oder Kurzreportagen dazu in den öffentlich-rechtlichen Sendern laufen, bleibt die Angst der Betroffenen groß, ihr Ansehen könnte nach einem „Depressions-Outing“ bei der Arbeit, in der Familie, unter Freunden Schaden nehmen. Dass nach dem Darüber-Sprechen der Anschluss an das normale Leben nicht mehr klappt. So auch bei mir, weshalb ich dieses Thema auch unter meinem Alter Ego bearbeite.

Ein halbes Jahr Wartezeit

Als ich letztendlich Ende letztes Jahres mit einem Einweisungsschein dieses Wort ist ja schon kaum auszuhalten ‒ auf der tagesklinischen Station der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik stand, hatte ich schon einen langen Leidensweg hinter mir. Seit wann genau mich die Depression begleitet, ist nicht abschließend zu klären, weder von mir noch vom Fachpersonal. Gut möglich, dass sie Teil meiner Persönlichkeit ist, und sich schon in Kindertagen entwickelte. Schon im Frühjahr meldete ich mich bei der psychotherapeutischen ambulanten Versorgung der Universität an. Einen Therapieplatz bekam ich dann rund ein halbes Jahr später.

Therapie ist nicht gleich Besserung

Ich setzte viele Hoffnungen in den Beginn meiner Therapie und musste leider feststellen, wie mich die Bearbeitung meiner Problematik ‒ in diesem Text seien nur kurz die Stichworte Selbstwert, Essstörung, soziale Ängste, Depression genannt immer tiefer in die Depression hineinzog. Irgendwann fand ich mich in einer Sitzung wieder und unterschrieb einen Lebensvertrag. Damit sicherte ich meiner Therapeutin zu, mich bis zur nächsten Sitzung einige Tage später nicht selbst umzubringen.

Der Weg in die Klinik

Die Abwärtsspirale, vor der ich mich auch schon vor der Therapie immer wieder fürchtete, war in Gang gesetzt und ich nicht mehr in der Lage, sie aufzuhalten. Meine Therapeutin empfahl mir eindringlich, mich in einer Klinik vorzustellen, denn die Sache wuchs uns beiden über den Kopf. Bis dahin verging ein weiteres halbes Jahr.

Was werden die anderen denken?

Völlig verzweifelt, mein Ego irgendwo vergraben, meldete ich mich in der Klinik an. Trotz meiner Ratlosigkeit, meiner Todessehnsucht und meinem Unvermögen, mein Leben wieder als lebenswert zu empfinden, haderte ich mit dieser Behandlung in der Klinik. Wie sollte ich das meiner Familie erklären? Wie sollte ich die Lüge aufrecht erhalten, jeden Tag arbeiten zu gehen? Was sollte ich meinem Arbeitgeber sagen? Was den Freunden? Was würde passieren, wenn ich wieder rauskomme? Und überhaupt, ich bin doch nicht geisteskrank!

Einfach nur Angst

Ich hatte Angst, genau diese Feststellung machen zu müssen. Gemeinsamkeiten zu finden, mit Menschen, mit denen ich keine Gemeinsamkeiten haben wollte, mit Menschen, die ich vorher vielleicht selbst unterbewusst auch in eine Schublade gesteckt hatte. Und genau das passierte. In meinen ersten Tagen lernte ich Drogenabhängige, Alkoholiker, Magersüchtige, Bulimiker und Borderliner kennen und fast alle waren depressiv. Die einen kamen aus den besten Vierteln der Stadt, waren gestandene Geschäftsleute, die anderen waren alleinerziehende Mütter oder Studenten im ersten Semester. Und hier machte ich eine der wichtigsten Erfahrungen überhaupt: Depression kennt keine Schichten. Menschen aus allen Bereichen, mit sämtlichen familiären Hintergründen, finanziellem Background und kaputten oder glücklichen Kindheiten sind betroffen. Von 18 bis 50 Jahren, bunt gemischt. Nur fast keiner redet darüber. Draußen.

Therapiealltag

Der Klinikalltag war gut strukturiert. 8 Uhr Ankommen und gemeinsame Achtsamkeit, halb 9 gemeinsames Frühstücken, ab 9 Uhr individuelles Programm aus Körpertherapie, Kunsttherapie, therapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen.

In unserer zehn- bis zwölfköpfigen Gruppe haben wir gestritten, diskutiert, geredet, geweint, aber auch außerordentlich viel gelacht. Die Unterstützung der anderen Therapieteilnehmer ist ein Grundpfeiler, worauf das Konzept baut. Mitpatienten sind unter Umständen in der Lage, einem anderen über drei Monate Therapiezeit so viel zu geben, vielmehr als es einem Therapeuten in den angesetzten rund 20 Einzelgesprächen möglich ist. Der Therapeut ist für Strategien da, zum Aufzeigen, der wunden Punkte, zum Einhalten des Plans. Andere Patienten sind dafür da, einen Spiegel vorgehalten zu bekommen, für Aha-Momente, für Liebe und Wärme im weitesten Sinne. Und um 16 Uhr ging jeder für sich nach Hause.

Der Weg in den eigenen Alltag

Und hier liegt die Schwierigkeit und die Chance der tagesklinischen Behandlung. Wenn die Patienten am Nachmittag den geschützten Raum der Klinik verlassen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als entweder das Gelernte draußen auszuprobieren, in den eigenen Alltag zu integrieren, das Risiko einzugehen, sich anders als sonst zu verhalten oder aber in genau die alten
Verhaltensweisen zurückzuwechseln. Dann aber bringt die Behandlung genau gar nichts. Wer eine Therapie beginnt, muss darauf gefasst sein, sich seinen
größten Ängsten zu stellen.

Aber auch diejenigen, die sich für einen stationären Klinikaufenthalt entscheiden, werden diese Schwierigkeit meistern müssen, nur eben nach dem gesamten Aufenthalt von mehreren Wochen in geballter Fassung.

Und du bist raus

Welche Art der Behandlung für jeden einzelnen geeigneter ist, vermag niemand pauschal zu sagen. Ich weiß nur, dass tiefsitzende und langwierige Problematiken, die beispielsweise schon seit Kindertagen auftreten,
eine intensive und lange Behandlung brauchen. Sicher hätte auch mir ein
stationärer Aufenthalt nicht geschadet. Denn meine Essstörung hat mir einen
Strich durch die Rechnung gemacht, hat die strengen Auflagen nicht einhalten
können, weshalb ich nach neun Wochen vorzeitig entlassen wurde.

Klinik – und dann?

Die Klinik hat mir einen fetten Anstoß gegeben. Sie hat mir noch viel deutlicher als die klassische ambulante Behandlung gezeigt, wo ich gerade stehe und vor allem wie. Sie hat mir gezeigt, wo es weh tut und wo die Angst am größten ist. Sie hat mir auch gezeigt, worin ich gut bin und wie wenig ich auf meine eigenen Bedürfnisse achte. Sie hat mich aber nicht geheilt, mich als quietsch-vergnügten Menschen Anfang 30 entlassen und mir ein neues Leben geschenkt. Sie hat mir Aufgaben gegeben und eine Menge Stoff zum Nachdenken. Die Frage ist nun, was ich daraus mache.

Die Angst bleibt

Auch wenn ich mit ganz neuen Kontakten viele tolle Erfahrungen machen durfte, bleibt meine Angst vor Stigmatisierung. Und das ist auch okay und auch nicht völlig abwegig. Viele Menschen können mit dem Thema auch einfach nicht umgehen, fühlen sich verunsichert auf diesem Terrain. Und das ist auch okay. Ich bin gerade dabei herauszufinden, wie wichtig es mir ist, darüber zu sprechen und was es mit mir macht, wenn ich es tue. Eins merke ich aber doch schon: Falls mich jemand deshalb abwertet, bedeutet es für mich nicht mehr die Welt.

Hinweis der Redaktion

Wenn du dich in einer schweren Krise befindest, ist es wichtig, dass du dir professionelle Hilfe suchst. Eine erste Anlaufstelle kann zum Beispiel deine Hausärztin sein oder der Krisendienst. Eine Liste mit Anlaufstellen gibt es unter anderem bei der Deutschen Depressionshilfe.

Unter der bundesweit einheitlichen Rufnummer 116 117 erreichst du den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen. In Notfällen wende dich bitte an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112. Eine Übersicht über die sozialpsychiatrischen Dienste nach Postleitzahl geordnet findest du bei der Deutschen Depressionshilfe. Auch die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr kostenlos erreichbar unter der Nummer 0800/1110111. 


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