Anna Heinrichs ist mit ihrem Modelabel Horror Vacui eine sehr spannende Newcomerinnen der deutschen Modeszene. Dabei hat alles mit einem ganz ungewöhnlichen Produkt angefangen: einem Pyjama.
Es lebe der Pyjama!
Meistens sind es ältere XL-Shirts und schlabbrige Hosen, in denen wir uns am Ende des Tages auf den Weg ins Bett machen. Klassische Pyjamas hat kaum noch einer im Schrank. Warum auch? Sie sind spießig, altmodisch und bieder. Oder?
Die Münchner Designerin Anna Heinrichs hat den klassischen Pyjama neu erfunden, denn sie findet, dass man gerade beim Schlafen Ästhetik nicht außer Acht lassen sollte. Und genau diese Idee, war dann auch der Grundstein für ihr Label Horror Vacui. Die deutsche Modeszene feiert sie dafür, weil ihre Kreationen nicht nur was fürs Bett sind, sondern mittlerweile auch auf roten Teppichen, Fashionevents und sogar im Alltag ihren Platz gefunden haben. Mit uns hat sie unter anderem darüber gesprochen, wie es überhaupt dazu kam, dass sie plötzlich ohne Designstudium Gründerin eines Modelabels war und was es mit dem ungewöhnlichen Namen „Horror Vacui” auf sich hat.
Wie kamst du darauf, ein neues Label nur für Pyjamas ins Leben zu rufen? Gibt es dafür überhaupt einen Markt?
„Ich hatte vor der Gründung von Horror Vacui, vor vier Jahren, so richtig Lust, mir einen ganz klassischen, ,altmodischen‘ Pyjama zu kaufen, einen mit Kragen, Taschen, Knöpfen und Manschetten – aber eben modern. Früher war der Pyjama ein sehr wichtiges Kleidungsstück, das gar nicht wegzudenken war. Heute tragen die meisten nur noch ein T-Shirt zum Schlafen. Ich wollte aber einen ganz klassischen Pyjama, den ich dann einfach nirgends gefunden habe. Es gab entweder die Variante mit Comicfiguren, oder Pyjamas, die total eingestaubt, spießig und bieder waren. Ich habe nur diese beiden Extreme gesehen und ich wollte weder das Eine, noch das Andere.”
Und dann hast du das einfach selbst in die Hand genommen?
„Ja genau. Da kamen natürlich noch mehr Faktoren zusammen. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für die Stoffe von Liberty London. Meine Mutter betreibt eine Nähfabrik und dadurch war ich schon öfter auf Stoffmessen und ähnlichen Veranstaltungen. Da haben mich die Liberty-Stoffe immer fasziniert. Viele kennen nur die Blümchen- und Paisleymuster von Liberty. Ich fand es immer sehr inspirierend die ganzen anderen Muster aus der Kollektion zu sehen, wie zum Beispiel jene, die aus den Kollaborationen mit Künstlern entstanden sind. Da hatte ich irgendwann den Einfall: ,Aus diesem Stoff hätte ich gerne einen Pyjama.‘ Liberty-Stoffe verwenden viele Designer meistens nur für Details in ihren Designs, da die Stoffe sehr edel und dadurch teuer sind. Ich dachte mir aber: ,Wenn ich schon so ein edles Material für einen ganzen Pyjama verwende, dann will ich es auch, mit einer exzellenten Verarbeitung, – die für einen Pyjama eigentlich fast schon zu viel des Guten ist – ganz auf die Spitze treiben.‘ So entstanden dann die Horror Vacui-Pyjamas.”
Pyjamas komplett aus Stoffen von Liberty London. © Horror Vacui
Was hast du gemacht, bevor du Horror Vacui gegründet hast?
„Nach dem Abi habe ich erst einmal Jura studiert und dann eine Zeit lang in einer Kanzlei für Insolvenzverfahren gearbeitet. Das war eine gute Schule für mich, weil ich lernen konnte, wie schnell etwas schiefgehen kann. Parallel habe ich auch immer in der Nähfabrik meiner Mutter mitgearbeitet. Eine klassische Nähfabrik, die u.a. auch für namhafte internationale Designerlabels produziert. Dort habe ich auch sehr viel über die Produktion von Mode gelernt.”
Wie bist du deine Gründung ohne richtiges Mode Know-how angegangen? Hattest du nicht Angst zu scheitern?
„Ich war schon von klein auf immer ein sehr kreativer Mensch. Meine Oma ist gelernte Schneiderin und bei ihr habe ich als Kind immer den Sommer verbracht. Da konnte ich mich total austoben und durfte mit allen Stoffen Sachen ausprobieren, die mir gerade in den Sinn kamen. Meine Puppen waren so zum Beispiel immer bestens angezogen (lacht). Meine Mutter hat oft zu meiner Oma gesagt: ,Schau mal Mama, Anna hat schon wieder die Spitze genommen, hast du das gesehen?‘, meine Oma hat dann immer total cool geantwortet: ,Lass das Kind machen, ich habe ihr das erlaubt.‘ So habe ich nähen gelernt und meine Liebe zur Mode entdeckt.
Ich bin zwar eine spätberufene Modedesignerin, aber durch die enge Zusammenarbeit mit Schnittkonstrukteuren und Textiltechnologen gelingt es mir meine Kreativität und meinen Anspruch an das Produkt auszuleben. Hier ist es mir wichtig, dass meine Pyjamas wirklich hochwertig produziert werden und man ihnen das auch anmerkt. Ich zeichne viel und sammle Fotos, die mich inspirieren und entwickle daraus die Designs.“
Wenn du an die Anfangszeit deiner Gründung zurückdenkst: Was war wesentlich schwieriger als du gedacht hast und wie hast du diese Aufgaben dann gemeistert?
„Es gab wirklich sehr viele Stolpersteine. Jetzt im Nachhinein kann ich sagen: jeder Stein war eine wertvolle Erfahrung. Daher war es wohl auch sehr gut, dass ich im Vorhinein nicht wusste, was mich alles erwartet. Fest steht, dass ich es bisher keine Sekunde bereut habe, wie sich alles entwickelt hat. Ich weiß, dass das genau mein Weg ist und die Welt mich als Juristin nicht vermissen wird.”
Was war das größte Hindernis, das du bestehen musstest?
„Es ist generell so, dass das Thema Mode in Deutschland einen schwierigen Stellenwert hat. Man merkt immer wieder wie anders das in Frankreich oder Italien ist. Dort ist man wirklich stolz auf die eigene Modeindustrie, die auch von staatlicher Seite unterstützt wird. In Deutschland werden gerne Tech- und Finance-Startups unterstützt, aber Mode und Design als Wachstumsbranchen zu begreifen, ist hierzulande keine Selbstverständlichkeit. Das finde ich sehr schade, da es in Deutschland wahnsinnig viel kreatives Potential gibt. Obendrein haben wir ‚the capital of cool – Berlin’. Daraus könnte man noch viel mehr machen. In New York auf der Modemesse habe ich oft gehört: ,the cool stuff comes from Germany!‘ Aber immerhin, in den letzten Jahren hat sich auch schon einiges verändert. Zum Beispiel gibt es seit zwei Jahren den Fashion Council.
Für mich ist es total super, dass ich gerade in dieser Zeit gestartet bin, in der es Institutionen wie den Fashion Council, den VOGUE Salon oder den Berliner Mode Salon gibt. Diese Art von Unterstützung sollte es viel öfter seitens Förderern oder Firmen, die es schon geschafft haben, geben.”
Was ist denn genau der Fashion Council?
„Der Fashion Council ist die Institution in Deutschland, die für Designer einsteht und Newcomer mit Know-how, Kontakten oder finanziellen Mitteln fördert. Es gibt zwar bereits Textilverbände und einige Vereine, aber die sind eher für die Industrie da und weniger für die Designer. So etwas wie die Camera della Moda in Italien, oder der British Fashion Council in UK, hat in Deutschland einfach lange gefehlt.”
Wie sah deine Strategie aus, um dein Label bekannt zu machen? Was sind deine wichtigsten Marketing-Kanäle?
„Mich hat keiner ins kalte Wasser geworfen, sondern ich bin selbst rein gesprungen und habe es dann wirklich so gemacht, wie ich dachte, dass es funktionieren könnte. Heute bin ich froh, dass es auch funktioniert hat. Ich hatte ein Lookbook und eine Website und habe das dann an Redaktionen geschickt. Wenn die Redaktionen dann Interesse hatten, haben sie sich gemeldet. So wurde auch die VOGUE auf mich aufmerksam, die dann meine komplette Kollektion sehen wollte. Nachdem sie die Kollektion gesichtet hatten, wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, beim VOGUE Salon dabei zu sein. Das war dann wirklich riesig für mich.”
Die Designs von Anna Heinrichs haben sogar Vogue-Chefredakteurin Christiane Arp überzeugt. © Instagram Horror Vacui
Kannst du von deinem Label mittlerweile leben? Und falls nicht, wie finanzierst und organisierst du dich, um alles unter einen Hut zu bekommen?
„Ich stehe noch ganz am Anfang, aber arbeite mich peu-à-peu an eine erfreuliche Umsatzentwicklung heran. Mein Kundenportfolio steigt kontinuierlich an und mit dem bevorstehenden Online Shop erhoffe ich mir neue Impulse, auch um ein Gegenpol zum klassischen Einzelhandel zu haben. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Digitalisierung gerade in diesem Bereich völlig neue Möglichkeiten schafft um ein junges Label wie meines im Markt zu platzieren. Ich bin sehr guter Dinge.”
Woher bekommst du diese finanzielle Unterstützung?
„Vor allem von meinen eigenen Ersparnissen. Ich habe meine Altersvorsorge und andere Anlagen ‚gekillt’ und setze gerade alles auf eine Karte. Außerdem kalkuliere ist sehr scharf, kaufe nie zu viel Stoff ein und überlege mir jede Investition sehr genau. Ich produziere nur so viel, wie ich auch Bestellungen habe.”
Was bedeutet Horror Vacui eigentlich und warum hast du so einen ungewöhnlichen Namen gewählt?
„Horror Vacui ist ein lateinischer Begriff aus der Kunstgeschichte und bedeutet „Scheu vor der Leere”. Früher wurde dieser Begriff für die These von Aristoteles verwendet, die besagt, dass die Natur das Vakuum vermeidet.
Später hat sich der Begriff in der Kunst etabliert, um eine opulente Ästhetik zu beschreiben, unter anderem für Werke wie die von William Morris, der wiederum für Liberty die ersten Prints entworfen hat und Begründer der ,Arts and Crafts‘-Bewegung war. Da schließt sich der Kreis wieder, da dieser Begriff auch für die Ästhetik geprägt wurde, wie meine Pyjamas sie haben. Der Name ist also perfekt für mein Produkt und fast jeder findet ihn auch wirklich toll. Leute, die den Begriff aus der Kunst noch nicht so kennen, schrecken vor dem Wort ,Horror‘ manchmal etwas zurück. Wenn sie dann aber erfahren, was es bedeutet, findet den Namen eigentlich jeder sehr gut. Er geht ins Ohr, man denkt zweimal darüber nach und vergisst ihn so schnell nicht mehr. Genau das ist für eine neue Marke sehr wichtig.”
Ganz neu ist, dass du nicht nur die klassischen Pyjamas designst, sondern auch Kleider und sogar ein Accessoire. Wie kam es dazu?
„Ich habe sehr bescheiden angefangen und wollte mich erst einmal auf ein Produkt konzentrieren und das dann aber so richtig perfekt machen. Damals dachte ich, dass es das Größte wäre, wenn sich meine Marke als Nischenprodukt etabliert. Als dann aber Christiane Arp kam und sagte: ,Ich will das auf dem Vogue Salon sehen‘, wusste ich gar nicht wie mir geschah. Und das war der Anfang von allem: ,ok, wenn es so viele Leute gibt, die mir mehr zutrauen und sagen, dass ich Talent habe, dann probiere ich weitere Ideen aus.‘
Also habe ich, in Anlehnung an historische Nachthemden, Sommerkleider designt. Viele erinnern die Designs an die Nachthemden, die ihre Großeltern schon getragen haben. Das ist auch Absicht. Aber meine Kleider sind jetzt eben bunt sowie aus einem schönen Stoff und plötzlich wird es so zu etwas ganz anderem. Und dann sieht man seine Kleider auf einmal auf dem roten Teppich und denkt sich nur: ,Wow!‘ Wenn man sieht, wie Kundinnen das eigene Produkt dann auch wirklich tragen, ist das wirklich ein irres Gefühl. Toll finde ich auch, dass es für Horror Vacui zwei verschiedene Arten von Kunden gibt. Einmal die, die die Pyjamas auch wirklich zum Schlafen tragen und zum anderen gibt es die, die die Pyjamas wie Mode tagsüber tragen, ohne, dass sie aussehen, als wären sie gerade aus dem Krankenhaus entlaufen. Jeder kann aus dem Produkt das machen, was er möchte.”
Sommerkleider von Horror Vacui, die an altertümliche Nachthemden erinnern. © Horror Vacui
Das neue Accessoire „Pulsix” aus dem Hause Horror Vacui. © Instagram Horror Vacui
Woher kommt deine Inspiration für diese altertümlichen Designs?
„Schon als ich den ersten Pyjama gemacht habe, habe ich sehr viel recherchiert. Ich wollte wissen, woher der Pyjama kommt, wo er zum ersten Mal aufkam, wie Pyjamas damals aussahen, was man zu der Zeit noch getragen hat und vieles mehr. Die Historie allgemein und die Kunst zu der Zeit finde ich sehr spannend und inspirierend. Ich wollte darauf eine moderne Antwort geben und kam so zu meinen Ideen.”
Was sind deine Pläne für die Zukunft, was wünschst du dir?
„Das Feedback von den Kundinnen, den Händlern und der Presse hat mich unglaublich motiviert – das macht mich stolz und glücklich. Bis jetzt gibt es Pyjamas und Kleider, aber die Produktpalette wird in Zukunft noch weiter ausgebaut, z.B. um Blusen und Mäntel. Auch ein Accessoire haben wir nun im Sortiment. Mein Ziel ist es, immer wieder zu überraschen, deshalb kann ich jetzt auch nicht so viel verraten. Ich möchte ein Label aufbauen, das international von Bedeutung ist.”
Deine Gründung war ein mutiger Schritt! Was würdest du Menschen raten, die den gleichen Traum haben?
„Das ist total schwierig, da ich ja auch selbst noch am Anfang stehe. Ich glaube es ist wichtig, dass man etwas macht, worin die eigenen Stärken zum Tragen kommen. Meiner Meinung nach ist es vergeudete Zeit an Schwächen intensiv zu arbeiten. Wenn jemand zum Beispiel kein Talent für Sprachen hat, finde ich es unsinnig, Geld, Zeit und Mühe hierin zu investieren, nur um auf Biegen und Brechen eine neue Sprache zu lernen. Jeder hat Talente, die, wenn sie nicht auf der Hand liegen, ausgegraben werden wollen. Darauf sollte man sich konzentrieren, diese Stärken und Talente zu finden und ausbauen. Und zu guter Letzt: Mut zur Lücke und Kreativität.”
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