Foto: Jennifer Fey

Google-Managerin Isa Sonnenfeld: „Legt euren Perfektionismus ab“

Isabelle Sonnenfeld, die Leiterin des Google News Lab der DACH-Region, hat uns im Interview erzählt, was sie durch ihre Elternzeit gelernt hat und wie sie mit den Veränderungen nun im Job umgeht.

Die Mutterrolle hat mich stark verändert

Vorbilder sind wichtig, denn sie geben uns Orientierung und Halt. Was sie sagen, inspiriert uns – und genau das macht Isabelle Sonnenfeld für die breite Masse zugänglich. In ihrer Podcast- und Eventreihe „Rolemodels“ interviewt sie Frauen, die einen bemerkenswerten Lebensweg gegangen sind. Zusammen mit ihrem Mitgründer David Noël hat sie so unter anderem die inspirierende Worte von Anne Will, Dunja Hayali oder Miriam Meckel hörbar gemacht.

Eigentlich leitet Isabelle das News Lab von Google in der DACH-Region. Seit 2015 arbeitet sie mit Redaktionen und Medien-Startups daran, Innovationen im Journalismus voranzutreiben. Durch ihre Arbeit für Twitter Deutschland kennt sich die Managerin mit den Herausforderungen aus, die der digitale Wandel mit sich bringt.

Sowohl im Beruf als auch mit ihrem Podcast setzt sich Isabelle für Vielfalt in der Medienbranche ein. Deshalb ist sie schon lange selbst ein Rolemodel. 2018 haben die EDITION F-Leser*innen und eine Jury sie unter die „25 Frauen, die unsere Wirtschaft revolutionieren“ gewählt – ein Award, den EDITION F seit 2014 jährlich verleiht. Sie ist außerdem als Coach bei der FEMALE FUTURE FORCE dabei und bietet dort Weiterbildung zum Thema agiles Arbeiten an. Wir haben mit Isabelle im Interview über Elternzeit, Veränderungen und ihre Vorhaben 2019 gesprochen.

Liebe Isa, wo stehst du gerade beruflich?

„Nach acht Monaten Elternzeit bin ich letzten Oktober wieder zurück in meinen Job bei Google gekommen. In den ersten Monaten als Mutter hatte ich ständig gegen die „Fear of missing out“ (FOMO) zu kämpfen. Bevor meine Tochter auf die Welt gekommen ist, habe ich mich sehr stark über meinen Job und mein Nebenprojekt Rolemodels definiert. Ich arbeite gerne und liebe Herausforderungen. Aber seit der Geburt meiner Tochter dreht sich meine Welt irgendwie langsamer und anders. Nicht mehr ich, sondern sie ist jetzt der Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Gelassenheit und Ruhe zu üben beziehungsweise zu akzeptieren, dass man für eine bestimmte Zeit in den Kokon der Elternzeit verschwindet, war nicht einfach.“

Wie sah deine Elternzeit aus?

„Nachdem sich unser Leben als Familie gut eingegroovt hatte, habe ich meine Elternzeit in vollen Zügen genossen. Dabei war ich natürlich nicht untätig – das kann ich, glaube ich, ohnehin nicht. Für Rolemodels, meine Event- und Podcastreihe, die ich gemeinsam mit meinem guten Freund David Nöel 2015 gestartet habe, um weiblichen Vorbildern eine Plattform zu geben, haben wir während meiner Elternzeit sehr viele Podcasts vorproduziert. Für das erste Rolemodels Event 2018 stand ich fünf Wochen nach der Geburt wieder auf der Bühne und durfte unsere ehemalige Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries interviewen.

Fast forward… als die Elternzeit sich dem Ende zuneigte, wurde ich sehr sentimental. Möchte ich wirklich schon wieder zurück? Kann ich meine Tochter abgeben? Bin ich mental überhaupt schon bereit für meinen hektischen Job? Viele Fragen und Zweifel kamen auf. Der nicht ganz einfachen Betreuungssituation in Berlin zum Trotz fand ich eine tolle Tagesmutter, die seit Oktober nun auf meine Tochter aufpasst und mir das gute Gefühl gibt, jeden Tag wieder mit Vollgas meinen Job machen zu können.“

„In der Realität merke ich von der Teilzeit wenig – man hängt hier oder da immer noch ein paar Stunden dran und ist dann doch beim alten Pensum.“

Wie war es dann letztendlich für dich, wieder zurück in deinen Job zu kehren?

„Nach der Elternzeit bin ich mit 70 Prozent in meine alte Stelle zurückgekehrt. Das hörte sich auf dem Papier toll an: vier Tage in der Woche bis 16 Uhr und Freitag ist komplett für meine Tochter reserviert. In der Realität merke ich von der Teilzeit wenig – man hängt hier oder da immer noch ein paar Stunden dran und ist dann doch beim alten Pensum. Das Erfolgsrezept für Teilzeit in einer Führungsposition habe ich also noch nicht entdeckt, auch wenn mein Arbeitgeber mir wahnsinnig viel Flexibilität zuspricht: Home-Office oder flexible Arbeitszeiten während der Woche. Es liegt wohl eher an der Diskrepanz zwischen eigener und äußerer Erwartung und dem begrenzten Zeitfenster, das mir mit unserer Tochter, Google-Job und Rolemodels zur Verfügung steht.

Die ersten drei Monate zurück im Job waren davon geprägt, den eigenen Rhythmus zu finden, Projekte meiner Elternzeitvertretung zu übernehmen, neue Projekte zu konzipieren und in den ganz normalen, schnellen Alltag bei Google zurück zu finden. Und man kann sich vorstellen, dass in acht Monaten bei Google wahnsinnig viel passiert.“

Hattest du dir für 2018 bestimmte Pläne vorgenommen?

„Ich mache mir jedes Jahr kurz vor Silvester eine New-Years-Resolution-Liste, obwohl ich weiß, dass ich wenig davon umsetzen werde. Es ist zur Gewohnheit geworden. Oft stehen nur vier bis fünf Dinge auf der Liste, alles andere ist ohnehin unrealistisch. Auch für 2018 standen wieder Vorhaben auf der Liste: jeden Monat ein Buch lesen, Deutsch/Englisch im Wechsel, Spanisch vertiefen, regelmäßig zum Yoga gehen und Meditation üben und schließlich eine gute und entspannte Mutter sein. Der letzte Punkt ist mir ganz gut gelungen. Bei den anderen Themen gibt es Verbesserungsbedarf. Ich habe die Liste vor der Geburt meiner Tochter geschrieben, sehr ambitioniert und ohne zu wissen, wie wenig Zeit man als Mutter hat.

Wenn ich auf das Jahr zurückblicke, dann betrachte ich es als sehr lange Findungsphase – als Mutter, als Eltern, als Partnerin, als Unternehmerin in Teilzeit mit Rolemodels und als Führungsperson in Teilzeit bei Google. Ich ärgere mich daher nicht wirklich über die Dinge, die ich nicht umsetzen konnte, sondern bin eher stolz darauf, dass ich alles irgendwie unter einen Hut bekommen habe.“

Ohne was hätte 2018 für dich nicht funktioniert?

„Drei Dinge waren für mich unverzichtbar: mein Google-Kalender, ohne den ich meinen Alltag mit Kind, Job und Nebenprojekt nicht organisieren könnte – geteilt mit meinem Mann, damit wir uns organisieren können; meine Kolleg*innen, ohne die mein Wiedereinstieg nicht so reibungslos und spaßig gewesen wäre; und mein Manager, der in London sitzt und mir sehr viel Vertrauen und Flexibilität schenkt, meine Rolle und Verantwortung nach meinen Konditionen auszufüllen.“

Was war dein wichtigstes Learning 2018?

„2018 war sicherlich für mich sehr besonders und ist nicht vergleichbar mit anderen Jahren. Die Mutterrolle hat mich stark verändert – oder vielleicht auch die Person in mir hervorgerufen, die ich schon immer war. Im Prinzip nehme ich zwei Dinge besonders mit:

Ich habe gelernt, dass Perfektionismus im Job oder als Mutter einfach nur einschränkend ist und schlechte Laune verursacht. Jeder Tag ist eine Herausforderung, die es zu bewältigen gilt und auf die man stolz sein kann. Ich hatte schon immer größere Erwartungen an mich selbst als an meine Umwelt mich. Diese Eigenschaft werde ich nicht ablegen können, aber oft reichen auch die 80 Prozent und nicht die vermeintlichen 120.

Eine zweite Erkenntnis aus 2018 ist, wie dankbar ich für die vielen tollen und mutigen Frauen und Männer bin, die mich umgeben, unterstützen und inspirieren. Auch wenn ,Female Empowerment‘ mittlerweile ein bisschen zum Modebegriff geworden ist, spüre ich die Effekte jeden Tag. Danke Ladies and Gentlemen!“

„Ich ärgere mich nicht über Dinge, die ich nicht umsetzen konnte, sondern bin eher stolz darauf, dass ich alles andere unter einen Hut bekommen habe.“

Was hast du dir für das neue Jahr vorgenommen?

„Während 2018 eine Such- und Findungsphase durch den Alltag mit Familie und Job war, habe ich für das neue Jahr einige Ideen, die mich selbst wieder stärker in den Fokus rücken. Die neue Liste ist daher etwas länger, wobei ich mich eher an Zielen als an Vorsätzen orientiere:

– Herrin meiner Zeit zu sein und das richtige Werkzeug dafür finden.

– Jeden Monat ein Buch auf Deutsch/ Englisch im Wechsel lesen, das ist zurück auf der Liste.

 Leadership-Kurse belegen, die mich in meiner Rolle wachsen lassen

– Events besuchen, die nicht unmittelbar mit meinem Job zu tun haben, um meinen Horizont zu erweitern

– Umweltbewusster leben und handeln

– Wieder politisch aktiv sein, denn es steht soviel auf dem Spiel

– Angela Merkel für den Rolemodels-Podcast Interviewen 🙂

– Das Wichtigste: glücklich und zufrieden sein, mit dem was ich habe

In unserem letzten Podcast mit der wundervollen Kübra Gümüsay sprechen wir darüber, wie wir die eigene Zeit besser einteilen und strukturieren können. Wir nennen es im Gespräch ,selbstbestimmtes Prioritäten setzen‘. Ich habe viele Methoden ausprobiert, aber nichts hat wirklich funktioniert. Daher werde ich für 2019 mit dem Bullet-Journaling beginnen.  Kübra hat mir so viel Inspiration und gute Tipps gegeben, dass ich jetzt damit beginne und gerne über Erfolg oder Misserfolg berichte.“

Wie gehst du mit Veränderungen um?

„Jede Veränderung ist ein Experiment, ein Sprung ins Ungewisse. Das Muttersein und der Wiedereinstieg in den Job waren für mich die zwei größten Veränderungen 2018. Ich hatte vor beiden Momenten großen Respekt und war sehr unsicher, wie ich mit der neuen Situation umgehen würde. Doch im Moment der Veränderung habe ich gemerkt, dass ich mir viel zu viele verrückte Gedanken gemacht hatte. Über die Jahre habe ich einen Trick entwickelt: Jedes Mal, wenn eine Veränderung ansteht, erinnere ich mich an die letzte schwierige Veränderung. Ob es der Berlin-Marathon, das Gründen von Rolemodels oder die Geburt meiner Tochter war, rückblickend scheint alles gar nicht mehr so schwierig. Ich sage mir dann, dass wenn ich das damals geschafft habe, dann klappt es jetzt auch.“

„Perfektionismus im Job oder als Mutter ist einfach nur einschränkend. Oft reichen auch die 80 Prozent und nicht die vermeintlichen 120 Prozent.“

Welchen Rat willst du anderen Frauen 2019 mit auf den Weg geben?

„Legt euren Perfektionismus ab – das kann ich wirklich nur raten. Wir sind umgeben von Selbstoptimierungs-Apps, To-Do-Listen, Büchern, Workshops, die uns alle Perfektionismus durch die Blume vermitteln wollen. Macht euch lieber mal wieder bewusst, dass ihr genug seid. Lernt, wirklich stolz auf euch zu sein. Schreibt es auf oder teilt es öffentlich mit, wenn ihr auf euch stolz seid. Zu oft greifen wir nach dem Nächstgrößeren, dabei vergessen wir den Blick auf das zu lenken, was wir jeden Tag schaffen. Seid euch eurer Selbst bewusst und kennt eure Schwächen und Stärken. Wenn man weiß, wer man ist und was man kann, ohne sich mit anderen zu vergleichen, dann lässt sich der übertriebene Perfektionismus leichter ablegen. Für 2019 ist das auch mein persönliches Ziel: mehr auf mich hören und mir selbst genug sein.“

Vielen Dank für das Gespräch!

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