Nach Weinstein und Spacey steht nun auch Ratner im Fokus der Metoo-Debatte – er wird von sechs Frauen der sexuellen Belästigung beschuldigt. Das könnte das Aus für seine Karriere bedeuten.
Kein Tag ohne
Es verstreicht kein Tag, an dem man in seinem News-Feed keine neue Schlagzeile zu neuen Anschuldigungen zu sexueller Belästigung, Nötigung oder Vergewaltigung entdeckt. So auch am vergangenen Wochenende. Nach Weinstein und Spacey kam ein weiterer Name aus Hollywood ins Spiel: Brett Ratner. Brett Ratner ist US-amerikanischer Filmproduzent, dessen Firma RatPac Entertainment unter anderem den Film Wonder Woman co-finanziert hat. Wonder Woman II soll deshalb nun ohne Ratner stattfinden, verlangt die Hauptdarstellerin Gal Gadot. Ratner wird von mindestens sechs Frauen der sexuellen Belästigung bezichtigt – darunter auch Olivia Munn und Ellen Page.
Auf der einen Seite haben wir die Verfechter der Ansicht: Damit haben wir einen weiteren Mann, um dessen Geld und Können in Hollywood vermutlich mehr getrauert wird, als dass er die Missbilligung bekommt, die er bei solchen Taten eigentlich verdient. Dann heißt es: die armen Männer. Höchst wahrscheinlich sind die eh unschuldig. Höchstwahrscheinlich ist all das, was die Frauen sagen, frei erfunden. Und dafür sollen die jetzt alle ihre Karrieren opfern? Wegen dieser Verschwörungen soll die Kunst- und Filmszene ohne diese Legenden klarkommen?
Was tun wir der Szene an?
Und auf der anderen Seite haben wir diejenigen, die sagen: Weder der arme Weinstein, noch der arme Spacey oder Ratner sind die Leidtragenden in dieser Geschichte, sondern die Frauen, die ihretwegen sexuelle Belästigung erfahren mussten.
Natürlich gilt zunächst die Unschuldsvermutung – und dennoch sollte die grundsätzliche Frage, die bei dieser Debatte im Raum steht, nicht lauten: Was tun wir bloß der Kunst- und Filmszene an, wenn jetzt immer mehr Männer wegen sexueller Belästigung am Pranger der Öffentlichkeit stehen und Hollywood ohne sie auskommen muss?
Sondern vielmehr: Was tun wir der Szene an, wenn es genau so bleibt wie bisher? Wenn sich wir wieder dahin zurückkehren, dass sich niemand traut, den goldenen Schein von Hollywood zu durchbrechen und die eigenen Erlebnisse mit sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt zu verschweigen? Wenn es immer wieder neue, Jahre auseinanderliegende Debatten braucht, bis Frauen ihr Schweigen brechen? Was tun wir der Szene an, wenn Rollen nicht nach Talent vergeben werden, sondern nach der Bereitschaft, mit dem Filmproduzenten ins Bett zu gehen oder Belästigung zu ertragen? Was tun wir der Szene an, wenn wir Männer und Frauen gegeneinander aufhetzen?
Die Frage nach den Konsequenzen
Das kann es nicht sein. Es kann nicht sein, dass Schauspielerinnen um ihre Rollen fürchten müssen, wenn sie Nein sagen. Es kann nicht sein, dass wir Hollywood-Fälle brauchen, um zu verstehen, dass sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt auch fernab der Glitzer-Welt alltäglich sind. Es kann nicht sein, dass die Frage nach der Unschuld lauter ist als die Frage nach den Konsequenzen. Beides hat seine Berechtigung diskutiert zu werden – weder das eine noch das andere sollte die Überhand gewinnen.
Hollywood jedenfalls zieht die Konsequenz, Weinstein aus allen möglichen Vorständen zu verbannen, Netflix beendet die Zusammenarbeit mit Spacey, Warner bleibt eigentlich gar nichts anderes übrig, als dem Wunsch von Gal Gadot nachzukommen, Ratner kann gar nicht anders, als sich aus der Produktion zurückzuziehen. Klar, das sind Fortschritte, doch nur die Knospen des gesamten Problems, das noch viel tiefer in unserer Gesellschaft verwurzelt ist. Und das ist auch möglich, weil diese Frauen eine ganz andere Stimme, eine andere Machtposition haben als eine Krankenschwester oder eine Angestellte in einem Unternehmen.
Aber wo fängt man an, um endlich eine Veränderung einzuleiten? Bei der absoluten Gleichstellung der Geschlechter zum Beispiel, bei der Verbannung jeglichen Machtgefälles, damit aufzuhören, die Schuld bei den Frauen zu suchen und ihnen zu erzählen, sie sollen doch bitte ihre High Heels auf den Müll werfen. Dabei, ihnen die Freiheit zu lassen, wo, was und wie sie sich anziehen – ohne sie zu attackieren, sie seien doch selbst schuld, wenn sie sich so kleiden würden.
Eines steht fest: Wir sollten sehr viel bedächtiger mit den genannten Fällen umgehen, und dennoch das Augenmerk darauf richten, wie viele Menschen Jahrzehnte damit durchgekommen sind, ihre Machtposition auszunutzen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Oder wie Eva Horn es in ihrer Kolumne für Spiegel Online wunderbar auf den Punkt brachte:
„Die Unschuldsvermutung gilt selbstverständlich auch für Kevin Spacey, doch ist es angesichts der vielfältigen Vorwürfe unterschiedlichster Menschen nötig und angemessen, ausgerechnet ihn jetzt zum Opfer zu stilisieren? Ganz sicher nicht. Am Ende kommt es noch soweit, dass ein Arschlochverhalten für ein Arschloch tatsächlich mal Konsequenzen hätte. Ups.“
Titelbild: Flickr | Gage Skidmore | CC BY-SA 2.0
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