Gründen mit Ü40 – ist das irgendwie anders als in einer anderen Lebensspanne? Irene Hummel und Daniela Wolf haben es getan und erzählen, welche Fragen und Herausforderungen das mit sich brachte.
Wir haben gegründet … spät
Wäre es ganz anders gewesen, wenn wir noch im oder kurz nach dem Studium unser eigenes Unternehmen gegründet hätten? Hätten wir mehr Kraft gehabt und wären wir anders wahrgenommen worden? Und was hätte das alles für uns persönlich bedeutet?
Solche Fragen bleiben natürlich hypothetisch und wir werden nie die Antworten darauf kennen, aber diese Fragen stellen wir uns dennoch immer wieder. Warum ist das so?
Sicherlich liegt es daran, dass das Bild von Startup-Gründerinnen immer mit jung, dynamisch, ständig digital vernetzt und dauerarbeitend besetzt ist. Mit all dem haben wir nur bedingt etwas zu tun.
Irene Hummel und Daniela Wolf bei der Arbeit.
Natürlich gründen Frauen über 40 anders … einerseits
Motiviert haben uns persönliche Gründe, keine wirtschaftlichen. Beide wollten wir einen Schnitt in unserem bisherigen Arbeitsleben voran gehen. Und: In der zweiten Lebenshälfte wollten wir etwas tun, dass wir als sinnerfüllt empfinden. Angetrieben wurden wir von der Frage, wie wir beruflich etwas machen könnten, das nachhaltig ist und die Situation von anderen verbessert, aber womit wir dennoch unseren Lebensunterhalt verdienen. Nach verschiedensten Ideen sind wir bei Fair Trade in Verbindung mit Schmuck gelandet. Und so gründeten wir nach einigem Hin und Her unseren Onlineshop, der fair produzierten Schmuck und Accessoires anbietet. Wir möchten schöne, stilvolle und qualitativ hochwertige Produkte verkaufen, die den Kundinnen und Kunden mehr erzählen als nur ihren Geldpreis: Woher kommt die Seiden-Perlenkette, der upgecycelte Papierring oder die handgewebte Tasche? wer hat sie gemacht und warum lohnt es sich, einen guten Preis dafür zu zahlen?
Nachhaltig wirtschaften und ein Unternehmen aufbauen
Wir glauben fest daran, dass es möglich ist, auch mit fairen Löhnen und stabilen, nachhaltigen Wirtschaftsbeziehungen ein gut funktionierendes Unternehmen aufzubauen. Allerdings wächst so ein Geschäft deutlich langsamer; es braucht viel Geduld und einen sehr langem Atem. Auf der anderen Seite stehen eben keine anonymen Fabriken, sondern Menschen, die ihre Arbeit für uns mit ihrem Leben, ihrer Familie und manchmal auch mit der Reisernte oder ähnlichen Dingen in Einklang bringen müssen. Das ist manchmal frustrierend, weil wir die Produkte gerne schneller bei uns hätten, aber dafür bekommen wir handgearbeitete Unikate, die die Herstellerinnen dabei unterstützen, in ihrer Heimat besser zu leben.
Wir wollten anders arbeiten
Neben der Sehnsucht nach einer sinnvollen Tätigkeit hat uns genauso stark der Wunsch angetrieben, die bisher erlebten – und manchmal auch durchlittenen – Arbeitsstrukturen und Hierarchien anders anzugehen. Wie viele andere sind wir beide irgendwann an die gläserne Decke gestoßen – nicht nur wegen des Geschlechts, sondern auch, weil Menschen in Deutschland immer wieder auf ihre Ausbildung reduziert werden und ein Wachsen in andere Inhalte nicht unbedingt gefördert wird. Zu erleben und entscheiden zu können, dass die Zusammenarbeit untereinander ganz anders gestaltet werden kann, genießen wir heute als erfahrene Ü40-Frauen sehr bewusst.
Gründerin, Ü40 und Mutter
Eine harte Probe zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist immer noch der Faktor Zeit. Gerne möchten wir dieses kostbare Gut gleichberechtigt auf Beruf- und Privatleben verteilen und unabhängig zu arbeiten bedeutet großartiger Weise ja auch: Wir müssen uns vor niemanden mehr rechtfertigen, wie, mit wem und wofür wir unsere Zeit vergeben, außer vor uns selbst – und das ist eh die strengste Instanz.Aber: eine Zerrissenheit mit nicht erfüllbaren Ansprüchen und Gewissensbissen bleibt, denn als Geschäftsfrauen möchten wir so viel Zeit und Energie wie möglich in unser junges Unternehmen stecken, als Mütter gehen wir trotzdem um 17 Uhr nach Hause, um Zeit mit unseren Kindern zu verbringen. Und als Ü40-Mütter sind wir abends nach Spiel und Einschlafritual mit dem Kind einfach müde. Der Vorstellung von jungen Startups, in denen es üblich sein soll, bis spät in die Nacht zu arbeiten, entsprechen wir nicht. Das können und wollen wir auch nicht! Es wurmt uns dennoch. Ob es mit 30 anders wäre, geht uns trotzdem nicht aus dem Kopf.
Andererseits stehen wir als Ü40-Gründerinnen genauso am Anfang
Und das wiederum eint uns mit allen jungen Startups. Wir machen dasselbe durch! Die Fehler, die Freude, das Bangen. Optimistisch haben wir uns in die Unternehmensgründung gestürzt und vorher nicht alle Pros und Contras minutiös abgewägt. Zum Glück! Sonst hätten wir nie angefangen.
Medial werden häufig nur Erfolgsgeschichten von jungen, motivierten Menschen erzählt, die mal eben so ihr eigenes Startup gegründet haben. Im wirklichen Leben kostet es uns verdammt viel Geld – nicht nur die Start-Investitionen, sondern auch das Überleben der gesamten Familie muss für ein paar Jahre finanziert sein. Mit Ü40 hat man andere Verpflichtungen und Ansprüche an seinen Lebensunterhalt als mit 20.
Geholfen hat uns das Netzwerken, nicht nur, um Infos und Tipps zu erhalten, sondern auch Verständnis. Es gibt so tolle Netzwerke für alle Bereiche, und die haben wir genutzt und bauen sie stetig weiter aus. Das würden wir auch allen Gründerinnen und Unternehmerinnen ans Herz legen. So etwas dauert aber auch, das muss wachsen.
Wichtig zu erfahren war auch: Es kann nicht immer alles perfekt sein, bevor wir damit an die Öffentlichkeit gehen. Für uns war das eine schmerzhafte Erkenntnis. Auch wenn wir keine halben Sachen machen, so mussten wir dennoch viele Kompromisse eingehen – sei es, weil das Design nicht genau unseren Vorstellungen entsprach, wir aber unbedingt unsere neue Website launchen wollten. Sei es, dass zu spät geliefert wurde oder wir gerne noch dies und das gehabt hätten. Wahrscheinlich könnten wir Jahre damit verbringen, alles noch besser zu machen, aber irgendwann muss es einfach losgehen!
Aber: Es ist nie fertig! Das hatten wir uns anders vorgestellt.
In absehbarer Zeit wollten wir sagen: Wir haben es geschafft, es läuft! Inzwischen wissen wir: dran bleiben und weiter machen. Das ist erschreckend und ermutigend zugleich, denn so können wir immer kreativ arbeiten, uns und unser Unternehmen permanent weiterentwickeln – wir bleiben in Bewegung!
Vielleicht scheitert man auch mit Ü40 anders? Wir wissen nicht, ob man sich dann noch einmal so einfach aufrappelt und etwas Neues gründet. Wir hoffen, das müssen wir nie erfahren.
Irene Hummel ist 42 Jahre alt, verheiratet und hat eine 10-jährige Tochter, Daniela Wolf, 41 Jahre alt, hat einen 4-jährigen Sohn. Beide waren über 15 Jahre für verschiedene Organisationen im Kultur- und Bildungsbereich tätig, bevor sie zusammen Hummel & Wolf im Novemver 2014 gründete.
Mehr bei EDITION F
Claudia Michalski: „Du kannst alles, was du wirklich willst“. Weiterlesen
Julia Kopper: „Die Idee zu gründen war mir zu Beginn unheimlich“. Weiterlesen
Zwölf Gründerinnen aus Deutschland mit Millionen-Finanzierungen. Weiterlesen