Unsere Community-Autorin Anne Sophie lebt mit Mann und Tochter in Kalifornien – und schreibt über ihren schweren Start in Orange County, wo sich die Familie allein und isoliert fühlte – trotz jeder Menge Menschen um sie herum.
Beigetreten29. April 2019
Als wir vorhin in einem kleinen deutschen Geschäft Wienerle, Leberwurst und Brezeln eingekauft haben, habe ich eine kleine Reise in mein liebes Deutschland erleben dürfen. In der Schlange am Wurststand konnte ich beobachten, wie eine ältere Dame ihrer Freundin riet: "Liebes, reg dich nicht so auf, das ist nicht gut für dein Herz" und mir ging das Herz auf. In der Schlange an der Kasse konnte keiner abwarten, als Erster dranzukommen und ich schmunzelte bezüglich der Konflikte unter den anderen.
Manchmal habe ich Heimweh.
Als unsere Tochter sich heute im Supermarkt in der Quengel-Zone einen Schokoriegel schnappen wollte und ich ihr dies verbot, beschwerte sie sich. Als ich dann aber ein Fingerspiel mit ihr spielte, war der Schokoriegel binnen Sekunden vergessen. Ich atmete durch und sendete ein kurzes Stoßgebet gen Himmel mit dem Dank, dass sie ein solches Fähnchen im Wind ist.
Generell ist es (fast) immerzu möglich und meistens auch leicht, sie abzulenken. Sie ist nicht beharrlich, sie ist nicht verbissen oder verfolgt zielstrebig ihren Wunsch. Demzufolge bleibt sie auch nicht lange bei einer Sache und ihr Geist ist sehr sprunghaft. Alles Eigenschaften, die in unserer Leistungsgesellschaft nicht gerne gesehen werden. Doch ich finde sie genau richtig, wie sie ist und freue mich für sie um diese Eigenschaft. Weiß ich doch, dass diese Eigenschaft das Leben um vieles leichter machen kann.
In Deutschland steht die durchschnittliche Kinderquote derzeit bei 1,38 Geburten pro Frau, hier in Amerika liegt sie bei etwa 1,9. Obwohl Amerika das einzige Land der entwickelten Welt ist, in dem es kein Recht auf bezahlten Mutterschutz gibt, kann es eine Geburtenrate aufweisen, von der Deutschland nur träumen kann. Erzählt man den Bürgern hier, was wir mit der Geburt unserer Tochter für staatliche Zuschüsse bekommen haben, reiben diese sich oft die Augen und warscheinlich fragen sich alle: was in aller Welt macht ihr HIER?
Als ich vorhin mit meiner Tochter zu unserem Lieblingsbiosupermarkt um die Ecke auf dem Fahrrad an etlichen Obdachlosen vorbeigeradelt bin, wurde ich mit den Schattenseiten dieses Landes konfrontiert. Obdachlosigkeit in Amerika wird nicht abgefangen. Hier ist Armut überall zu finden und bei den Wohnungs- und Lebensunterhaltspreisen auch nicht verwunderlich. Der kalifornische Mindestlohn kann diese Kosten nicht abdecken. Ich fahre an den vielen Obdachlosen vorbei - Kranke, Kinder, Schwangere Frauen - und wünsche mir für diese Menschen ein wenig Hartz 4. Eine Politik, die in Deutschland von vielen Bürgern abgeschafft gehört.
Seit wir hier in den Staaten leben, fühlte ich mich Identitätslos. Meine Schwester, die schon intensivere Erfahrungen als Expatriat gemacht hat, konnte mir bestätigen, dass dieses Gefühl nicht so unnormal in unserer Situation ist. Man verlässt seine Rolle in seinem vorherigen Leben und muss erst wieder in eine neue Rolle schlüpfen. Doch was ist das für eine Rolle? Wo steckt man in der neuen Gesellschaft? Diese Phase hat mich teilweise wirklich Nerven gekostet.
Begebe ich mich auf der Suche nach meiner Identität zurück in das alte Leben, sehe ich eine für die deutsche Gesellschaft junge Mutter vor mir, die mit ihrem Ehemann im gehobenen Mittelstand steckt. Sorgenfrei für die Tochter zu Hause sein, weil dieses Modell das durchschnittliche jener Gesellschaft ist und weil es nach allen Abwägungen das lukrativere für uns war. Zwischen Krabbelgruppen und Müttertreffs steht das Baby im Fokus dieser jungen Frau. Ihre weibliche - nicht mütterliche - Identität hat sie bei ihrer Hingabe für ihren neuen Job als Vollzeitmama nicht verloren, aber hinten angestellt.
Eines der wohl am weit verbreiteten Klischees, das den Amerikanern zugeschrieben wird, ist der ungesunde und wenig ökologische Lebensstil. Fast-Food-Ketten an jeder Ecke, jede Meile wird im Auto hinterlegt und der Steilwahn, der keine physische Abhärtung zulässt. Als wir letztes Jahr eine Woche in Venice Beach geurlaubt haben und einen veganen Burgerladen neben dem nächsten sahen und Green Doctors an jeder Ecke, dachten wir noch, hier wär es ein bisschen anders. Der Körperkult in Kalifornien ist unglaublich ausgeprägt und somit lebt es sich hier tatsächlich ein wenig anders. Wir sehen kaum Übergewichtige, die Bioläden hier boomen (auch wenn der Parkplatz davor mit dicken SUV´s gepflastert ist und wir uns auch hier wie in den anderen Supermärkten Pullis bei 35 Grad Außentemperatur anziehen müssen) und manches Mal darf ich die Adonisse dieser Welt bei ihrem Training mit freiem Oberkörper (den sie meist auch noch unauffällig zur Schau stellen) neben den Spielplätzen bewundern ;-)
Ich liege hier im Auto, das wir heute zum Bett umgebaut haben. Neben mir schlummern mein Mann und meine Tochter bereits seelenruhig. Vor mir kann ich aus der Kofferraumluke das Meer sehen. Und ich kann es hören. Das Rauschen, wie die Wellen am Strand aufkommen. Der Geruch von Lagerfeuer liegt in der Luft.
Ich liebe diese Momente. Diese Momente, mich komplett frei zu fühlen. Mitten in der Natur. Und mitten im Leben. Mit Eichhörnchen, Stinktieren, Wildhasen und Kolibris und dazwischen immer wieder ein paar Grüppchen an Menschen, die fröhlich lachen oder singen. So fühlt sich Leben an. Und auch wenn ich immer wieder auf der Luftmatratze nach der richten Schlafposition suche, kann ich diesen Moment unendlich genießen.
Heute morgen wurde ich von meinem Mann und meiner Tochter zu meinem 2. Muttertag beglückwünscht. Als mein Mann mich fragte, was ich mir denn Besonderes wünsche, sah ich ihn an, während unsere Tochter ihn an seinen Barthaaren zupfte und musste schmunzeln.
Was wünsche ich mir?
Es ist Muttertag. Der Tag, der möglicherweise der Konsumgier geschuldet ist, aber uns an das stärkste Band des Lebens erinnern lässt. Das Band zur Mutter. Was kann es für einen größeren Wunsch geben, als dieses Band einmal selbst aus der Sicht der Mutter erleben zu dürfen? Und genau so fühle ich mich in diesem Moment. Während wir in unserem großen Bett kuscheln und die Sonnenstrahlen langsam dem Raum Wärme geben, kommt unsere Tochter zu mir herüber gekrochen und hält ihre kleinen, warmen und weichen Hände fest an meinen Kiefer und sagt: "Mama stree-iiii-cheeeeln", während sie mir liebevoll über meine Wangen fährt.
Wir leben nun seit über sechs Monaten in Kalifornien. Am 8. Oktober setzten wir uns in das Flugzeug, das uns in ein neues Leben katapultierte. Ich werde das Gefühl, das ich in den ersten Tagen und auch Wochen hatte, niemals vergessen. Es fühlte sich nie wie Urlaub an. Es fühlte sich wie nichts an, das ich jemals zuvor erlebt hatte. Es fühlte sich wie Schwerelosigkeit an. In diesen Tagen wünschte ich mir nichts sehnlicher, als endlich anzukommen
"Laughter is timeless, imagination has no age and dreams are forever."
Walt Disney hat mit diesen Worten sicher in schönster und prägnantester Weise beschrieben, welcher Zauber einer Kindheit einhergeht. Unsere Kindheit prägt uns ein Leben lang und ist der Ursprung unseres Denkens, Handels und Fühlens.
Walt Disney prägt die Kindheit insbesondere amerikanischer Kinder bis heute. Eine 30-minütige Autofahrt von unserem zu Hause und wir können in Disneyland noch einmal mit eintauchen in die Magie, die auch uns Erwachsene heute noch ein Stück weit in unsere Kindheit zurückversetzt.