Foto: Simone Schlindwein

„Wir kongolesischen Frauen sollten uns nicht mit der Opferrolle abfinden“

Ostkongos Provinzstadt Goma wird in den Medien oft als „Hauptstadt der Vergewaltigungen“ bezeichnet, Frauen als geschundene Opfer dargestellt. Die kongolesische Modedesignerin Justine Mapendo hat mitten im Kriegsgebiet eine ganz besondere Boutique eröffnet.

Modisches Empowerment

Justine Mapendo handelt mit einem Kunden um den Preis. Die junge Modedesignerin zeigt auf die aufgestickten Perlen auf der Handtasche. „Sehen Sie nicht die feine Handarbeit? Die Tasche ist ein wahres Einzelstück“, argumentiert sie. Der Mann runzelt die Stirn, er wolle seiner Frau zum Valentinstag ein besonderes Geschenk machen, erklärt er. Etwas Edles, Schickes soll es sein. „Glauben Sie mir, Ihre Frau wird Sie für dieses Geschenk sehr lieben“, schmeichelt ihm die junge Kongolesin und zwinkert ihm zu. Der Kunde gibt sich geschlagen und legt einen 20-Dollar-Schein auf den Tresen.

Mapendos kleine, vollgestellte Modeboutique liegt versteckt in einer ungeteerten Seitengasse im Herzen von Ostkongos Provinzhauptstadt Goma. „Kivu Nuru“ steht in geschwungenen Lettern über der Eingangstür. „Kivu“ ist der Name des gewaltigen Sees im Herzen Afrikas, der den Osten der Demokratischen Republik Kongo von dem kleinen Nachbarland Ruanda trennt. „Nuru“ bedeutet in der lokalen Sprache Kisuaheli „Licht“. Gemeint ist damit die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In ihrer Boutique können sich Frauen nicht nur einkleiden, sondern auch Arbeit finden. Sie will die traditionelle Fashion-Kultur wiederbeleben, denn früher war der Kongo das führende Land Afrikas für Mode und Design.

Systematische Vergewaltigungen als Form von Gewalt

Seit über 20 Jahren herrscht in der Region rund um den Kivu-See Krieg. Millionen Frauen und Kinder sind aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben worden, noch immer geschehen in den Bergen rund um die Millionenstadt Goma grausame Massaker. Über 70 Milizen kämpfen um jeden Quadratmeter Land und um die wertvollen Rohstoffe im Boden. Für Männer ist es einfacher, mit einer Kalaschnikow Geld zu verdienen, als einen Beruf zu erlernen. Der Ostkongo wird in den internationalen Medien mitunter betitelt als „der gefährlichste Ort der Welt, eine Frau zu sein“. Der Grund: Systematische Vergewaltigungen sind eine Form der Gewalt, die in diesem Krieg immer wieder ausgelebt wird.

„Wir kongolesischen Frauen werden in der Regel als Opfer gezeigt, zerlumpt und blutend“, erklärt Mapendo die Idee für ihre Modeboutiquer mit der sie das ändern will – und zeigt auf die kunterbunten Stoffe, Tücher, Kleider, Schuhe und Accessoires, die sich hinter ihr in den Regalen bis unter die Decke stapeln. Dazwischen stehen Gemälde von lokalen Künstlern, geschnitzte Holzstatuen und Masken – typisches kongolesisches Kunsthandwerk. In handgeflochtenen Körbchen liegen Armbänder, Halsketten, Finger- und Ohrringe aus Gold, Bronze und Kupfer. Die Metalle sind in den unzähligen Minen in den Bergen rund um Goma häufig zu finden.

Der Kongo galt zu Zeiten des berühmten Diktators Mobutu Sese Seko in den 70er und 80er Jahren als das Land der Mode und der Schickeria auf dem afrikanischen Kontinent. Der extravagante Herrscher über das gewaltige Land, das damals noch Zaire hieß, zeugte mehr als 20 Kinder mit mindestens sechs Frauen. Zeitweilig unterhielt er sich Zwillingsschwestern als Gemahlinnen. Nicht nur der Diktator selbst mit seinen typischen Leopardenfellmänteln, sondern vor allem seine Gefährtinnen trugen auf Staatsempfängen rund um die Welt die lokale kongolesische Mode zur Schau: wehende Kleider aus farbigen Stoffen, dazu passende Tücher für das krause Haar, diamantenbesetzter Schmuck, der funkelt und glitzert. Wichtig war dem steinreichen Präsidenten stets: Kongolesisch muss es sein, also aus lokalen Rohstoffen, vom Gold über den Diamanten bis hin zur Baumwolle.

Kinshasa ist das Paris Afrikas

Bis heute ist Schmuck und Kleidung im Kongo das Statussymbol schlechthin, mehr noch als das Handy oder das Auto. „La Sape“ heißt der typisch kongolesische Modestil für Männer. „Sapeurs“ nennen sich die, die in knallbunten Klamotten, Hüten, Goldketten, spitzen Schuhen und Dolce&Gabbana-Gürtel umherziehen. Selbst wer nichts im Magen hat, trägt mit Stolz seine Goldkette zur Schau. Und bis heute gilt Kongos Hauptstadt Kinshasa als das Paris Afrikas. In der Zwölf-Millionen-Einwohner-Stadt gibt es mehr Bekleidungsgeschäfte als Gemüsestände.

Und nicht alles, was dort in den Schaufenstern hängt, ist Secondhand-Ware aus Europa wie in anderen Hauptstädten Afrikas, sondern meist handgeschneidert. Die Kunst des Nähens und Schneiderns sowie der Schmuckherstellung ist im Kongo traditionell ein angesehenes Handwerk, das vor allem von Frauen ausgeübt wird. Die kongolesische Frau sei stets sehr auf ein gepflegtes Aussehen bedacht, sagt Mapendo: „Wir zeigen uns gern in der Öffentlichkeit von unserer schönsten Seite, in farbenprächtigen Kleidern, den passenden Schuhen, Taschen, Schmuck.“ Das sei ein wichtiger Bestandteil der Kultur und Tradition.

In Goma gab es lange Zeit keine Modegeschäfte und Schneidereien mehr. Hilfsorganisationen verteilten stattdessen kostenlos Secondhand-Klamotten aus Belgien oder Deutschland.  In den Jahrzehnten des Krieges, in denen alles Geld für das reine Überleben investiert werden musste, sei diese Kultur verloren gegangen – und damit auch ein wichtiger Einkommenssektor, sagt Mapendo und wendet sich einer alten gebrechlichen Frau zu, die schüchtern in der Eingangstür steht.

Justine Mapendo in ihrem Laden. Quelle: Simone Schlindwein

Accessoires aus Abfällen

Aus einem Stofftuch nestelt sie mit zittrigen Fingern eine Handvoll Ohrringe hervor, hergestellt aus Colaflaschendeckeln, mit bunten Stoffresten überzogen. Mapendo begutachtet die Ware: „Das haben Sie wirklich hübsch gemacht“, lobt sie die Alte und drückt ihr fünf Dollar in die Hand. „Wenn ich alle verkauft habe, bekommen Sie den restlichen Erlös“, verspricht sie. Die Alte lässt rasch den Geldschein in ihrem bunten Wickeltuch verschwinden und lächelt zufrieden. Für viele Frauen, die in den unzähligen Vertriebenenlagern am Stadtrand von Goma ihre Kinder aufziehen, ist Mapendos Boutique eine wichtige Einkommensquelle geworden.

Justine Mapendo selbst ist alleinerziehende Mutter, Mitte 30, ihre Tochter mittlerweile sechs Jahre alt. Sie hat erst Pädagogik studiert, dann Jura. Im dritten Jahr hat sie ihr Studium aus Geldmangel an den Nagel gehängt. Von Kindheit an sei es ihr Traum gewesen, Schneiderin und Modedesignerin zu werden, erzählt sie. Aus den einfachsten Gegenständen, ja selbst aus Abfällen wie zum Beispiel Colaflaschendeckeln habe sie angefangen, Accessoires zu basteln. Daraus entstand die Idee mit der Boutique. Diese Idee versucht sie jetzt an ein Team von Frauen in Gomas Vertriebenenlagern weiterzugeben – die meisten davon sind Opfer von Vergewaltigungen. „Ich gebe ihnen oftmals nur Nadeln, Faden und etwas Alleskleber und ermutige sie, ihre Kreativität anzuwenden“, sagt sie. So wird jeder Ohrring zum Unikat. „Die meisten meiner Kunden haben nicht viel Geld, wollen aber etwas Einmaliges, Besonderes.“

Auch Männer verirren sich oft in die kleine Boutique, um ihren Freundinnen oder Frauen kleine Geschenke zu machen. Mittlerweile ist die jährliche Modenshow, die Mapendo in einem edlen Restaurant am Ufer des Kivu-Sees ausrichtet, zum Event geworden, zu dem auch die gut betuchten Kongolesen ihre Frauen ausführen. Zum Abschied sagt sie: „Mein Traum ist es, dass wir kongolesischen Frauen unsere Körper wieder mit Stolz zur Schau stellen, anstatt uns mit dieser Opferrolle abzufinden.“

Dieser Text ist zuerst auf Deine Korrespondentin erschienen. Wenn ihr die spannende Berichterstattung von Deine Korrespondentin finanziell unterstützen möchtet, könnt ihr das bei Steady tun.

Was euch bei Deine Korrespondentin noch interessieren könnte:

Kinder der Crowd. Weiterlesen

Afrikas Feminismus in der Krise. Weiterlesen

Nachgefragt bei Indien-Korrespondentin Lea Gölnitz. Weiterlesen

Mehr bei EDITION F

An African City: Wie eine Webserie mit unseren Vorurteilen aufräumt. Weiterlesen

Chimamanda Ngozi Adichie: „Privilegien machen uns blind“. Weiterlesen

Nina: „Ich hatte nicht im entferntesten den Plan, mich selbstständig zu machen.“ Weiterlesen

Anzeige