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Ja, Sexismus ist Alltag – sprechen wir endlich ehrlich darüber!

Damit sich (Macht-)Verhältnisse verändern, braucht es eine mutige und offene Diskussion über die verschiedenen Ausformungen und Erfahrungen des Alltagssexismus, findet unsere Community-Autorin Doris Cornils.

 

Sexismus ist überall 

Immer mal wieder ploppt die sogenannte Sexismus-Debatte auf. So beispielsweise im Jahr 2013, als ein Porträt der Stern-Reporterin Laura Himmelreich über den FDP-Politiker Rainer Brüderle eine breite Diskussion über Sexismus auslöste. Im August diesen Jahres machte ein Google-Mitarbeiter mit biologistischen Aussagen über Frauen Schlagzeilen. Sie seien ängstlicher und weniger belastbar und deshalb für Führungspositionen weniger geeignet als Männer. Neu sind solche Aussagen und ihre Auswirkungen nicht. Nur dass sie öffentlich gemacht und mit einer Sanktion, in diesem Fall der Kündigung des Google-Mitarbeiters, geahndet werden, ist es schon. Und in der weiteren Diskussion rund um das Silicon Valley zeigt sich: Der Sexismus ist in der IT-Branche allgegenwärtig. So wie er es auch im Wissenschaftsbetrieb und der Wirtschaftswelt, aber auch in Politik, Kultur, Verwaltung – und außerhalb der Berufswelt – ist. 

Diese Debatten zeigen: Er existiert, der sogenannte Alltagssexismus. Und
gleichsam wird über ihn im Alltag nicht selbstverständlich kommuniziert,
vielmehr verschwindet er immer wieder aus der medialen und gesellschaftlichen
Öffentlichkeit. Sexismus ist demnach kein Thema, das gesellschaftlich und
medial dauerhaft und beständig Beachtung findet und einen festen Platz im
gesellschaftspolitischen Diskurs hat, sondern vielmehr fragmentarische und
zeitlich begrenzte Aufmerksamkeit durch Ereignisse wie obige erfährt.

Sexismus definieren

Sexismus basiert, laut wissenschaftlicher Definition, „auf der Vorstellung einer Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, die Ungleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern begründet. Männern und Frauen werden mit Verweis auf vermeintlich biologische Fakten unterschiedliche Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Neigungen zugeschrieben, die in ihrer Konsequenz erklären und rechtfertigen, warum Frauen im Durchschnitt weniger Macht, Einfluss, Vermögen und Zugangschancen als Männer haben“.

Sexismus im neuen Gewand?

Sexismus – „der sich in klar abwertenden Stereotypen über Frauen äußert“ – hat in aufgeklärten Gesellschaften der Moderne ein neues Gewand: Dort wo nicht mehr offen sexistisch kommuniziert werden darf – also auf der Vorderbühne – wird auf biologisch-evolutionäre Begründungen für Unterschiede zwischen den Geschlechtern zurückgegriffen.
Subjektive Beobachtungen und gesellschaftliche Stereotype werden herangezogen und derart mit biologischen Aspekten vermengt, dass der Sexismus im wissenschaftlicher Gewand daherkommt. Ganz im Stil des Google-Mitarbeiters, kommt am Ende dabei heraus, dass es in der Natur der Frauen begründet läge, dass sie eben keine Führungspositionen einnehmen könnten, weil sie zu ängstlich und vieles anderes mehr seien. Dass es sich hierbei um die Reproduktion altbekannter Argumente handelt und Geschlechterungleichheit kulturell und historisch bedingt sind, bleibt dabei völlig unbelichtet.

Auf der Hinterbühne – in informellen Situationen, wie an der Bar nach der
Tagung, am Stammtisch etc. – ist es jedoch nach wie vor salonfähig offene
sexistische Sprüche und Witze gegenüber Frauen zu machen. Diese Ausformung des Sexismus ist ebenso verbreitet wie ersterer – es spricht nur kaum jemand darüber. Auch nicht die betroffenen Frauen, die mit sozialer Abwertung durch
Arbeitskollegen und -kolleginnen (!) und mit Karrierenachteilen zu rechnen
haben, wenn sie verbale Anzüglichkeiten und körperliche Übergriffe durch
männliche Kollegen und Vorgesetzte publik machen. Das in Unternehmen und im Wissenschaftsbetrieb auch diese Ausformung des Sexismus alltäglich vorkommt, zeigen Studien und Medienberichte.

In der repräsentativen Studie „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von
Frauen in Deutschland
” im Auftrag des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gaben insgesamt 58 Prozent der befragten Frauen an in unterschiedlichen Formen in ihrem Lebensalltag sexuelle
Belästigung erlebt zu haben. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
erleben, so eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, rund die
Hälfte aller Arbeitnehmer*innen. Am häufigsten geht sie von Männern gegen
Frauen aus. Diese Zahlen sind erschreckend. Sexuelle Belästigung zählt
damit zu einer häufigen Erscheinungsform der Gewalt gegen Frauen.

Wie sexistisch ist die Wissenschafts- und Wirtschaftswelt?

„Wie sexistisch ist die Uni?“ (DIE ZEIT vom 03.08.2017) und „Wie sexistisch ist die IT-Industrie?“ (DIE ZEIT vom 17.08.2017), fragt die große deutsche Wochenzeitung im August 2017. Sie wirf einen Blick auf „Männerzirkel, dumme Sprüche, Tätscheleien“ und den „Alltag für viele Frauen in der Wissenschaft“ (DIE ZEIT vom 03.08.2017) und Wirtschaft. In der Wissenschaft ist der Sexismus besonders subtil; gilt doch das Ideal und der Anspruch eines objektiven „neutralen Forschergeist(es)“. Gerade im vermeintlich aufgeklärten Milieu der Intellektuellen wird postuliert „Sexistisch? Wir doch nicht!“ (Süddeutsche vom 26.07.2017). Doch auch hier werden Frauen von Männerrunden ausgeschlossen, mit sexistischen Äußerungen konfrontiert und sind selten in Jurys, Ausschüssen und Führungspositionen vertreten. „Sexismus prägt die Wissenschaft. Er deformiert die intellektuellen Möglichkeiten ausgerechnet jener Institutionen, deren innerste Aufgabe es ist, mutiges Denken zu befördern“ (DIE ZEIT vom 03.08.2017).

Machtmechanismen verstehen

Dass diese Mechanismen, ob in der Wissenschaft oder in der Wirtschaft, in einem Zusammenhang mit Machtstrukturen stehen; diese Perspektive einzunehmen ist klug, führt sie doch zum Kern dessen was sich hinter dem alltäglichen Sexismus – mit seinen vielen Facetten – verbirgt. Der Soziologe Prof. Michael Meuser forscht seit vielen Jahren über Männlichkeit. „Homosoziale Männergemeinschaften sind lebensweltliche Orte, an denen sich Männer wechselseitig der Normalität und Angemessenheit der eigenen
Weltsicht und des eigenen Gesellschaftsverständnisses vergewissern können. Dies geschieht umso effektiver, je weniger es den Beteiligten bewusst ist, dass die Gemeinschaft genau diese Funktion erfüllt“. Und: indem
Männer unter sich bleiben! Nach Meuser haben alle gesellschaftlichen Bereiche
eines gemeinsam: Es handelt sich um „soziale Orte, in denen zum einen der –
heute allerdings nicht mehr bruchlos gelingende – Ausschluss von Frauen
praktiziert wird, in denen zum anderen Hierarchien von Männlichkeit hergestellt werden“.

Dass der Ausschluss von Frauen aus Herrenrunden durch z. B. sexuelle Andeutungen, doppelbödige Witze etc. erfolgt, zeigen verschiedene
Studien. Die Ergebnisse im Forschungsprojekt „Mikropolitik: Aufstiegskompetenz von Frauen“ zeigten, dass Frauen regelmäßig die Erfahrung auf Tagungen machen mittels sexistischer Bemerkungen aus den abendlichen Zusammenkünften an der Bar ausgeschlossen zu werden. Nun mag man sich fragen: Wozu ist es wichtig dort dabei zu sein? Es sind eben jene Treffen, in denen die homosoziale Männergemeinschaft ihr Netzwerk pflegt, neue Projekte ins Leben ruft und berufliche Aufstiegspläne schmiedet. Neben der unangenehmen Erfahrung der sexuellen Belästigung sind Frauen somit auch deutlich im Nachteil, was ihre Karriere und den Zugang zu Netzwerken betrifft.

Sexismus thematisieren

Sexismus in seiner eingangs zitierten Bedeutung ist so vielfältig und im Alltag präsent, dass es an der Zeit ist, sich einer Debatte darüber dauerhaft zu stellen. Sie zeigt sich uns, neben den bereits beschriebenen Ausformungen, tagtäglich in der Werbung, darin, dass Frauen weniger Gehalt bekommen und sie seltener auf Tagungen oder anderen öffentlichen Veranstaltungen als Speakerinnen eingeladen werden als Männer. Und in so vielem mehr.

Damit sich diese (Macht-)Verhältnisse verändern, braucht es eine mutige und offene Diskussion über die verschiedenen Ausformungen und Erfahrungen des Alltagssexismus. Es bedeutet, Sensibilität für Machtstrukturen und der im Alltag hergestellten Ungleichheit zwischen Männern und Frauen zu entwickeln und auf Basis profunder Forschungserkenntnisse ehrliche (Selbst-)Reflexion hinsichtlich der Reproduktion dieser Mechanismen in Wirtschaft, Wissenschaft und anderen Institutionen zu betreiben.


Dipl.-Sozialökonomin Doris Cornils ist Projektkoordinatorin
von Pro Exzellenzia, Genderforscherin, Expertin Mikropolitik-Coaching, Trainerin & Sprecherin.


Dieser Beitrag ist zuerst im Pro Exzellenzia-Newsletter Nr. 3/2017 erschienen. Wir freuen uns, dass Doris Cornils ihn auch hier veröffentlicht.


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