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Warum wir nicht mehr von „Jungfräulichkeit” reden sollten

Der Glaube an die Jungfräulichkeit hält sich hartnäckig, obwohl es dafür gar keine medizinische Grundlage gibt. Und doch macht er vielen Frauen Angst und damit die Lust kaputt. Das müssen wir ändern.  

Jungfräulichkeit gibt es gar nicht

Vieles lebt durch Witze weiter. Wie zum Beispiel mit diesem, der mir mal in einer amerikanischen Bar erzählt wurde:

„What do you say to a German virgin? Guten Tight!”

Eine deutsche Jungfrau. Die ist eng. Haha. Und: Aua.

Bei diesem Witz geht es um Jungfräulichkeit. Um Schmerz und Sex. Der Witz erzählt davon, was wir über Jungfräulichkeit zu wissen glauben. Das Jungfräulichkeit nämlich etwas ist, das es wirklich gibt und das vor allem weh tun kann.

Aber das ist eine erfundene Tatsache. Ein kulturelles Konzept. Es ist jedoch so gut konstruiert – durch Witze, Bilder und Rituale, – dass immer noch viele nicht wissen: Jungfräulichkeit hat überhaupt keine medizinische Grundlage.

Dieses Konzept existiert lediglich in unserer Vorstellung. Und in dem, was wir mit dieser Vorstellung machen. „Jungfräulichkeit” begegnet uns an vielen Orten und verschiedene Weisen. Zum Beispiel in (hoffentlich) gut gemeinten Ratschlägen der Sorte „Mach’ es nicht mit dem Erstbesten!” und „Es wird wehtun, aber dann hast du es hinter dir”. Auch in der Literatur, in Berichten über Kinderehen, in Bildern der Jungfrau Maria, in Brautschleiern und in Dokumentationen amerikanischer „Purity Balls”.

Mit all dem wird betont: Jungfräulichkeit ist etwas, das Frauen verlieren. Ein Verlust, der im Extremfall sogar wertlos macht.

Worum es aber wirklich geht, sind Frauenkörper. Und darum, was wir glauben, wer Frauen grundsätzlich sind und sein sollten. Um Normen und Kontrolle. Ganz automatisch geht es dabei auch um Männer. Und die Macht, die ihnen zugeschrieben wird. Ob sie wollen oder nicht.

Von junger Frau zu Jungfrau

Bezeichnete die „Jungfrau” historisch gesehen zunächst nur unverheiratete Frauen, wurde daraus schließlich die noch nicht entjungferte Frau. Eine Frau, die noch keinen penetrativen Sex hatte. Das war lange genug ein wichtiges Gut. Als Jungfrau eine Ehe einzugehen war eine Selbstverständlichkeit. Denn die Jungfräulichkeit war bares Geld. Noch 1968 konnte eine Frau vor einem deutschen Gericht ein „Kranzgeld” einklagen, weil ihr Verlobter mit ihr geschlafen hatte ohne sie – wie versprochen – anschließend zu heiraten.

Jungfräulichkeit ist demzufolge ein Wert. In vielen Kulturen immer noch der einzige, den eine Frau für sich beanspruchen kann.

Es gibt kein Jungfernhäutchen

Dabei ist Jungfräulichkeit medizinisch gesehen ausgemachter Quatsch. Das Hymen, oder auch „Jungfernhäutchen”, ist nämlich gar kein Häutchen. Das Hymen ist ein Gewebesaum, der den Scheideneingang umschließt. Er ist bei jeder Frau unterschiedlich ausgeprägt. Manche Frauen haben sogar überhaupt kein Hymen. Dieser Gewebesaum bleibt ein Leben lang bestehen, auch nach mehreren Geburten. Dieser Saum kann nicht durchreißen. Nicht beim Fahrradfahren, nicht beim Spagat. Und auch nicht beim Sex.

Niemand kann also beurteilen, ob eine Frau noch „Jungfrau” ist, also ob sie schon penetrativen Sex hatte oder nicht. Wenn der erste penetrative Sex trotzdem als schmerzhaft empfunden wird, liegt das meist daran, dass die Scheide nicht feucht genug ist.

Schmerzen, Ängste, Vorurteile

Es gibt leider nicht nur öde Witze darüber, sondern auch zig Foren, in denen Menschen diese Ängste diskutieren: Wie mache ich es am Besten? Soll ich grob sein, damit sie es hinter sich hat? Kann ich mit einem Typen schlafen, auch wenn ich mir keine Zukunft mit ihm vorstellen kann? Sie ist schon voll ausgeweitet, weil sie mit mehreren Männern geschlafen hat!

In der Konsequenz entwerfen Beratungsstellen Aufklärungsbroschüren, Frauen versuchen, sich aus Angst selbst zu „entjungfern“ oder suchen nach Möglichkeiten, das „Häutchen“ wiederherzustellen. Auch Männer haben Angst. Man kommt vor Staunen und Schreck gar nicht hinterher.

Trotz dieser Vorurteile hört man ständig, dass zu viel über Sex geredet und geschrieben würde. Ihr Lieben: Wenn es so viele Menschen gibt, die Angst vor etwas haben, das gar nicht existiert – dann wird offensichtlich noch lange nicht genug darüber geschrieben!

Denn es geht ja auch nicht nur um die ganz konkreten Ängste, um Fragen wie „Soll ich ein Taschentuch dabei haben“ oder „Welches Gleitgel benutzt ihr?“. Es geht um einiges mehr. Um unsere Vorstellungen davon, was Sex überhaupt ist und sein soll. Was Lust für die Geschlechter bedeutet und was Frauen für Menschen sind. Eine Schlampe, schon eine richtige, ehrbare Frau oder noch ein enges Mädchen?

So lange es dieses Konzept der Jungfräulichkeit gibt, messen wir auch einer bestimmten Art Sex den höchsten Wert zu. Das lässt nicht nur alle Menschen außen vor, die „Penis in Vagina“ nicht so spannend finden. Es vermittelt uns auch: Ein Frauenkörper ist etwas, das beim Sex kaputt gehen kann und dabei dauerhaft seine Unschuld verliert. Es geht um die weibliche sexuelle Selbstbestimmung und unser Selbstbild.

Kurzum: Es geht um ziemlich viel. Und das ist doch ein wirklich guter Grund endlich aufzuhören, diesen Jungfräulichkeits-Humbug weiterzuerzählen, oder? Und sei es nur mit einem dämlichen Witz.

Der Originaltext von Gunda Windmüller ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. 

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