Hallo Fitnesswahn! Warum ich der Meinung bin, dass die Welt nicht noch mehr Fitnesstips braucht, sondern sich Frauen eine Gesellschaft erkämpfen sollten, in der sie für das geachtet werden, was sie sind und nicht für die Form ihrer Oberschenkel.
Fitnessfreie Zonen: ein Tabu?
In den letzten Wochen und Monate habe ich eine Beobachtung gemacht, die mich erschreckt hat. Alles begann, so: Da ich eine entschiedene Fürsprecherin für mehr (Körper)-Selbstliebe bin, habe ich für die von mir in Berlin ins Leben gerufene Blogger-Community Hauptstadt-Mädchen eine Grundlinie festgelegt: Keine Fitnessblogs, keine Blogs, die sich mit Körper-Optimierung beschäftigen und in denen es um Möglichkeiten geht, Gewicht zu verlieren oder Körperteile zu formen.
Ich hatte nicht erwartet, diese Linie ausgerechnet von Frauen attackiert zu finden. Es gab auch viel positives Feedback dazu, Erleichterung, Glückwünsche, Lob. Aber ich bin erschrocken, wie sehr ich diesen fitnessfreien Ort verteidigen muss!
Was hat es da alles geheißen: Fitness gehöre zum Leben einer modernen Frau in Berlin, dieses Thema ließe sich nicht ausklammern, ja, wir wären schlichtweg unvollständig, würden wir diesen Bereich nicht in unser Themenportfolio aufnehmen. Ein „definierter Körper“ ist so selbstverständlich ein erklärtes Ziel für Frauen geworden.
Aber ich finde das nicht! Ich finde nicht, dass es automatisch zum Frausein gehören muss, sich mit LowCarb und Fitness zu beschäftigen. Und dann heißt es, regelmäßige Bewegung und gesunde, vitaminreiche Ernährung, das sei doch etwas Gutes! Ja, aber natürlich ist es das!
Ich treibe selbst Sport und esse für mein Leben gern Gemüse – aber muss ich das der Welt mitteilen? Ist das wichtig? Ist es etwas, was mich ausmacht?
Gibt es nicht schon längst genug Seiten im Netz, die dieses Thema bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet haben?
Die Körperoptimierung ist zum Dauerbrenner im Newsfeed geworden
Ich behaupte: Selbst wenn ab heute kein einziges Wort mehr über Ernährung, Sport und Körperoptimierung mehr veröffentlich werden würde, wir hätten trotzdem genug Wissen darüber, das uns 24 Stunden am Tag lang zur Verfügung steht, wenn wir es abrufen wollen. Wir werden regelrecht bombardiert mit diesem Thema. Nahezu jedes Magazin im Zeitschriftenregal, das für Frauen zwischen zwölf und 99 Jahren konzipiert ist, beschäftigt sich irgendwo auf dem Titel mit dem Thema Schönheit, Jugendlichkeit und Abnehmen. Jedes Werbeplakat ist eine stille Ermahnung daran, dass wir bitte alle nie vergessen, wie eine Frau auszusehen hat.
Und was ist mit den Frauen, die ich kenne, die Sport treiben und sich gesund ernähren? Sie müssen es nicht zum Thema machen, sie genießen es einfach. Treibt Sport, esst Gemüse, macht Yoga, Pilates oder spielt Fußball – wenn ihr es wollt, nicht, weil ihr es vermeintlich müsstet, um noch ein bißchen perfekter zu sein. Genießt es, wenn ihr die Stärke eures Körpers spürt, wenn es euch selbstbewusst macht, glücklich, wenn es euch Kraft gibt!
Warum sind wir immer so streng zu uns und den anderen Frauen?
Wir müssen damit aber nicht so sehr nach außen gehen. Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, das zu tun. Würde ich auf meinem Blog regelmäßig davon erzählen, wie irre gut sich dieses oder jenes Workout heute wieder angefühlt hat – ich hätte ein schlechtes Gewissen. Weil ich mich einfühlen kann in eine Frau, die vielleicht gerade irgendwo in Deutschland sitzt, meine Zeilen liest und denkt:
„Scheiße. Sie macht schon wieder Sport. Wieso schaffe ich das nicht? Ich sollte das auch tun. Wie ich neulich im Bikini in dieser Umkleide aussah, das ging gar nicht!“
Nein, ich möchte wirklich an keiner Gedankenkette dieser Art beteiligt sein. Ich möchte sie nicht auslösen. Und die Berichte vom letzten gelungenen Training setzen unter Druck! Auch, wenn sie das vielleicht nicht wollen. Sie tun es! Weil der Mensch, und die Frau in der heutigen Gesellschaft ganz besonders, gelernt hat, sich fast ohne Unterlass zu vergleichen. Macht XYZ mehr Sport? Hat Promi ABC nicht einen bewundernswerten „After Baby Body“? – mein persönliches Unwort des Jahres, ein einziger Grusel. Und „sollte“ ist der Tod jeder Selbstliebe, es ist Kritik an sich, es ist Unzufriedenheit, es ist ein sich-nicht-akzeptieren.
An dieser Stelle höre ich schon so manches Echo:
Aber ohne Kritik kann man sich doch nicht verändern! Ich behaupte das Gegenteil, denn alles im Leben kann man mit sehr verschiedenen Intentionen tun: Man muss nicht sterbensunglücklich sein, um etwas zu verändern. Man muss sich nicht doof finden, um anzufangen, anders zu sein.
Wie es dann geht? Man kann sich lieben. Man kann es sich selbst ZU LIEBE tun.
Statt uns selbst zu lieben, stählen wir lieber unsere Körper
Man kann Sport machen und dabei denken: Ich spüre mich. Das ist schön. Das muss niemand wissen, es genügt, wenn wir es selbst wissen. Andererseits kann man es tun und heimlich danach im Spiegel schauen – ist der Bauch flacher? Passt die Hose besser? Und ich glaube, dass der Löwenanteil der Frauen in Fitness-Studios genau das tut. Wir wollen nicht unsere Seele darin üben, uns zu lieben, wir wollen lieber unseren Körper stählen, bis zu dem Tag, an dem wir so sind, dass wir uns lieben können – diese Gleichung wird niemals aufgehen. Weil wir nach außen gerichtet sind, weil wir nach außen gerichtet Fitness betreiben, um zu gefallen, um Anerkennung für etwas so Vergängliches zu bekommen! Wenn es uns um uns selbst geht, sind wir in einem Dialog mit uns selbst. Dann müssen wir eigentlich niemandem davon erzählen, dann können wir uns an uns selbst erfreuen.
Deshalb bleibe ich bei meiner Linie. Deshalb werde ich sie weiter verteidigen, weil es mein klitzekleines Gegengewicht ist im Mainstream der publizierenden Medien. Es ist ein verschwindend kleines Lichtlein, das ist mir bewusst. Aber ich bin verdammt stolz darauf! Ich kann eine Plattform bieten, auf der wir unser Talent zeigen und nicht unseren Bauchnabel.
Ja, ich mag radikal sein in dieser Haltung – aber ich finde, ein bißchen Radikalität kann ich mir leisten. Denn kein nicht erschienener Artikel wird aus der Welt einen Ort bewegungsunfähiger, kranker Menschen machen – aber in einer Welt wie der unsrigen, in der Sport und Fitness so dermaßen überpräsent sind, kann ein Artikel zu viel ein Faß zum Überlaufen bringen.
Man kann natürlich argumentieren – hat die Welt nicht auch schon genug Interior Blogs, gibt es nicht auch hier schon mehr als genug Inspiration für die nächsten 50 Generationen? Ja, vielleicht gibt es die. Aber ich finde, dieser Vergleich hinkt. Denn diese Seiten bergen kein so großes Potential, uns unglücklich zu machen mit uns selbst. Mir ist kein Fall bekannt, in dem ein nicht so schönes Sofa zu schweren Depressionen oder potentiell tödlichen psychischen Erkrankungen und Selbstmordgedanken geführt hat. Ich halte das Gefahrenpotential daher bei der Kritik an unserem Körper, unserem ureigensten Zuhause, für wesentlich größer.
Und warum ist das so? Weil die Identifikation mit unserem Körper ungleich höher ist, als die mit unserer Wohnzimmereinrichtung. Und das wiederum ist der Fall, weil wir es tagtäglich so lernen, von Kindesbeinen an. DARUM halte ich jeden weiteren Artikel, der sich damit beschäftigt, für überflüssig.
Laut einer aktuellen Studie aus Großbritannien sind schon 5 Prozent der achtjährigen Mädchen mit ihrem Aussehen unglücklich. Im Alter von acht Jahren! „Ein Fünftel der befragten Mädchen gab an an, sich von den Medien unter Druck gesetzt zu fühlen, Gewicht zu verlieren. Im Alter von 14 Jahren machen 39 Prozent der Mädchen regelmäßig Diät.“
Unsere Selbstdarstellung hat ein traurig hohes Level erreicht
In einer Generation, in der Selfies und Smartphone es möglich machen, sich quasi in Echtzeit von anderen liken oder nicht-liken zu lassen, erreicht die Selbstdarstellung ein trauriges, neues Level. Es macht mich fassungslos und wütend, dass es uns nicht gelingen will, all diesen jungen Mädchen andere Werte zu vermitteln! Dass sie schon in so jungen Jahren lernen, mit sich selbst unzufrieden zu sein. Und es hört ja nicht auf, diese Kritik wächst sich nicht aus, wir schleppen unsere Selbstzweifel eifrig mit, durch die Schule, durch die Pubertät, die Zeit nach dem ersten Kind, die Menopause – und irgendwann sind wir, wenn alles gut geht, 80, dann haben wir Falten und einen Popo in den Kniekehlen und wenn wir von dieser Erde gehen, dann hinterlassen wir nichts davon.
Was von uns bleibt ist sicher nicht die Erinnerung an den Durchmesser unseres Oberschenkels im Alter von 33. Was von uns bleibt sind die Werke, die wir geschaffen haben, die Liebe, die wir geschenkt haben, die Weisheit, die wir weitergeben konnten.
Wie es sich lebt, wenn man Schönheitsideale außen vor lässt
Denn es ist so verdammt wenig, um das sich das eigene Leben dreht, wenn Themen wie Figur und Schönheit eine Monopolstellung darin innehaben. Beeindruckt war ich von der zweiteiligen 37-Grad Reportage mit dem – in meinen Augen etwas unglücklich gewählten – Titel Zickenkrieg. Darin werden fünf junge Mädchen in ihrem Alltag durch die Pubertät begleitet und portraitiert. Natürlich bleiben Klischees nicht aus: Selfie-Mania, Zukunftstraum Modejournalistin, Besuch beim Modell-Casting.
Aber dann gibt es auch Mädchen wie Iwa und Marie-Celine, die ihre Leidenschaft gefunden haben für HipHop-Tanz, Manga-Comics, die gemeinsam in ihrer Freizeit japanisch lernen und über sich selbst sagen, dass sie die Phase der Unsicherheit und des Drucks von Außen, einem bestimmten Schönheitsideal entsprechen zu müssen, überwunden haben. Und damit berühren sie mich, denn das ist eine Erkenntnis, die diese beiden 15-jährigen Mädchen so mancher erwachsener Frau voraus haben dürften. Sie zeigen, dass es wichtig ist, für etwas zu brennen, das in uns liegt und nicht den Körper, den wir als wunderbares Werkzeug mitbekommen haben, um all diese Freuden zu erleben, ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit zu stellen.
Ich will keine Welt aus Konkurrenzkämpfen, Urteilen, Neid, Missgunst und Selbsthass. Ich will eine Welt, in der es angesehener ist, seinen Herzmuskeln zu trainieren in Liebe, Wärme und Mitgefühl, statt seine Bauchmuskeln. Ich möchte, dass Frauen die Zeit haben, den Raum und die gesellschaftliche Achtung dafür, herauszufinden, wer sie sind und nicht dafür, ihr Äußeres zu optimieren.
Denn es gibt kein optimaleres Du als Dich.
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