Die Sozialunternehmerin Constanze Klotz führt ein Label, das Menschen Brücken in den ersten Arbeitsmarkt baut. Die Idee: aus alten Stoffresten werden Designstücke. Aus Langzeitarbeitslosen Menschen, die Hoffnung machen.
Brücken in den Arbeitsmarkt
Die Unternehmerin Constanze Klotz ist als promovierte Kulturwissenschaftlerin bei Bridge&Tunnel mit Kommunikation, Fundraising und Kooperationen befasst. Das Label, das sie gemeinsam mit Charlotte Erhorn führt, möchte in Hamburg Brücken in den ersten Arbeitsmarkt bauen. Mit ihr sprechen wir über die Themen Design als Jobmotor, Perspektiven für Arbeitslose und über das, was sie sich mit ihrem jungen Start-up noch alles vorgenommen hat.
Frau Klotz, sprechen wir über Ihre Mission. Erzählen Sie uns von Bridge&Tunnel – was ist das genau und wer steckt dahinter?
„Hinter dem Label stecken meine Wenigkeit und meine ‚Partnerin in crime‘ Hanna Charlotte Erhorn. Ich bin Kulturwissenschaftlerin, Lotte ist Textildesignerin. Wie wir finden eine perfekte Kombination für unsere Idee eines textilen Sozialunternehmens. Bridge&Tunnel ist ein Social-Design-Label, das sich nichts Geringeres vorgenommen hat, als Gesellschaft durch Design zu verändern.“
Überzeugen Sie mich: Warum sollte ich für einen Teppich aus alten Jeansresten, die sonst auf dem Müll landen würden, 299 Euro bezahlen?
„Weil in unserem Teppich viel Liebe, vor allem aber jede Menge Handarbeit steckt. Wir fertigen ja unter anderem aus postconsumer waste, das sind bereits getragene, zerschlissene Jeans, deren Lebensdauer im Patchworkverfahren aber noch verlängert werden kann. Für einen Teppich mit einem Durchmesser von einem Meter werden 42 Jeans verarbeitet, die dann in stundenlanger Handarbeit geflochten und wie eine Lakritzschnecke zu einem Teppich aufgerollt werden.“
Das erinnert mich ein bisschen an Rumpelstilzchen, das Stroh zu Gold spinnen konnte…
„Unsere Preise stehen immer auch für die Wertschätzung an die Arbeitsleistung, die hinter einem Produkt steckt. Und sie beinhalten natürlich auch die fairen Löhne, die wir zahlen. Zudem ist jedes Produkt ein Unikat. Überzeugt?“
Aber gibt es inzwischen nicht schon genug Upcycling- oder „Eine Welt Laden“-Produkte?
„Es gibt sicherlich von allen Produkten auf dieser Welt ‚zu viele‘. Ich glaube wir sind in unserer Konsumgesellschaft weit weg von einer natürlichen Nachfrage. Die Frage müsste dann eher lauten, welches Produkt brauche ich wirklich? Und warum gaukelt mir die Fashionindustrie permanent neue Must-Haves oder It-Pieces vor.“
Machen Sie das mit Bridge&Tunnels nicht irgendwie auch?
„Wir versuchen mit unseren Produkten an die Wertigkeit und Langlebigkeit von Anschaffungen zu erinnern, ohne erhobenen Zeigefinger. Es gibt schon eine immer größere Nachfrage nach einem bewussten, nachhaltigen Konsum, an den wir anknüpfen. Dabei versuchen wir uns selbstbewusst als Designlabel zu positionieren, insofern findet man uns auch nicht in Eine-Welt-Läden (die natürlich auch wichtig sind). Wir versuchen eher über unser Design zu überzeugen und dann en passant zu zeigen, dass unsere Produkte – durch ihre Geschichte -‚Design Plus‘ sind.“
Welche Perspektiven eröffnet Ihr Unternehmen arbeitslosen Frauen und inzwischen sogar auch Männern und was machen Sie, wenn ihnen Fachwissen fehlt?
„Die Frauen, die in unserem Team arbeiten, kommen in der Regel aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Bei ihnen geht es darum, sie in ihrem Können zu professionalisieren. Dazu gehört natürlich jede Menge Empowerment. Wenn man lange keine Arbeit hatte – und das können sich viele in Zeiten von Work-Life-Balance-Problemen kaum vorstellen -, ist man in Deutschland schnell kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft mehr. Arbeit bedeutet mittlerweile so viel mehr als nur einen Job zu haben. Die eigene, aber auch die Wertschätzung von außen, hängen ja stark damit zusammen. Wer arbeitet, fühlt sich gebraucht. Dieses Gefühl ist für unser Team superwichtig.“
Und langfristig?
„Langfristig möchten wir natürlich erreichen, dass unsere Mitarbeiterinnen bei uns so viel verdienen können, dass sie aus dem Hartz IV-Bezug herauskommen. Die Männer, die bei uns arbeiten und oftmals eine jüngere Fluchtgeschichte haben, sind professionell sehr fit. Viele haben eine langjährige Expertise als Näher oder Schneider. Bei ihnen geht es eher darum, sie mit einem Produktionsbetrieb in Deutschland bekannt zu machen und viel Deutsch zu üben. Um unser Team zu professionalisieren, haben wir unter anderem zwei professionelle Anleiterinnen an Board. Und jeden Dienstag gibt es bei uns ein ‘Trainingslager’. Da werden Nähte und Verfahren geübt!“
Apropos Team, mit wie vielen Neueinstellungen planen Sie denn noch in 2017?
„Erstmal geht es uns darum, unser aktuelles Team zu stabilisieren. Wir haben sechs feste Mitarbeiter und parallel immer zwei bis drei Praktikanten. Wir möchten aber sehr gerne wachsen und weitere gesellschaftlich benachteiligte Menschen in Arbeit bringen. Dazu müssen aber auch unsere Absatzzahlen wachsen.“
Sie sagen, dass Sie die Rohstoffe für Ihre Produkte wahrscheinlich äußerst günstig einkaufen – lohnt sich denn das Geschäft?
„Zwar kaufen wir unsere Roh- beziehungsweise Reststoffe sehr günstig ein, wir haben im Vergleich zu konventionellen Fashionplayern, die in Fernost produzieren, aber sehr hohe Personalkosten. Daher können wir unsere Produkte auch nur im etwas höherpreisigen Segment anbieten. Was aber auch wieder ein Statement ist: herkömmliche Produkte sind oft zu günstig.“
Ich vermute bei dem günstigen Materialeinkauf und den Preisen eine ganz gute Marge. Dennoch werden die Arbeiter von der Agentur für Arbeit gefördert – wie passt das zusammen? Oder anders gefragt: Wie hoch ist der Anteil am Umsatz eines Produktes, der unterm Strich dann für die Näherinnen und Näher übrig bleibt?
„Da unser Team, zumindest unsere Frauen, aber keine professionellen Näherinnen sind (viele haben zuvor vor allem nur in ihrer Freizeit oder im Familienkontext genäht), brauchen sie aktuell noch deutlich länger für Produkte, als wenn diese eine ausgebildete Schneiderin fertigt. Diese Professionalisierungszeit bei uns wird – bei einigen Mitarbeiterinnen – mit einer Förderung vom Jobcenter unterstützt, die aber zeitlich begrenzt ist. Wen interessiert, wieviel Marge tatsächlich bleibt, der kann sich gern unser transparentes Pricing angucken. Da legen wir für jedes Produkt alle Zahlen offen.“
Wo platzieren Sie denn die Produkte eigentlich im Markt, das ist sicher nicht ganz einfach, oder?
„Die Platzierung der Produkte am Markt ist in der Tat nicht ganz einfach. Wir haben unseren eigenen Webshop (auch aus Gründen der noch geringen Marge), sind auf einigen digitalen Vertriebsplattformen vertreten, die sich auf grünes/faires Design spezialisiert haben und haben einige stationäre Vertriebspartner in Hamburg. Wir möchten uns in diesem Jahr aber gern überregional aufstellen und weitere B2B-Partner gewinnen, bei denen wir AUCH durchs Design überzeugen. Denn das ist es, was der Kunde als erstes sieht. Unsere Geschichte kann noch so gut sein, wenn dem Kunden das Endprodukt nicht gefällt, verpufft unser ‚Plus‘.“
Na, da drücken wir Ihnen mal die Daumen. Was haben Sie sich mit dem Label für die Zukunft noch vorgenommen?
„Viel. Uns gehen weder das Denim noch die Ideen aus!“
Frau Klotz, bitte ein bisschen konkreter.
„Momentan sind wir noch überwältigt von den zahllosen Möglichkeiten, die Denim – das Material unserer ersten Kollektion – als Textil bietet. Da sind wir noch lange nicht am Ende unserer Inspiration. Seit kurzem bieten wir zum Beispiel die Option an, die eigenen alten Jeans einzuschicken, aus denen wir dann einen individualisierten Rucksack oder Weekender fertigen. Und es gibt auch einzelne Fashion Pieces (Sweater) aus pre-consumer waste, das sind Materialüberschüsse oder Verschnitte, die bei der Produktion anfallen.“
Und was steckt noch so in der Hamburger Pipeline?
„Unsere Idee ist es, mit Bridge&Tunnel die Schönheit und Langlebigkeit von unterschiedlichen Reststoffen aufzuzeigen. Dazu möchten wir perspektivisch auch mit wechselnden Materialien arbeiten und daraus verschiedene Endprodukte fertigen. Die nächste Kollektion, die aus alten Schulvorhängen entsteht, die sage und schreibe 40 Jahre lang in einer Hamburger Schulaula hingen und dort von der Sonne gebleicht wurden, erscheint noch in 2017. Und zuletzt wäre es natürlich toll, auch unser Team zu vergrößern. Wir könnten uns beispielsweise vorstellen, neben unserer eigenen Linie zukünftig auch für andere Designer zu fertigen, denen ökologisches und soziales Engagement am Herzen liegt und die ein Interesse an einer fairen und lokalen Fertigung haben. Es bleibt also in jedem Fall spannend!“
Wenn das mal kein schönes Schlusswort ist! Frau Klotz, ich danke Ihnen für das Gespräch.
„Danke, dass ich erzählen durfte.“
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