Foto: M J Chapman Photography

Was machen Selfie-Könige und Tweet-Genies im echten Leben?

Ist der Selfie-König wirklich so selbstbewusst und der dramatische Kommentator wirklich meinungsstark? Michael Chapman zeigt in seinem Fotoprojekt die wahren Gesichter von rund 100 Tweetern.

 

100 Fremde, 100 Fotos 

„Wir haben uns als Fremde getroffen“, heißt das Projekt des Fotografen Michael Chapman, der aus Neugier beschloss, seine Twitter-Bekanntschaften in der Offline-Welt zu treffen. Dokumentiert hat er die rund 100 Treffen mit je einem Porträt.

Der Fotograf bezeichnet sich selbst als „some crazy bearded man with a camera“.

Man müsse stark differenzieren zwischen dem Bild, das man durch das digitale Profil gewinnt und der dazugehörigen Person in der Offline-Welt, sagt Michael Chapman auf seiner Website. Online könne man schnell Bekanntschaften machen, neue Freundschaften schließen, die Persönlichkeit formen und biegen – mit den lustigsten Posts, den schönsten Fotos, den meisten Freunden. Doch die Realität sieht manchmal anders aus: 

„Einige der übertriebenen ,Tweeter‘ erschienen weicher und diejenigen, die endlos viele Selfies gepostet haben, wirkten relativ befangen.“

Um die Personen in einer möglichst authentischen Situation einzufangen, legte er vor den Treffen einige Regeln fest. Er wollte niemanden dazu zwingen, sich von ihm fotografieren zu lassen, sie sollten sich freiwillig melden. Dies führte zwar dazu, dass das Projekt seinen eigenen Twitter-Kosmos widerspiegelte – zu 70 Prozent Männer zu 30 Prozent Frauen, hauptsächlich heterosexuell – doch hätte er Anfragen der Diversität zuliebe abgelehnt, hätte er gegen die eigenen Regeln verstoßen. 

Wer verbirgt sich wirklich hinter den Profilen?

Außerdem nahm er sich vor, den Titel seines Projekts „We met as strangers“ zum Programm zu machen und den Fotografierten ohne jegliche Vorurteile gegenüberzutreten. Wo, wie und in welcher Pose die Tweeter fotografiert werden wollten, überließ er ihnen – Hauptsache authentisch und ehrlich.

Die Idee zu dem Projekt sei durch eine Twitter-Begegnung mit einem anderen User entstanden, der für ein Thema, über das beide getwittert hatten, den gleichen Hashtag nutzte, antwortet er auf unsere Nachfrage. Diese Flüchtigkeit, dass man sich kurz unterhält, ein paar Worte wechselt, aber schnell wieder mit anderen Dingen fortfährt, machte ihn neugierig. Er wollte herausfinden, welche Persönlichkeiten sich wirklich hinter den Profilen verstecken. 

Angst, diejenigen Personen zu treffen, die er bislang nur aus dem Internet kannte, habe er nicht gehabt – schließlich mache er das als Fotograf tagtäglich. 

„Die größte Herausforderung bestand darin, ihnen gerecht zu werden und sie so einzufangen wie sie sind.“

Was er daraus gelernt habe? Dass er vorher ziemlich beschränkt war, was er anhand der Leute festmachte, denen er ursprünglich folgte. Sobald seine Follower-Zahl wuchs, vergrößerte sich automatisch auch die Vielfalt in seinem Twitter-Kosmos – insbesondere mehr Frauen kamen hinzu.  

„Außerdem habe ich für mich gelernt, dass es sich definitiv gelohnt hat, meiner Leidenschaft zu folgen. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, zu denen ich vermutlich nicht sofort den Kontakt gesucht hätte. In meinen Augen ist genau das die größte Belohnung: mich selbst daran zu erinnern, dass es gut tut, sich manchmal in Situationen mit unbekannten Gesichtern zu begeben.“

Wir freuen uns, euch eine Auswahl der Fotos zeigen zu dürfen. Alle 100 Fotos findet ihr hier.

@ka_bradley

@drurbanist

@MichaelJMcA

@PaddyFreeland

Quelle aller Bilder: M J Chapman Photography

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