Foto: Kerstin Görling

Kerstin Görling: „Mit dem Erfolg ist es wie mit der Liebe. Es braucht seine Zeit“

Kerstin Görling betreibt in Frankfurt ihren eigenen Shop Hayashi – außerdem kennt man die Powerfrau aus dem Journelles-Kosmos, wo sie regelmäßig neue Trends vorstellt. Mit uns hat sie über ihren Laden, wie alles begann und die Trends für den Winter gesprochen.

 

„Mach es nicht fürs Geld. Mach es, weil du es liebst!“

Gleich nach dem Studium seinen eigenen Shop aufzumachen,
verlangt nicht nur Know-How, sondern auch eine Menge Mut. Und genau den hatte
die heute 34-jährige Kersting Görling im Jahr 2007, und hob kurzerhand Hayashi aus der Taufe – der
Shop, mit dem sie seither ihren Traum von der Selbstständigkeit lebt. Wir haben
mit der Frankfurterin über die Anfangsschwierigkeiten, das richtige Konzept und darüber gesprochen,
warum es nichts bringt, sich zu viele Sorgen zu machen.

Kerstin, du bist Inhaberin des Frankfurter Shops Hayashi.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag von dir aus?

„Das Schöne an meinem Job: Jeder Tag sieht anders aus. In
der Regel verbringe ich die Hälfte des Tages vor dem Computer. PR, Buchhaltung,
Einkauf, E-Mails, da ist man schon komplett ausgelastet. Danach schaue ich im Store
vorbei, halte Rücksprache mit meinem Team. Im Verkauf stehe ich meist nur noch
wenige Stunden und am Samstag. Das möchte ich mir immer erhalten, um die Nähe
zu meinem Team, zum Produkt und zum Kunden zu haben. Außerdem bin ich viel
unterwegs, besonders während der Fashion Weeks viermal im Jahr und zudem reise
ich mehrfach nach Mailand und Paris.“

Wie kam es dazu, dass du gleich nach dem Studium deinen
eigenen Shop aufgemacht hast? Findest du das rückblickend nicht auch sehr
mutig?

„Ich wusste schon nach meinem Abitur, dass ich in der
Modebranche arbeiten möchte. Deshalb habe ich Fashion Management an der AMD in
Düsseldorf studiert. Während meines Studiums habe ich dann mein Laden-Konzept entworfen
und direkt nach dem Abschluss umgesetzt. Während der Schulzeit und des Studiums
habe ich im Einzelhandel gejobbt und Praktika gemacht. So habe
ich mir meine Basis geschaffen. Einen eigenen Store zu führen, war trotzdem ein
Sprung ins kalte Wasser. Aber mit 25 Jahren hat man eine Menge Mut, außerdem
keine starren Regeln im Kopf, was ich im Nachhinein als wichtigsten Erfolgsfaktor
sehe. Ich habe mir die Welt so gemacht, wie sie mir gefällt. Das war in manchen
Bereichen anders, als die Konkurrenz es tat. Ich wusste ja nicht, was eigentlich
die Norm ist. Da geht man neue Wege, ohne überhaupt zu wissen, dass es innovativ
ist. Sehr spannend!“

„Mit Mitte 20 hat man eine Menge Mut, das hilft auf dem Weg zum Erfolg.“

Gibt es etwas, das du rückblickend anders gemacht hättest? Oder gab es Hürden, die vollkommen unverhofft auf dich zukamen?

„Es gab anfangs sehr viele Hürden. Kredite zu bekommen, das
Startkapital bereitzustellen. Außerdem muss man ein halbes Jahr vor
Ladeneröffnung einkaufen. Ich hatte also schon sehr viel Geld ausgegeben, ohne
zu wissen, wo mein Store überhaupt eröffnen wird. Das ist auch nicht leicht für
die zukünftigen Lieferanten. Da muss man seine Visionen kompetent und
leidenschaftlich verkaufen können. Es gab ja nichts Greifbares bis auf die
Ideen. Bis ich zu meinem Store am Börsenplatz kam, gab es auch noch viele
Irrwege: ein geplatzter Mietvertrag in einer anderen Immobilie und viele
Verhandlungen mit Maklern. Doch letztendlich haben die richtigen Menschen an
mich geglaubt. Es gab viele, die dachten: Die Kleine ist verrückt geworden. Aber
es gibt eben Pfade, die siehst nur du, aber sie führen dich trotzdem ans Ziel.“

„Es gibt Pfade, die siehst nur du, aber sie führen dich trotzdem ans Ziel.“

Hattest du neben dem Kredit auch Eigenkapital, um den Start
zu finanzieren?

„Ich habe mir privat Kapital geliehen und zusätzlich einen
Kredit aufgenommen. Die Verhandlungen mit der Bank sind  immer zäh. Der
Handel wird sehr skeptisch betrachtet. Da muss man einen Top-Businessplan
bereithalten
und seine Chance und Risiken kennen.“

Du bist auf der ganzen Welt unterwegs, um die Kollektionen
für den Laden auszusuchen. Wie gehst du dabei vor? Wann weißt du, das ist etwas
für meine Kunden?

„Ich gehe beim Einkauf nie von der Kundin aus. Meine Kundinnen kommen zu Hayashi, um Neues zu entdecken. Sie wollen sich überraschen lassen und
nicht etwas sehen, was sie schon kennen. Mein Einkauf beruht auf meinem
Bauchgefühl und meiner Fantasie. Während des Einkaufs bin ich in meiner eigenen
Welt. Ich male gedanklich ein Bühnenbild für die Kleider – etwa wenn mich ein
Kleid an Zuckerwatte erinnert und das nächste vielleicht an einen Sommerurlaub
auf Capri. Ich reiße die Kleider gedanklich aus dem Zusammenhang einer
Kollektion und überlege wie ich sie mit meinem restlichen Einkauf kombinieren
kann. Es ist ein sehr kreativer Prozess, ein Kuratieren. Sehe ich eine
Kollektion und es kribbelt im Bauch, dann weiß ich: ich muss sie  kaufen. Am Ende des Einkaufs habe ich mein
Bild komplett – meinen Hayashi-Look.“

Kannst du dich noch an die ersten Kleider erinnern, die du
für den Shop gekauft hast?

„Ja, anfangs hatte ich sehr viele Berliner Designer. Kaviar
Gauche, Esther Perbandt und skandinavische Designer wie Fifth Avenue Shoe
Repair. Die Kleider waren sehr viel konstruierter, architektonischer als die
Kollektionen, die ich jetzt führe. Das Schöne ist ja, das sich immer etwas
verändert. Es gibt Läden, die sehen seit zehn Jahren gleich aus. Das wollte ich
nie. Sich neu erfinden ist für den Erfolg sehr wichtig. In der Mode bleibt
nichts für die Ewigkeit.“

Wie groß war zu Beginn die Angst, dass du mit deinem Gefühl,
deiner Auswahl komplett falsch liegst?

„Lustigerweise hatte ich keine Angst, zu keinem Zeitpunkt.
Ich war so überzeugt von meinem Konzept und habe das nicht hinterfragt. Ich
habe einfach gemacht. Natürlich gab es im Businessplan einen Worst Case. Aber
ich wusste: Der tritt nicht ein. Natürlich kamen in den Startjahren Zeiten, in
denen ich dachte: Mist, ich kann nicht mehr. Aber irgendwo kam dann doch ein
Lichtlein und ich wusste: Nur nicht aufgeben, Kopf hoch. Wer neue Wege geht,
kann nicht erwarten, dass alle gleich Yeah schreien. Man muss dem Kunden Zeit
lassen, dich zu beschnuppern und dir zu vertrauen. Wer denkt, man sperrt die
Ladentür auf und alle rasten aus, hat falsch gedacht. Es wie in der Liebe: Sie
braucht Zeit und kommt nicht von heute auf morgen.“

Wie haben eigentlich deine Eltern und Freunde reagiert, als du
ihnen deinen Plan vom eigenen Laden eröffnet hast?

„Meine Eltern und Freunde standen alle hinter mir. Ich hätte
mir da auch nicht reinreden lassen. Wer selbständig sein möchte, kann sich Rat
holen, aber darf die Entscheidungen nicht von anderen abhängig machen. Meine
Eltern haben bestimmt auch heimlich gedacht: Hoffentlich haut das hin. Mir
gegenüber aber haben sie immer gesagt: Du packst das!“

Der Einzelhandel ist ein hartes Pflaster. Wie wichtig ist
das Konzept, um zu überleben? Und wie wichtig ist der Online-Verkauf?

„Das Konzept ist essentiell. Ein schlüssiger Brand-Mix und
eine Vision steht hinter jedem erfolgreichen
Store. Wichtig ist es, eigene Wege zu gehen. Leider gibt es immer wieder
Stores, die das nicht machen. Über kurz oder lang: das Ende. Der modische Kunde
ist informiert und hellwach, er merkt, wenn jemand nur Copycat ist oder ob er
selbst die Trends prägt. Meine Zielsetzung ist es, immer wieder neue Brands zu
finden und sie aufzubauen, dem Kunden immer eine Überraschung im Sortiment zu präsentieren
und es dann nach meinem Hayashi-Look zu stylen und anzubieten. Dazu habe ich
ein geschultes Top-Team, die gute Verkäufer, aber eben auch Stylisten sind. Wir
verkaufen online über Farfetch, eine Plattform, die weltweit die besten
Boutiquen vereint. Das ist ein wichtiger Umsatzfaktor für uns, besonders weil
wir sehr viel Arbeit in Social-Media-Kanäle investieren. Ich stelle zusätzlich
auf Journelles meine neusten Outfits vor. Wenn man heutzutage einen Store führt,
kann man sich nicht mehr auf einen Kanal verlassen, sondern muss auf vielen
agieren. Je mehr Traffic, umso mehr Kunden.“  

Du bist das Gesicht des Ladens. Hast du eigentlich (gefühlt)
jemals frei?

„Da ich mit Leidenschaft meinen Job mache, schalte ich
nie wirklich ab. Ich bin fast immer online, füttere mich mit Information, rede
mit Menschen, gehe zu Events, tausche mich aus. Das ist essentiell, um immer
die neuste Marke zu entdecken, Trends zu spüren. Durch Instagram aber habe ich
mir eher Freiheit geschaffen, da ich nicht ortsgebunden bin. Wenn ich auf
Reisen bin, poste ich ein Kleid aus Paris und mein Team verkauft es dann im
Store. Das setzt natürlich die besten Verkäufer voraus. Die Kunden wissen ganz
genau: Die kennen sich aus und wissen, was ich tragen muss, um modisch in der Frontrow
zu sein. Selbst wenn ich nicht jeden Tag im Laden stehe, kommuniziere ich immer
mit meinem Team. Auszeiten nehme ich mir trotzdem und meist sind es meine Girls
im Store, die sagen: Kerstin, mach jetzt mal Urlaub! Und den genieße ich dann
auch in vollen Zügen. Aber natürlich habe ich immer Kamera, Computer, Stift und
Notizbuch dabei.“

„Mein Job ist meine Leidenschaft, deshalb schalte ich nie ganz ab.“

Welchen Tipp würdest du jemandem heute geben, wenn er einen
Laden eröffnen möchte?

„Was viele anfangs vergessen und immer der erste Schritt ist:
Schreibe dein Konzept, deinen Businessplan nieder. Mit allen Ideen und dem
Finanzteil. Da erkennt man schnell selbst, welche Schwachstellen noch verbessert
werden müssen und ob die Unternehmung Sinn macht. Eine Ausbildung und/oder ein Studium
im textilen und kaufmännischen Bereich ist essentiell, um fachlich kompetent zu
sein. Man muss sein Produkt kennen und kaufmännisch fit sein. Außerdem habe ich
mir in meinem Falle, entgegen vieler, immer gedacht: ‚Never for money, always
for love’. Und das hat mich zum Erfolg geführt. Wer mit Liebe – und einem
fundierten Finanzplan – einen Store führt, wird die Kunden begeistern. Denn
Liebe und Leidenschaft stecken an. Die Kleider, die mein Team und ich am
meisten begehren, sind immer direkt ausverkauft.“  

Und was war der beste Tipp, der dir jemals gegeben wurde?

„Das wichtigste: Immer locker bleiben. Es kommen in der
Selbständigkeit viele schwierige Situationen, da helfen keine Tränen und
besonders keine Panik. Ich betrachte dann immer die Sache mit Abstand und
denke: Was kann schlimmstenfalls passieren und wie soll es sein und wie komme
ich dorthin? Dann tief ein- und wieder ausatmen: Weiter geht’s!“

„Wenn es schwer wird, helfen weder Tränen noch Panik.“

Zum Abschluss wären natürlich auch noch drei Trend-Tipps für
die Herbst/Winter-Saison 2015/2016 großartig!

„Erstens, die Siebziger: Wildleder-Miniröcke, Blumenprints und ausgestellte
Ärmel und Hosenbeine. Zweitens, Ballett: Lagenlook, transparente, zarte Röcke, Overknees,
Oversize-Blusen, Hoodies. Und drittens, Statement-Coats wie Mäntel mit Grafiken und Schriften
oder knöchellange Camel-Coats.

Gerade habe ich jedoch schon meine ersten Ordertermine für Herbst/Winter 2016/2017 ausgemacht und im Store treffen die neuen Sommersachen für 2016
ein. Das Modekarrusell dreht sich rasend schnell!“

Alle Artikelbilder: Kerstin Görling.

Mehr bei EDITION F

Sophia Amoruso: Millionschwerer Girlboss. Weiterlesen

Jessie: Wie man Deutschlands bekannteste Modebloggerin wird. Weiterlesen

Miriam Jacks: „Meine Karriere ist das Ergebnis verdammt harter Arbeit“ Weiterlesen

Anzeige