Foto: Patrick Desbrosses

„Man muss aus der eigenen Komfortzone rausgehen, um sich selbst zu entdecken“

Die Textildesignerin Nadine Goepfert lässt sich für ihre Arbeiten vom Alltäglichen inspirieren und kreiert daraus etwas, das ganz bewusst zwischen Kunst und Design steht. Wir haben sie in ihrem Atelier getroffen und mit ihr über ihren Werdegang und den Coup mit Solange Knowles gesprochen.

 

„Ich übertreibe es gerne“

Die Arbeiten der Berliner Textildesignerin Nadine Goepfert entstehen aus dem absolut Alltäglichen, um dann zu etwas sehr Ungewöhnlichen zu werden – kein Wunder, schließlich begreift sie sich eher als Forscherin, denn als Designerin.

Wir haben mit ihr über ihren Werdegang und darüber gesprochen, warum es gar nicht weiter schlimm ist, dass man ihre Mode nicht tragen kann. Außerdem hat sie uns verraten, wie aus einem Geschirrservice der Pullover wurde, den Solange Knowles in ihrem Video zu „Cranes in the sky“ trägt.

Wann wusstest du: Ich will Textildesignerin werden?

„Ich wusste schon in der Schule, dass ich etwas Kreatives machen will. Aber damals war mir noch nicht so wirklich klar, in welche Richtung das gehen wird. Irgendwann bin ich dann auf Textildesign gestoßen und wusste, das ist perfekt für mich – denn bei vielen Design-Berufen sitzt man wahnsinnig viel am Computer und darauf hatte ich keine Lust. Mir war immer klar, dass ich mit den Händen arbeiten will. Außerdem kann man so wahnsinnig frei arbeiten und viel experimentieren, weil man immer bei Null anfängt. Ich entscheide immer neu: ob ich stricke, schneidere, webe oder bedrucke – und ob das dann ein Teppich, ein Kleidungsstück oder etwa Bettwäsche wird.“

Gab es (Textil-) Designer, die dich zu deinem Berufswunsch inspiriert haben oder bei denen du dachtest: in die Richtung will ich auch gehen?

„Ja, etwa Dries van Noten – aber da ging es mir weniger um die Ästhetik, sondern dass er einfach ein Meister im Kombinieren von Mustern ist und mit wahnsinnig hochwertigen Stoffen arbeitet. Da dachte ich mir sofort: Jedes schwarze Kleid kann einpacken, wenn man mit so einem komplett durchgemusterten Outfit auftaucht.“

Du hast an der Hochschule in Berlin Weissensee studiert. Was hast du in deinem Studium im Wesentlichen gelernt?

„Ich habe dort gelernt, wie man einen Arbeitsprozess angeht. Wir mussten immer damit anfangen, ein Arbeitskonzept zu schreiben, das wirklich schlüssig ist – sonst durfte man gar nicht weitermachen. Das war sehr toll. Ich konnte aber auch relativ schnell frei arbeiten, weil meine Professorin gemerkt hat, dass ich ein Mittelding zwischen Kunst und Design machen will. Trotzdem hat sie mich immer auch dahingeleitet, dass ich meine Arbeiten als Produkt verkaufbar machen könnte. Zudem haben wir sehr gut gelernt, wie man Sachen präsentiert und konnten viele Techniken ausprobieren. Ich habe mich dann auf Siebdruck spezialisiert – aber im Nachhinein hätte ich auch bei allem anderen besser aufpassen sollen (lacht).“

Und was musstest du dir hinterher selbst beibringen?

„Ich musste mir ganz viele Computerprogramme aneignen, weil wir das alles nicht gelernt haben. Nach dem Studium habe ich mich etwas ausgespuckt gefühlt und merkte schnell, dass da noch ganz viel ist, was ich noch lernen muss.“

Deine Arbeiten sind ja schon sehr speziell und bewegen sich eher Richtung Kunst als in Richtung Alltagsgegenstand. Wie würdest du deinen Stil selbst beschreiben?

„Ja, ich übertreibe mit den Materialien immer sehr gerne, um die Leute aufmerksam zu machen. Ich glaube, das braucht es auch – obwohl es bei den Thematiken, mit denen ich mich beschäftige, eigentlich sehr um das Alltägliche geht, um Gewohnheiten, die wir im Tragen der Kleidung und in der Körpersprache entwickeln. Aber würde ich nur mit tragbaren, einfachen Kleidungsstücken arbeiten, würde niemand hinschauen. Das ist also einerseits wichtig für meine Arbeiten, es ist aber glaube ich auch einfach meine Art (lacht).“

Aufmerksamkeit für dich oder für die Kunst?

„Schon für die Kunst. Ich will etwas machen, woran andere Leute dann wieder weiterarbeiten können. Ich will einen Anstoß geben – etwa dafür, die gelernten Gewohnheiten zu überdenken und zu fragen: Ist das noch gut so oder geht das nicht besser? Aber umsetzen will ich das nicht, ich bin eher die Beobachterin und Forscherin.“

Einerseits bekommst du damit die Aufmerksamkeit, andererseits ist das aber auch extrem mutig, denn du machst deine Käuferschaft damit ja kleiner. Es traut sich ja nicht jeder, mit solchen Stücken herumzulaufen. Kannst du davon denn leben?

„Das ist richtig. Aber die Kollektionen, die ich mache, werden eher in Ausstellungen gezeigt und dort angesehen sowie als Kunst verkauft. Es gibt zwar mal einzelne Anfragen von Leuten, welche die Sachen tragen wollen – aber mein Geld verdiene ich mit Auftragsarbeiten.“

Apropos Anfragen: Solange Knowles hat gerade einen deiner Pullis, aus deiner Abschlusskollektion 2013, in ihrem neuen Video getragen. Kam ihr Styling-Team auf dich zu oder wie läuft sowas?

„Ja, bei mir lief das tatsächlich so, dass ich auf einmal eine E-Mail in meinem Postfach mit dem Betreff „Solange x Nadine Goepfert“ hatte (lacht). Sie war von ihrer Freundin und Stylistin Shiona Turini und das Schönste war, dass sie sehr persönlich schrieb und nicht nur stur nach dem Pullover fragte. Sehr angenehm.“

Solange Knowles in ihrem Video zu „Cranes in the sky“. Pullover: Nadine Goepfert. Quelle: Vevo.

Hat sich damit für dich etwas verändert? Kamen dadurch mehr Anfragen?

„Es kommen schon ein paar mehr Interviewanfragen und ich hatte auch viel mehr Klicks auf der Website, aber man muss sich da nichts vormachen: heute ist alles so schnelllebig, dass das auch in absehbarere Zeit wieder abflacht. Das ist einfach so.“

Gibt es eigentlich jemanden, den du total gerne mal in deinen Sachen sehen würdest?

„Nein, mein erstes Ziel ist gar nicht, dass jemand meine Sachen trägt. Viel wichtiger ist mir der Diskurs, der durch meine Arbeiten entsteht. Mich freut es einfach, wenn Leute bei mir nachfragen, sich dafür interessieren, was ich mit meinen Arbeiten transportieren möchte. Ich meine, klar freut mich das mit Solange, aber das ist nicht mein Fokus.“

Wenn ich mir deine Sachen ansehe, könnte ich mir vorstellen, dass Asien für dich ein spannender Markt ist – Deutschland dagegen gar nicht so wichtig.

„Die Anfragen von den Leuten, die meine Sachen tragen wollen, kommen tatsächlich zu 90 Prozent aus Japan. Aber oft muss ich dann auch sagen: Die Sachen sind überhaupt nicht tragbar, sondern Sammlerstücke (lacht).“

Du hast auch die Adidas Runbase hier in Berlin mitgestaltet. Wie kam es dazu?

„Ja, ich habe das gemeinsam mit dem Architekturbüro Zweidrei gemacht, die mich mit ins Boot geholt haben. Ich habe sofort zugesagt, weil das ein Feld ist, was mich wahnsinnig interessiert. Es war spannend, mal so zu arbeiten, dass man nicht Sachen herstellt, sondern Sachen sucht, die zusammenpassen – in dem Fall Möbel oder auch ein Farbkonzept. Außerdem hat es mir total Spaß gemacht mit den Handwerkern zusammenzuarbeiten und auf der Baustelle unterwegs zu sein (lacht).“

Wie sieht denn ein typischer Arbeitsalltag von dir aus, wenn du nicht gerade solche Projekte machst?

„Morgens setze ich mich erst einmal an den Computer und arbeite E-Mails ab. Ich habe mir angewöhnt, das nur einmal am Tag zu machen, um mich die restliche Zeit auf das Gestalterische konzentrieren zu können. Wie es dann weitergeht, kommt ganz darauf an, was ich gerade mache. Die letzten Wochen habe ich etwa gemeinsam mit Mareike Lieneau an einem Teppich für ihr Label Lyk Carpet gearbeitet. Aber in der Regel wälze ich am Anfang immer erstmal Bücher und hole mir Inspiration. Dann gehe ich dazu über, Collagen zu machen, arbeite mit Papierschnipseln und Zeichnung. Erst im nächsten Schritt übertrage ich alles ins Digitale.“

Nadine Goepfert in ihrem Atelier. Bild: Redaktion

Du hast auch schon Prints für den Berliner Blumenladen Masano gemacht. Bewegst du dich mit solchen Projekten weg von deiner Kernkunst oder sind solche Ausflüge wichtig, um hin zur eigenen Kunst zu kommen?

„Das ist ja das Tolle an den Auftragsarbeiten: man kommt einfach mal aus seinem Trott raus und bewegt sich außerhalb der eigenen Komfortzone, weil man vielleicht auch mal an etwas arbeitet, mit dem man sich gar nicht so sicher ist. Nur so kann man sich und auch neue Interessen entdecken.“

Und wo lässt du dich klassischerweise inspirieren, wenn du nur für dich arbeitest?

„Bei Absurditäten. Ich hatte zum Beispiel mal eine Faszination für vakuum-verpackte Sachen, woraufhin ein Mantel entstanden ist. Und der Pullover, das habe ich lustigerweise noch nie erzählt, den Solange getragen hat, ist von einem gewellten Geschirrservice aus den 80er Jahren aus Italien inspiriert. Das fand ich einfach toll und wollte etwas damit machen. Was mich auch lange begleitet, ist die Ästhetik von Dingen, die gerade schmelzen. Wenn mich etwas fasziniert, dann will ich das in meine Ideen übersetzen.“

Alle Artikelbilder: Nadine Goepfert

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