Jessica Kinzer ist erst 24 Jahre alt und hat eigentlich Energie- und Ressourcenmanagement studiert. Doch das fand sie langweilig. Jetzt ist sie Tätowiererin und begeistert mit ihrem ganz eigenen Stil die Tattooszene.
Man muss nicht unbedingt gut zeichnen können
Jessica, ist Tätowiererin dein erster Beruf oder hast du zuvor schon andere Jobs gemacht?
„Was so einen richtigen Beruf angeht: ja. Davor habe ich Energie- und Ressourcenmanagement studiert. In diesem Bereich habe aber bisher nur im Praxissemester Berufserfahrungen gesammelt. Mein erster richtiger Beruf war dann das Tätowieren.”
Dein Studium hatte ja dann wenig mit Tätowieren zu tun. Wie kamst du darauf, das zum Beruf zu machen?
Wie lernt man zu tätowieren? Wirklich auf Schweinehaut?
Wie läuft so eine Ausbildung ab, braucht man überhaupt eine offizielle Ausbildung?
„Tätowieren ist kein anerkannter Ausbildungsberuf. Wenn man Tätowiererin werden will, sucht man sich eine Art Mentor, also jemanden, der dir das Ganze beibringt und dich an die Hand nimmt. Die Ausbildung läuft in jedem Studio unterschiedlich ab. Bei mir war es so, dass ich ein halbes Jahr viel zugeschaut habe und immer neben dran saß und viele Fragen gestellt habe. Außerdem habe ich sehr viel gezeichnet aber auch die ganze technische Seite des Berufs gelernt, zum Beispiel wie die Tätowiermaschinen funktionieren und auch sehr viel über die Haut des Menschen.”
Wenn ich mir jetzt im Internet irgendeine Tätowiermaschine bestellten würde, könnte ich dann schon sagen, dass ich Tätowiererin bin?
„Ja genau, du könntest dann sofort ein Studio aufmachen und drauf los tätowieren. In Deutschland braucht man leider keinen offiziellen Nachweis.”
Hast du als Tätowiererin eher ungewöhnliche Arbeitszeiten, oder kommen auch Menschen morgens um 9 Uhr zum Stechen?
„Das Schöne an unserem Studio ist, dass wir einen sehr geregelten Ablauf haben. Wir treffen uns immer um 9 Uhr und beantworten dann erst einmal E-Mails. Um ca. 10 Uhr kommt dann der erste Kunde und um 18 Uhr bin ich dann ungefähr fertig. Das Tolle an dem Beruf ist, dass man sehr flexibel ist. Grundsätzlich kann ich aber sagen, dass sich meine Arbeitszeiten eher nach hinten verschoben haben.”
Kommst du aus einer kreativen Familie?
„Nein, überhaupt nicht (lacht)! Meine Mama ist Bankkauffrau, meine eine Schwester ist Chemielaborantin und die andere arbeitet in einem Büro. Ich selbst habe früher viel Musik gemacht, das war das Kreative, was ich gemacht habe. Das Zeichnen kam eher intuitiv dazu.”
Also scheint deine Familie nicht so viel mit Tattoos am Hut zu haben. Was sagen die denn dazu, was du jetzt machst?
„Am Anfang waren alle sehr skeptisch. Ihnen war es sehr wichtig, dass ich mein Studium fertig mache, was ich nebenher dann auch noch ein Jahr fertig gemacht habe. Das war aber auch meinem Chef sehr wichtig. Als sie dann gemerkt haben, dass diesen Job ja nicht nur ,Asoziale‘ machen, sondern dass es ein ernstzunehmender Beruf ist, mit dem man auch Geld verdienen kann und in dem ich total aufgehe, waren sie auch sehr stolz.”
In letzter Zeit sieht man immer wieder sehr abstrakte Tattoos. Muss man als Tätowiererin zwingend gut zeichnen können?
„Es kommt ganz drauf an, in welche Richtung du gehen willst. Im Endeffekt ist es nur ein Handwerk, also etwas, das man lernen kann. Das Zeichnen ist dann nochmal etwas anderes. Es kommt immer darauf an, was man tätowieren will und wie kreativ man sein möchte.”
Wenn man nicht zwingend gut zeichnen können muss, was sollte man dann als Tätowiererin auf jeden Fall mitbringen?
„Menschenkenntnis! Jeden Tag hat man mit ganz vielen Leuten zu tun, also darf man kein Arsch sein. Vor einem sitzen Menschen, die teilweise immense Schmerzen aushalten müssen. Da braucht man Empathie. Außerdem muss man sich auch in der Buchhaltung auskennen und über Hygiene Bescheid wissen.”
Wie ist das momentan bei dir? Bist du angestellt oder selbstständig?
„Ich bin im Studio ganz normal angestellt. Allerdings fühlt es sich gar nicht so an, denn ich habe die Freiheit wie eine Selbstständige zu arbeiten und kann meine Zeit so einteilen, wie es für mich am besten ist.”
Das typische Klischee eines Tätowierers ist ja groß, breit gebaut, gefährlich aussehend und am ganzen Körper tätowiert. Hast du in der Tattoo-Szene manchmal das Gefühl, dass du es schwerer hast, weil du nicht diesem Klischee entsprichst?
„Also unsere Auszubildende Melissa ist – wie ich – klein und blond und unser Chef sieht auch überhaupt nicht aus wie ein Rocker, er selbst hat sogar kein einziges Tattoo. Wir passen also nicht wirklich ins Klischee. Das Coole an der Tätowierer-Szene ist mittlerweile, dass es sehr sehr viele Frauen gibt, die diesen Beruf ausüben. Man muss sich als Frau also nicht erst behaupten. Aber natürlich ist es so, dass wenn man nicht so klischeemäßig aussieht, dann erwarten die Leute erst einmal nicht, dass man diesen Beruf ausübt und sind überrascht.”
Kann man als Tätowiererin denn gut von seinem Verdienst leben?
„Wenn man alles nachhaltig und clever angeht, dann auf jeden Fall. Man muss allerdings hart dafür arbeiten, das Geld kommt einem, vor allem am Anfang, nicht zugeflogen.”
Wie viel Honorar, gibst du bei einem Tattoo für Materialien aus?
„Die Faustregel ist, pro Tätowierung circa 50 bis 80 Euro. Das ist allerdings nur das pure Material, zu den Fixkosten kommen aber noch zahlreiche andere Dinge, wie zum Beispiel Studiomiete oder Getränke hinzu.”
Was würdest du jemandem raten, die selbst Tätowiererin werden will?
„Auf gar keinen Fall alleine Zuhause anfangen, sondern sondern sich ein Studio suchen, das einen richtig ausbildet. Heutzutage ist es oft so, dass sich viele einfach eine Tätowiermaschine auf Ebay bestellen und dann zu Hause auf eigenen Faust tätowieren. Dadurch lernt man vieles falsch und eignet sich falsche Arbeitsweisen an. Abgesehen davon, ist es sehr unhygienisch und unverantwortlich. Bei der Auswahl des Studios sollte man darauf achten, dass einem die Arbeiten der Tätowierer gefallen, die dort arbeiten und dass man sich wohlfühlt. Und dann: Anpacken und Vollgas geben, es kann nämlich einer der schönsten Berufe sein.”
Was gefällt dir denn besonders gut an deinem Beruf?
„Dass man jeden Tag eine Challenge hat und immer etwas dazu lernt. Man ist nie fertig und hat nie ausgelernt. Es gibt immer wieder neue Dinge und Trends die auftauchen. Das ist total interessant. Aber auch die Freude der Menschen, wann ihr Tattoo fertig ist, begeistert mich jedes Mal. Ich lerne jeden Tag sehr viele verschiedene Menschen kennen, da kommt nie Langeweile auf.”
Du hast deinen ganz eigenen Stil woher kommt der und woher bekommst du Inspiration für deine Zeichnungen?
„Inspiration hole ich mir bei anderen Tätowierern, die einen anderen Stil als ich haben. Besonders gerne schaue ich mir Oldschool- oder Realistic-Tätowierer an. Wenn ich zeichne, höre ich viel Musik und ziehe daraus sehr viel Inspiration. Aber auch draußen beim Spazieren fallen mir immer wieder neue Dinge ein.”
Was sagst du zu Tattoo-Trends wie zum Beispiel dem Arschgeweih?
„Trends kommen nicht von ungefähr. Zum Beispiel finde ich das Arschgeweih eine clever durchdachte Sache, da es gut an den Körper angepasst ist und eigentlich gut aussieht. Mittlerweile hat es nur so einen Stempel, weil es damals einfach total gehypt wurde. Das einzige Problem, das ich mit Trendtattoos habe ist, dass es immer das Gleiche ist. Man kann Motive nehmen und verändern und sie dadurch individuell machen, aber wenn jeder mit einem ähnlichen Tattoo rumrennt, finde ich das nicht schön.”
Wie erfahren Leute von dem, was du kannst? Ist das alles Word-of-Mouth oder machst du Marketing?
„Ich betreibe meinen Instagram-Account sehr aktiv. Ansonsten denke ich, dass die Leute über Empfehlungen auf mich kommen. Ganz bewusst Marketing mache ich nicht. Die meisten Kunden erzählen mir, dass sie mich über Instagram gefunden haben.”
Gab es auch schon Anfragen, bei denen du gesagt hast: „Nein das mache ich nicht”?
„Ja. Das war ein verhunztes Portrait von dem Sänger der Böhsen Onkelz und ich sollte es schön machen – da habe ich dann nein gesagt. Ansonsten habe ich mit meinen Kunden bisher immer eine Lösung gefunden und kann den Kunden erklären, warum ihre Vorstellungen nicht umsetzbar sind. Wenn ein Tattoo zum Beispiel nicht an die Körperstelle passt oder zu klein ist, dann setze ich mich nochmal mit den Kunden zusammen und bespreche einen anderen Weg, ihren Wunsch umsetzen zu können. Von Trendtattoos rate ich auch eher ab und versuche gemeinsam mit dem Kunden etwas Neues zu entwerfen. Bis auf das Portrait habe ich aber noch nichts angelehnt.”
Was war das verrückteste Tattoo, das du jemals gestochen hast?
„Also von den Motiven her habe schon ziemlich viele verrückte Sachen gestochen. Sei es nun eine fliegende Ananas auf einem Fahrrad oder einen Weltraum-Flamingo. Das Krasseste, was ich bisher je gemacht habe war, dass ich einem 18-jährigen Mädchen auf einer Convention zwei Tage lang den kompletten Rücken tätowiert habe. Dazu muss man sagen, dass es ihr erstes Tattoo war. Das war wirklich ein tolles Gefühl, auch weil sie mir so viel Vertrauen entgegen gebracht hat.”
Wen würdest du gerne mal tätowieren?
„Das wäre tatsächlich mein Chef! Wobei das glaube ich nie passieren wird, weil er keine Tattoos hat. Aber das wäre für mich eine echte Ehre. Ansonsten jemanden den ich schon länger bewundere, wie Morrissey oder einen ganz berühmten Star. Aber das ist nicht mein oberstes Ziel. Eigentlich ist es egal wen man tätowiert. Solange der Kunde cool ist, macht es immer Spaß.”
Du hast ja auch selbst sehr viele Tattoos, welches ist denn dein Liebstes und warum?
„Hui, da muss ich jetzt wirklich überlegen. Aber es ist wohl das Gin Tonic trinkende Wombat mit dem Akademikerhütchen. Das habe ich mir nach dem Bachelor tätowieren lassen. Das Gin Tonic ist übrigens mit Rosmarin und Gurke.”
Denkst du, dass du immer Tätowiererin bleiben wirst oder könntest du dir auch vorstellen mal etwas anderes zu machen?
„Ich hoffe es! Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen.”
Bilder: Jessica Kinzer
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