Foto: Dana Rösiger

Deepa Gautam-Nigge: „Ohne Fehler zu machen, kann ich mich nicht selbst übertreffen“

Deepa Gautam-Nigge ist bei SAP in München Netzwerkerin zwischen Startups, Konzernen und Kapitalgebern. Ein Gespräch über Teamplay, lehrreiche Pannen und Chancen.

Die Komfortzone verlassen

Deepa Gautam-Nigge arbeitet, nach Stationen bei Microsoft und einem Startup, seit 2017 als SAP Next-Gen Innovation Managerin am Standort München. Sie sorgt unter anderem als „Vermittlerin zwischen den Welten“ dafür, dass gestandene Unternehmen mit den richtigen Startups zusammenkommen. Denn, so betont sie: „Die Konkurrent*innen heute werden im Zuge der Digitalisierung die Partner*innen von morgen.“

Gleichzeitig initiierte sie bei SAP ein Mentoring-Programm für weibliche Gründerinnen, das nun bereits in die zweite Runde geht, um sie beim ihrem „Abenteuer Gründung“ zu ermutigen und ihnen einen strukturierten Zugang zu Expert*innen, Netzwerk und Kapital zu verschaffen.

Die nepalesisch-rheinländische Wahl-Münchnerin, so bezeichnet sich die 45-jährige Mutter einer Tochter selbst, war früher als Kampfrichterin in der Triathlon-Bundesliga aktiv. Das Interview führte Carina Kontio vom Handelsblatt per Telefon, während sie im Auto zwischen München und Stuttgart sitzt.

Frau Gautam-Nigge, was sind Ihre Stärken?

„Bedingt durch die unterschiedlichen Stationen in meinem Berufsleben ist das mein strategischer Weitblick für Synergien und die Fähigkeit, auch in Netzwerken zu denken. Den ergebnisorientierten Pragmatismus von Startups mit den Stärken von Großkonzernen zu verbinden, genau in diesen Bereichen fühle ich mich wohl. Ich kann Organisationen und Menschen Perspektiven aufzeigen und sie für Neues im Alten begeistern, ohne dass sie das Alte zurücklassen müssen. Darüber hinaus schreibt mir mein Umfeld ein hohes Energieniveau zu.“

Wer ist Ihr persönliches Rolemodel und warum?

„Pionier*innen! Mutige Menschen, die Neuland betreten, Chancen ergreifen und auch mal unkonventionelle Wege gehen. Sicher geprägt durch das Vorbild meiner nepalesischen Eltern, die sich nach ihrem Medizinstudium Anfang der 70er-Jahre im Rheinland eine Heimat aufgebaut haben, sind das auch Menschen wie mein Kollege Cawa Younosi. Er ist als 14-jähriger unbegleiteter Flüchtling in Deutschland angekommen, seinen Weg gegangen und setzt heute als unser Personalchef die Diversity-Strategie in all ihren Dimensionen exzellent um.

Rolemodels sind für mich aber auch die Frauen uns unserem Mentoring-Programm. Junge Frauen, die den beschwerlichen Weg der Gründung gehen und Arbeitsplätze schaffen, obwohl sie für ein x-faches Gehalt in einem Konzern arbeiten könnten. Und da wir nun laut der jüngsten Studie von BCG wieder wissen, dass von Frauen gegründete oder mitgegründete Startups die nachhaltig Erfolgreicheren sind, stimme ich Frank Thelen durchaus zu, dass wir Frauen dabei stärker unterstützen sollten.“

Ich unterstütze meine Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen in schwierigen Situationen, indem…?

„…ich ihnen viel Verantwortung und Freiraum übertrage und eine gesunde Fehlerkultur zulasse. Ich schubse sie dafür aber auch mal ein bisschen ins lauwarme Wasser.“

Wie muss ich mir das konkret vorstellen?

„Ich habe kürzlich eine junge Kollegin bei einer Veranstaltung auf die Bühne gestellt und gesagt: Hier, mach mal! (lacht) Ich fordere viel, aber ich bin auch nachsichtig, wenn es mal nicht rund läuft. Wie gesagt: Menschen, die Herausforderungen annehmen und bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen, imponieren mir.“

Eine Mitarbeiterin denkt oft: „Ich verdiene den Erfolg gar nicht“, „Ich bin gar nicht gut genug“, „Das schaffe ich nie“, „Andere sind um Welten besser als ich…“ – Was raten Sie?

„Stärke deine Stärken. Das bedeutet, gemeinsam zu schauen, was derjenige oder diejenige schon erreicht hat, welche Fähigkeiten da sind und wie man diese am besten einsetzt. Dazu muss man den Blick weg von den vermeintlichen Defiziten auf seine Stärken richten. Und es ist wichtig, ein klares Ziel oder eine Vision vor Augen zu haben und nicht immer nur zu beklagen, wie schwierig alles ist. Es gibt ein passendes Zitat von Seneca: Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den/ die ist kein Wind der richtige.“

Ein No-Go im Umgang mit Mitarbeiter*innen ist für mich…?

„… mangelndes Teamplay. Ich denke immer in Netzwerken und achte auf bestmögliche Synergien. Dabei machen es uns die Möglichkeiten von New-Work-Konzepten und Digitalisierung inzwischen viel leichter, diese Synergien besser zu heben, als es noch zu Beginn meines Berufslebens möglich war. Man sollte nur nicht den Fehler machen, New Work mit No Work zu verwechseln.

Innerhalb von SAP leihe ich mir beispielsweise für konkrete Projekte mit begrenzter Zeit ganz verschiedene Mitarbeiter*innen aus mit Fähigkeiten und Kenntnissen, die ich selbst eventuell nicht mitbringe. Ein Mosaik wird komplett durch die Vielfalt seiner Steine. Wir kommen nicht weiter, wenn wir nicht vernetzt denken. Und so unabdingbar Teamplay dabei auch ist, genauso menschlich ist es – um bei dem Mosaik zu bleiben – dass sie an manchen Stellen mehr Fugenmasse brauchen als an anderen.“

Feedback ist für mich…?

„… offen, konstruktiv und immer wertschätzend. Nur dann kann Feedback ein Motor sein, um sich selbst weiterentwickeln und stärker werden zu können.“

Über ihre Erfolge sollten Frauen…?

„… sich in erster Linie freuen und ihren Erfolg auf keinen Fall kleinreden und auf den Zufall schieben. Gerne wird übersehen, dass auch die vermeintlichen Zufälle oft Ergebnis sind. Chancen lassen sich erarbeiten – was natürlich auch gleichermaßen für Männer gilt.“

Her mit dem Geld: Ihr Ratschlag an andere Frauen für Gehaltsverhandlungen?

„Gehaltsgespräche mögen nicht alle, aber sie gehören dazu. Wichtig ist, dass sie gut vorbereitet sind und man sie beherzt angeht. Im Grunde ist jeder einzelne Arbeitstag doch ein Gehaltsgespräch. Also schaut, welche Projekte ihr habt, die herausragend sind, und macht sie sichtbar. Schreibt eine Liste mit euren Erfolgen, sucht regelmäßig Feedback durch eure Vorgesetzte. Wenn es zum Beispiel ein Projekt gibt, für das ihr bis zum Vorstand hoch von allen gelobt wurdet, dann sollte sich das auch bei Gelegenheit auf dem Konto bemerkbar machen.“

Verbündete und Mentoren finde ich, indem….?

„… ich sie anspreche. Auch hier ist es wieder wichtig, dass ich das nicht ohne Ziel mache. Dass ich mich frage: Wo will ich überhaupt hin? Wofür brauche in denn Mentor*innen? Und ich rate allen, sich mehrere Mentor*innen zu suchen und sich nicht nur auf einen Impuls zu fixieren. Das macht Netzwerke lebendig und vielfältig. Denn die Verantwortung für meine persönliche Entwicklung habe ich am Ende selbst. Mentor*innen können mich leiten, mich unterstützen und mir Türen öffnen. Letztlich aber gestalte ich mein Lebens und verwalte es nicht nur.“

In Konfliktsituationen bin ich…?

„… immer vorausschauend, ergebnisorientiert und habe die Sache im Blick. Dabei versuche ich, sie konstruktiv zu lösen, zu analysieren und zu schauen, warum hier überhaupt ein Konflikt entsteht. Die Ursache ist immer sinnvoll, um ihr in der Auseinandersetzung Rechnung tragen zu können. Natürlich nur, solange die Ursachenforschung nicht den konstruktiven Blick nach vorne überlagert. Auch wenn eine konstruktive Reibungswärme manchmal ein gutes Klima für Innovationen sein kann, versuche ich möglichst, Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen.“

Pannen sind…?

„… menschlich und oft die beste Quelle für Inspiration. Ohne Fehler bin ich nicht in der Lage, mich selbst übertreffen zu können.“

Wie gehen Sie mit Stress um?

„Mit positivem Stress kann ich sehr gut umgehen, dann bin ich in meinem Funktions-Modi. Das ist mein Motor.“

Und negativer Stress?

„Ich verwende meine Lebenszeit nicht darauf, mich über Dinge aufzuregen, die ich nicht ändern kann. Stattdessen fokussiere ich mich auf die Dinge, die ich beeinflussen kann. Diese Herangehensweise ist eine, die wiederum viel Stress rausnimmt und mir Gestaltungsspielraum gibt.“

Und wie entstressen Sie nach einem anstrengenden Arbeitstag?

„Die Zeit mit meinem Kind bringt ohnehin regelmäßig eine gewisse Entschleunigung im Berufsalltag mit sich. Ansonsten nehme ich mir immer wieder bewusst Auszeiten und schalte aktiv ab, zum Beispiel auch durch kleine Inseln, die ich mir im Alltag schaffe: ein gutes Buch, ein heißes Bad, 2000 Meter Schwimmen oder ein langer Spaziergang. Alles nicht spektakulär, aber immer wieder kurze Auszeiten, um zwischendurch die Akkus aufzuladen, sind wichtig. Manchmal hilft es auch schon, sich eine plötzlich im Kalender auftuende Lücke nicht direkt mit dem nächsten Telefonat oder Termin zu füllen, sondern in dieser Zeit mal eine Runde um den Block zu gehen.“

Nein sagen sollten Frauen zu…?

„…allem, wo sie das Gefühl haben, sich verbiegen zu müssen – auch das gilt übrigens gleichermaßen für Männer wie für Frauen. Man muss sich selbst treu bleiben und sich im Jahr 2018 nicht mehr fragen lassen müssen, wie man es sich vorstellt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, wenn man dieses Modell bewusst für sich gewählt hat. Frauen sollten diese Frage nicht beantworten, so lange sie nicht auch den berufstätigen Familienvätern gestellt wird.“

Sie merken, dass Sie unglücklich sind in Ihrem Job. Was tun?

„Dann gehe ich einen Schritt zurück und überlege, was gerade wirklich los ist. Unzufriedenheit wird oft von verschiedenen Faktoren bedingt, deren Ursachen nicht immer zwingend am Arbeitsplatz zu finden sein müssen. ‚Love it, change it or leave it‘ ist sicher ein überstrapazierter Satz in diesem Zusammenhang, aber das sollte sich bei der Problemanalyse auf das gesamte Umfeld beziehen. Es ist ratsam, erst analytisch der Wurzel auf den Grund zu gehen und sich dann zügig einer nach vorne gerichteten Lösung zu widmen. So könnte man beispielsweise firmenintern ein Praktikum in einer anderen Abteilung machen, um einen anderen Blick zu bekommen. Bei SAP nennt sich das Fellowship. Ich kenne einige Kolleg*innen, die darüber ihre eigene Positionierung klarer schärfen konnten und sich auf dieser Basis weiterentwickelt haben oder mit neuen Erfahrungen ihre früheren Aufgaben anreichern konnten.“

Anderen Chefs*innen würde ich gerne sagen, …

„… habt Mut, seid neugierig und betrachtet Innovation als Evolutionsprozess und nicht als Zwang zur Revolution. Das meine ich insbesondere im Blick auf die Digitalisierung, die uns mehr Chancen eröffnet, unsere Stärken zu stärken, als dass sie uns bedroht. Wir sollten uns gerade in Deutschland darauf besinnen, dass wir mit unseren Hidden Champions einen starken und innovativen Mittelstand haben, um den uns die gesamte Welt beneidet. Bei aller berechtigter Kritik bezüglich der fehlenden Finanzierungsmöglichkeit hierzulande haben wir einen immensen Vorteil, wenn wir es schaffen, eine stabile Verbindung der Innovationen aus der Startup-Crowd mit den etablierten Unternehmen zu schaffen. Wir können uns außerdem auch mehr Selbstbewusstsein erlauben: Jeder weiß, dass die Automatisierung der Automobilindustrie in Amerika erfunden und die Qualität der Produktionsprozesse in Japan optimiert wurde – aber niemand bestreitet, dass wir immer noch die besten Autos bauen. Warum soll uns das nicht auch in anderen Bereichen gelingen?“

Frau Gautam-Nigge, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Carina Kontio, Redakteurin bei Handelsblatt. Mehr Interviews zu Diversity, Management und Leadership findet ihr im Handelsblatt-Special „Shift“. Carina hat außerdem eine Karriere-Kolumne bei Audible, die ihr euch jeden Donnerstag anhören könnt.

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