Vom Stolz Hamburgs zum Problemfall – der Hafenkonzern HHLA ist tief gesunken. Unser Partner „Manager Magazin“ zeigt, wie nun eine ehemalige Daimler- und Post-Managerin die Wende vom Abwärtstrend einläuten will und mit welchen Führungsmethoden sie erst einmal anfängt.
Laxe Sitten
An ihrem ersten Arbeitstag als Chefin konnte Angela Titzrath (50) sich ungestört entfalten. Denn außer ihr war zu Jahresbeginn der gesamte Vorstand in Urlaub. Auch nach den Ferien bekam die Neue ihre Mannen nur sporadisch zu sehen. In den montäglichen Vorstandssitzungen saß sie zuweilen mit einem einzigen Kollegen da, die übrigen ließen sich mit mehr oder minder triftigen Gründen entschuldigen. Die laxen Sitten änderten sich erst, als Titzrath alle für Dienstagmorgen um acht einbestellte. Seither gilt Präsenzpflicht.
Es bleibt unklar, wie persönlich die Managerin das kühle Entree nehmen muss; ob die Herren diese Frau, die unerwartet ihre Vorgesetzte wurde, nicht ernst nahmen. Oder ob schlicht der alte Trott durchbrach.
Auch ein Museum würde hierhin passen
132 Jahre ist sie alt, die Hamburger Hafen und Logistik AG (gesprochen: Hala). Ihre Zentrale in der historischen Speicherstadt wirkt noch älter. Im neogotischen Stil streben Spitzbögen empor. Mancher Flur erinnert an ein Kloster. Auch ein Museum würde hierhin passen.
In so einem Habitat erwartet man Patrone mit Schlagseite zur Selbstherrlichkeit. Der letzte Hausherr, Klaus-Dieter Peters (63), war so einer. Als Ende der 2000er die Schifffahrtskrise ausbrach und das Geschäft der HHLA erstmals schwierig wurde, stellte er die unternehmerische Arbeit de facto ein und optimierte lieber seine Wochenenden.
Eine Aufgabe für Furchtlose
Angela Titzrath – mittelgroß, den Kopf erhoben, das blonde Haar streng zurückgebunden – wirkt wie ein Eindringling. Frauen im Topmanagement haben sie hier noch nie gesehen. Und schon lange keine Führungskraft mehr, die so viel Ernst in seine Arbeit legt. Titzrath ist nach Hamburg umgezogen, erkennbar tatendurstig. „Ich bin nicht gekommen, um zu verwalten“, stellt sie klar, während leise der Wind durch ein Fenster heult.
Eine Aufgabe für Furchtlose. Seit dem Börsengang 2007 – der Eigner Hamburg verkaufte damals 32 Prozent seiner Anteile – hat die Firma gut 70 Prozent ihres Wertes verloren. Das Hauptgeschäft – die HHLA betreibt drei der vier Containerterminals im Hamburger Hafen, außerdem Güterbahnen – ist bedroht. Die globalen Reedereien ordnen sich neu, viele zieht es zur Konkurrenz nach Rotterdam oder Antwerpen. Die ist agiler und leichter zu erreichen. Vor der Einfahrt in Hamburg steht eine gut 100 Kilometer lange Elbpassage, die modernen Riesenschiffe passen kaum noch durch. Besserung soll die Elbvertiefung bringen, doch es dürfte noch Jahre dauern, bis die Bagger loslegen.
Hamburgs teuerste Azubine
Und dann noch diese hanseatische Willkommenskultur! Als „Hamburgs teuerste Azubine“ wurde Titzrath verspottet, als sie in den Vorstand einrückte, zunächst ohne Ressort. Sie musste kämpfen, um bei einer Iran-Reise der norddeutschen Hafenwirtschaft dabei zu sein; der alte Chef, so amtsmüde er war, wollte den Ausflug wohl noch mitnehmen. Bei ihren ersten Besuchen von Branchentreffen klebten die Blicke an ihr wie an einem Alien.
Hat die Neue überhaupt eine Chance? Lauert hier das nächste, bundesweit beachtete Scheitern einer ehrgeizigen Managerin? Oder braucht Deutschlands größter Hafen gerade eine wie sie?
Provokation für die Männergilde
Angela Titzrath weiß durchaus, wo sie gelandet ist – in einem Unternehmen, das nahtlos von Euphorie zu Lethargie überging. Das Hochgefühl herrschte, als die Containerschifffahrt noch boomte, Anfang der 2000er Jahre. „Damals wurde man nur unruhig“, hat Titzrath sich sagen lassen, „wenn das Wachstum nicht zweistellig war.“ Die Kunden kamen von selbst, die knappen Kaiplätze wurden zugeteilt wie früher Neuwagen bei Mercedes-Benz. Beschwingt ging es 2007 an die Börse.
Analysten schätzten den Wert damals auf 3,1 bis 3,6 Milliarden Euro. Heute liegt die tatsächliche Bewertung ozeantief darunter, bei 1,4 Milliarden Euro. Von Gegenwehr des Managements ist nichts bekannt. Keine größere Akquisition, kein neues Terminal. Schon gar keine Idee. „Eine strategische Weiterentwicklung hat es aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht gegeben“, konstatiert Titzrath kühl.
Große Namen im Lebenslauf
Allzu laut über das Erbe klagen sollte sie allerdings nicht. Denn der verfahrenen Lage verdankt sie ihre Chance. 47 Kandidaten wollten den Job haben, darunter auch HHLA-Finanzchef Roland Lappin (56), der sogar in die SPD eintrat, die Partei des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz.
Titzrath machte das Rennen ohne Parteibuch, auch weil sie die üblichen Suchworte der Headhunter perfekt bediente. Große Namen zieren ihren Lebenslauf. Bei Daimler kümmerte sie sich um Nachwuchsmanager und vermarktete Busse. Bei der Deutschen Post DHL war sie Personalvorständin.
Einen Haken auch an die viel verlangte Weltläufigkeit. Sie absolvierte ihr Studium – Wirtschaft und Romanistik – zum Teil in Italien und Portugal, spricht mehrere Sprachen und hat in diversen Ländern gelebt.
Ein unverstellter Blick
Den Ausschlag gab wohl ihre Eignung zum Kontrastprogramm, gewissermaßen zur Disruption. Sie ist fachfremd und besitzt damit – positiv gewendet – hoffentlich einen unverstellten Blick. Sie kommt nicht aus Hamburg, gehört also nicht zum lokalen Klüngel. Und als Frau ist sie per se eine Provokation für die Männergilde der Logistiker.
Lange bitten musste man sie sicherlich nicht. Titzrath hat einen Karriereknick auszubügeln: ihren schmerzvollen Abgang bei der Post. 2012 hatte Postillon Frank Appel (55) sie nach Bonn geholt. Titzrath sollte ein übergreifendes Personalwesen für alle Bereiche des verzweigten Konzerns aufbauen. Die Spartenfürsten aber opponierten. Mitte 2014, nach nur zwei Jahren, musste sie gehen. Sie sei obendrein viel zu nachgiebig bei den Tarifverhandlungen gewesen, riefen die Kritiker ihr nach.
Eine kleine Revolution
Wer solch ein Trauma erlebt hat, neigt zur Vorsicht. Die neue Hafenmeisterin begann erst mal mit einer kleinen Revolution. Sie besuchte Kunden. Das mag banal klingen, ist aber für diesen Laden neu. „Der Vorstandsvorsitzende der HHLA war für uns nicht erreichbar“, erzählt ein Reedereimanager aus Hamburg,„Herr Peters hat sich bei mir nie blicken lassen.“
Titzrath war da, mit positivem Echo. Auch den großen internationalen Kunden machte sie ihre Aufwartung, ebenfalls mit guten Haltungsnoten. Zu Jahresbeginn reichte sie dann noch den Mitarbeitern die Hand, tourte durch Büros und Terminals. Begeisterte Mails soll sie dafür geerntet haben. Der Vorstandschef galt zuvor als eine fabulöse Gestalt wie der Weihnachtsmann: Man kennt ihn, ist ihm aber noch nie persönlich begegnet. Titzrath sieht sich als Versöhnerin. Sie habe angefangen, „die Beziehungsebenen wieder zu beleben“, heißt das in ihrer etwas gewundenen Sprache.
Der Containerboom kommt nicht wieder!
Mit der neuen Strategie ist hingegen nicht so schnell zu rechnen. Bis der Masterplan steht, könnte es Herbst werden.
Die Stoßrichtung dürfte schon heute klar sein – raus aus der selbst erzeugten Enge. “Die HHLA ist zu einseitig auf den Containerumschlag und den Standort Hamburg fokussiert”, warnt Martin Makait (63), Inhaber des Logistikberaters MWP.
Der Containerboom sei vorbei und komme nie wieder, sagt der Experte. Besser also, wenn Hafendienstleister noch andere Akzente setzen, etwa beim Massengut und bei Schwertransporten.
Generell, glaubt Berater Makait, sei die Wachstumsperspektive in Hamburg beschränkt. Auch wenn es die heimatverliebten Hamburger nicht gern hören, liegt ihr Hafen alles andere als ideal. Die deutschen Industriezentren befinden sich an Rhein und Ruhr, im Südwesten und in Bayern. Rotterdam und Antwerpen sind näher dran.
Genau hinschauen und handeln!
Die HHLA, so der Rat vieler Fachleute, sollte die großen Kunden binden, indem sie Beteiligungen an den Terminals anbietet. Zugleich sollte sie sich selbst nach Beteiligungen in anderen Häfen umsehen. Bislang ist sie lediglich in Odessa präsent. Titzrath scheint aufgeschlossen. „Wenn Hamburg das Tor zur Welt ist“, sagt sie, „dann muss man auch mal durch das Tor gehen und die Augen offen halten.“ Doch zunächst muss sie zu Hause genau hinschauen – und handeln. Die HHLA gilt als ineffizient; der vordergründig ordentliche Gewinn – zuletzt 163 Millionen Euro operatives Ergebnis (Ebit) bei 1,2 Milliarden Euro Umsatz – täuscht.
Viele Anlagen sind veraltet, einzelne sind schon 15 Jahre nicht mehr modernisiert worden, von einem enormen Investitionsstau ist die Rede. Klar ist auch, dass der Zwei-Drittel-Staatsbetrieb zu viele Leute mit zu stolzen Gehältern beschäftigt. Wobei schon das Wort Beschäftigung zu diskutieren wäre.
Skandalöse Zustände
Die Unternehmensberatung Metaplan deckte vor gut einem Jahr skandalöse Zustände auf. Am Burchardkai, der größten Anlage der HHLA, herrschte über Jahre Anarchie. „Informelle Machthaber“, so die Studie, „haben sich gegen jede Veränderung gestemmt und die Umsetzung von Projektergebnissen hintertrieben.“
Die Beschäftigten hätten das Terminal so organisiert, „dass entweder individuelles Einkommen oder die Freizeit maximiert wurden“. Gestreikt wurde trotzdem gern. Im Sommer 2014 legten die Mitarbeiter den Bahnumschlag lahm, darauf geriet der Zugverkehr bundesweit außer Takt.
Wer ist die Zentralgewalt im Hamburger Hafen?
Harte Auseinandersetzungen warten da auf Angela Titzrath; vielleicht helfen ihr die guten Drähte zur Gewerkschaft Verdi, die ihr nachgesagt werden. Behaupten muss sie sich zudem in einem öffentlichen Machtkampf – wer ist die Zentralgewalt im Hamburger Hafen?
Da gibt es eine Hafen Hamburg Marketing, die blumige Bulletins herausgibt, aber keinen echten Nutzen stiftet. Die HHLA muss den PR-Unfug mitfinanzieren.
Regelrecht gefährlich ist eine andere Rivalität. Zunehmend kommt ihr die Hamburg Port Authority (HPA) in die Quere. Die HPA ist eine Behörde, die sich um die Hafenanlagen kümmern soll. Doch anstatt regelmäßig den Schlick fortzuschaffen, spielt HPA-Chef Jens Meier (50) lieber IT-Guru. So hat er in Konkurrenz zur HHLA ein System für die Terminkoordination mit Lkw entwickeln lassen. Sein neuester Plan: Mietverdoppelungen für die Nutzer der Hafenanlagen; ein Manöver, hinter dem allerdings auch der Senat stehen soll.
Zwischen Privatisierung und Staatskuratel stecken geblieben
Titzrath hat den Clinch angenommen: „Drastische Mietsteigerungen schwächen die Wettbewerbsfähigkeit des Hafens Hamburg und würden unser Ergebnis um einen substanziellen zweistelligen Millionenbetrag reduzieren“, protestiert sie „das ist für mich nicht akzeptabel.“
Alles in allem die typischen Probleme eines Unternehmens, das zwischen Privatisierung und Staatskuratel stecken geblieben ist. Wie man sich aus solchen Zwangslagen befreien kann, hat der Frankfurter Flughafen vorgemacht, der zum globalen Airportbetreiber aufstieg. Ebenso die Post, ehemals Behörde, heute Weltkonzern. Großreformen dieses Kalibers gelingen nur selten. Vor allem brauchen sie Antreiber, die permanent kämpfen, ohne sich aufzureiben, und eine gewisse Schlitzohrigkeit mitbringen.
Sie braucht Verbündete
Ist Angela Titzrath gewieft genug? Oder vertraut sie im Übermaß der Autorität ihres Amtes und der Kraft guter Argumente?
Klar scheint: Sie braucht Verbündete. Hamburgs Regierungschef Scholz steht gewiss auf ihrer Seite. Aber es ist gefährlich, sich auf den Rückhalt eines einzigen Mannes zu verlassen. Wie Titzraths Erlebnisse bei der Post belegen.
Mit den Abgeordneten der Bürgerschaft (bei 68 Prozent Staatsanteil nicht ganz unwichtig für die HHLA) hat Titzrath keine spontanen Freundschaften geknüpft. Bei ihrem ersten Termin mit Fachpolitikern mahnte sie, nicht negativ über die HHLA zu sprechen, das nutze nur der Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen „Ein merkwürdiger Auftritt“, sagt der Hamburger Parlamentarier und FDP-Geschäftsführer Michael Kruse (33), „so kann man doch nicht mit selbstbewussten Abgeordneten reden.“
Aller Ärger für die Chefin?
Hilfreich wäre der Pakt mit einem versierten Aufsichtsratschef. Im Juni soll ein Neuer kommen. Es werden diverse Kandidaten gehandelt, etwa Ottmar Gast (64), Nochchef der Reederei Hamburg Süd, oder KfW-Mann Norbert Kloppenburg (60), der schon im Rat sitzt. Und dann noch ein gewisser Rüdiger Grube (65).
Titzrath dürfte mit dem Ex-Bahner nur bedingt glücklich werden. Der geltungsbedürftige Grube könnte ihr die Schau stehlen. Allen Ärger für die Chefin, allen Glanz für den Oberaufseher – so hat sich Angela Titzrath ihre Hafenmission gewiss nicht vorgestellt.
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Artikelbild: Tina Axelsson | CC-BY-SA 4.0
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