Die Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig engagiert sich gegen Hass im Netz und ist eine unserer „25 Frauen, die unsere Welt besser machen“ – wir haben mit ihr über Hetze, Online-Enthemmung und sich rasant verbreitende Fake News gesprochen.
„Es gibt eine besondere Enthemmung im Netz“
Eine pluralistische Gesellschaft muss auch im Netz verteidigt werden, indem man nicht wegschaut und sich gegen Mobbing im Netz positioniert. Genau da setzt die österreichische Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig an und engagiert sich couragiert gegen Hass im Internet – zuletzt in ihrem Buch „Hass im Netz: Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können“. Denn, nein: Wir müssen eine verrohte Netzkultur nicht einfach hinnehmen.
Wir haben mit der Journalistin über die Motivation hinter den Beleidigungen gesprochen, wie sich reagieren lässt, wenn man in das Visier von Trollen gerät und wie Social-Media-Plattformen effektiv gegen Hetze vorgehen könnten.
Um uns dem Thema zu nähern: Woher kommt Hass im Netz? Und was motiviert Menschen dazu, andere zu trollen?
„Richtige Trolle treibt die Schadenfreude: Sie freuen sich, wenn sie andere so richtig zur Weißglut oder in die Verzweiflung treiben können. Eine kanadische Studie namens ‚Trolls just want to have fun’ fand heraus, dass Trolle überdurchschnittlich oft unter Sadismus leiden. Aber neben den klassischen Trollen gibt es eine zweite Gruppe von aggressiven Nutzern, die für viel Leid verantwortlich sind. Ich nenne diese User ‚Glaubenskrieger’, weil sie nicht aus Spaß andere fertigmachen, sondern aus blinder Überzeugung. Sie sehen sich in ihrem Weltbild so sehr im Recht, dass sie den Eindruck haben, es sei in Ordnung, Andersdenkende fertigzumachen und aus der Öffentlichkeit wegzumobben. Gerade bei politischen Diskussionen treten Glaubenskrieger auf und zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mit Argumenten sondern mit Aggression die Diskussion an sich reißen wollen.“
„Trolle leiden überdurchschnittlich oft unter Sadismus.“
Wir stellen uns hinter den meist anonymen Accounts gern „gescheiterte Persönlichkeiten vor“, von der Gesellschaft abgehängte Menschen. Aber das ist oftmals gar nicht der Fall, wie schon viele Reportagen gezeigt haben. Was denkst du, wie entsteht der Wunsch auf anonym ausgeführte Erniedrigung? Welche Befriedigung bekommen Menschen dadurch?
„Der Troll tut dies zur Belustigung – in der Trollsprache heißt das ‚LULZ’ (es ist die gehässige Form des LOLs). Bei Glaubenskriegern hingegen geht es darum, die eigene ‚Wahrheit’ möglichst weit zu verbreiten. Glaubenskrieger sind oft der Ansicht, dass eine große Bedrohung existiert, vor der sie warnen müssen – seien es die ominösen Chemtrails oder der angebliche ‚große Austausch’ der Bevölkerung. Diese vermeintliche Bedrohung rechtfertigt in ihren Augen, so laut aufzutreten und auch hart zu Andersdenkenden zu sein. Solche Nutzer sind so aggressiv, weil sie tatsächlich an diese große Bedrohung glauben und Gehör finden wollen.“
„Im Netz zeigen viele Menschen aber dunkle Seiten ihrer selbst, die sie in vielen Offline-Situationen unterdrücken.“
Die allgemeine Wahrnehmung ist, dass wir immer enthemmter werden, was die Sprache betrifft. Dass wir im Umgang miteinander verrohen. Wie würdest du das einschätzen?
„Tatsächlich gibt es eine besondere Enthemmung im Netz – etwa, weil nonverbale Signale wie der Augenkontakt fehlen. Empathie ist auch eine körperliche Reaktion: Wenn ich einer fremden Frau in die Augen schaue, tue ich mir viel schwerer, ihr auszurichten, dass sie eine ‚blöde Hure’ ist und ihr die schlimmsten Dinge passieren sollten. Es ist nicht so, dass wir Menschen im Internet zu böseren Individuen würden. Im Netz zeigen viele Menschen aber dunkle Seiten ihrer selbst, die sie in vielen Offline-Situationen unterdrücken. Wenn jemand seine Arbeitskollegin aufs Übelste vor anderen beschimpft, wird er wahrscheinlich Probleme im Unternehmen bekommen. Im Netz aber kann man permanent andere fertigmachen – und die Chance ist sehr gering, dass einem wirklich negative Konsequenzen widerfahren. All das sind Faktoren, die die sogenannte ‚Online-Enthemmung’ bestärken.“
„Humor ist eine ungeheuer starke Waffe: Wer mit Humor auf Hass reagiert, zeigt, dass er oder sie sich nicht so leicht kleinmachen lässt.“
Wie kann man deiner Meinung nach am besten reagieren, wenn man in eine Situation gerät, in der man im Netz angefeindet wird? Sollte man dagegenhalten oder stillhalten? Denn wenn man nichts tut, entschärft man die Situation sicherlich schneller, andererseits überlässt man damit den Hatern die Spielweise.
„Das Wichtigste, nicht allein mit dem Hass zu bleiben. Ich empfehle zum Beispiel, Freunden und Bekannten online zu schreiben: ‚Schaut einmal, was mir gerade passiert …’ Weil die einem den Rücken stärken können und womöglich auch online das Wort ergreifen: ‚Ich finde nicht in Ordnung, was XYZ gerade passiert.’ Das wird die aggressiven Gegenstimmen nicht beeindrucken, aber es geht einfach darum, dass das Opfer sehen muss: Ich bin nicht allein, ich habe diese Aggression verdient. Denn egal, wie selbstsicher man ist, extreme Beschimpfungen, Bedrohungen nagen an einem.
Es gibt keine Zauberformel, die auf jede Form des verbalen Angriffs anwendbar ist: Im Grunde muss das Opfer entscheiden, welche Reaktion am besten passt. Einen Angriff öffentlich thematisieren, kann unglaublich befreiend und aufbauend sein. Gerade bei total sexistischen, überzogenen Attacken ernten die Betroffenen oft viel Sympathie, wenn sie das ansprechen. Speziell Humor ist hier eine ungeheuer starke Waffe: Wer mit Humor auf Hass reagiert, zeigt, dass er oder sie sich nicht so leicht kleinmachen lässt. Es gibt aber dermaßen persönliche und verletzende Beleidigungen, dass ich verstehe, wenn Opfer das nicht nach außen tragen wollen. Mein genereller Tipp ist: Nichts überstürzen, nicht im Affekt reagieren – sondern durchatmen, womöglich darüber zu schlafen. Aber unbedingt sollte man gleich einen Screenshot von der Attacke machen, damit man sie auf jeden Fall dokumentiert hat.“
Was kann von Seiten der Social-Media-Kanäle wirksam gegen Hass im Netz gemacht werden?
„Das Allerwichtigste ist, dass die großen Social-Media-Plattformen bestehendes Recht durchgehend befolgen: In Europa sind Webseiten-Betreiber verpflichtet, strafbare Hasskommentare zeitnah zu entfernen, wenn sie darüber informiert wurden. Wir haben nun interessante Zahlen aus Deutschland sowie anderen EU-Staaten, die zeigen: Extrem oft werden strafbare Äußerungen nicht entfernt, wenn sie normale Nutzer melden. Facebook löscht beispielsweise nur jeden zweiten strafrechtlich relevanten Kommentar. Dies ist nicht im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben – und es ist schlecht für unsere Gesellschaft. Denn je länger solche bedrohlichen und hetzerischen Botschaften stehenbleiben, desto mehr Menschen erreichen sie. Zweitens könnten die großen Plattformen uns Nutzern mehr Tools in die Hand geben: Facebook könnte uns Nutzern die Wahl geben, dass wir mehr pluralistische Inhalte angezeigt bekommen können. Es könnte uns zum Beispiel einen ‚Überrasch mich’-Knopf anbieten, sodass wir einmal am Tag einen Beitrag eingeblendet bekommen, der uns früher verborgen geblieben wäre. Das hilft, auch die Perspektive oder Interessen anderer Menschen zu verstehen.“
Und was kann ich als Privatperson tun?
„Als einzelner kann man auch etwas tun: Jede Nutzerin, jeder Nutzer kann für ein sachliches Diskussionsklima plädieren. Ich selbst diskutiere zum Beispiel gern auf Facebook und betone immer wieder, wie wichtig es mir ist, dass wir möglichst respektvoll bleiben – auch wenn man die Welt ganz anders sieht. Wenn ich merke, dass der Ton rau wird, poste ich: ‚Ich bitte darum, keine Schimpfworte zu verwenden. Auch wenn dieses Thema sehr stark polarisiert, ist es wichtig, dass wir sachlich und fair miteinander diskutieren.’ Und selbst ein simpler Hinweis zeigt Wirkung: Viele Nutzer finden das gut, dass Beleidigungen nicht akzeptiert werden.“
„Nur die Dummen oder Ungebildeten lassen sich von Falschmeldungen im Netz beeinflussen? Das bezweifle ich.“
Du hast dich auch viel mit dem Thema Fake News auseinandergesetzt, das gerade stark diskutiert wird und etwa einen Vortrag auf der re:publica darüber gehalten. Anlass war ein Gespräch mit einer „besorgten Bürgerin“, die regelmäßig und unbewusst Fake News konsumiert. Warum hat dich dieses Gespräch so beeindruckt bzw. nicht mehr losgelassen?
„Oft heißt es: Nur die Dummen oder Ungebildeten würden sich von Falschmeldungen im Netz beeinflussen lassen. Das bezweifle ich. In meinen Recherchen treffe ich immer wieder ganz normale Bürger, die sich manch eine Fehlinformation eingeprägt und zu Herzen genommen haben. In einem Gespräch mit einer ‚besorgten Bürgerin’ wurde mir das damals bewusst: Die Frau bezog ihre Nachrichten zunehmend von islamfeindlichen oder sehr populistischen Accounts und war davon zutiefst verunsichert. Zum Beispiel las sie online, dass sich blonde Frauen in Schweden die Haare schwarz färben würden – aus Angst, sonst von Migranten vergewaltigt zu werden. Anfangs fand sie dieses Gerücht komplett überzogen – aber sie las immer wieder derartige Horrorstorys, dass sie ins Zweifeln kam und sich fragte: Was ist da dran? Falschmeldungen wirken durch pure Wiederholung. Schon 1977 fanden Wissenschaftler heraus, dass Menschen (selbst falsche) Behauptungen eher glauben, wenn sie oft wiederholt werden. Das nennt man den ‚Wahrheitseffekt’ – und auch eine komplett erfundene Meldung wirkt glaubwürdiger, wenn wir sie immer wieder hören.“
Die Frage ist ja: warum haben Fake News so eine große Wirkung, meist eine viel größere Wirkung als Gegenstimmen aus seriösen Medien?
„Das größte Problem ist, dass Fake News viel brisanter als klassische Nachrichten klingen. Wenn ich eine Meldung einfach erfinde, kann ich viel unterhaltsamer oder emotionalisierender sein als wenn ich mich an schnöden Fakten orientieren muss. Das führt mit zum Erfolg der Fake News: Sie emotionalisieren und profitieren von menschlichen und technischen Mechanismen. Denn je ärgerlicher und aufwühlender eine Nachricht ist, desto mehr Likes, Kommentare und Shares wird der Beitrag erhalten. Wir Menschen steigen auf krasse Meldungen eher ein – und die Maschine verstärkt das noch. Denn je mehr Interaktion (Kommentare, Shares, Likes) ein Beitrag erhält, desto mehr Menschen wird diese Meldung dann auch noch eingeblendet. Aufwühlende Beiträge erreichen also eine höhere Reichweite – und wer sich nicht an Fakten orientieren muss, kann permanent aufwühlen. Wer jedoch recherchiert, differenziert, abwägt, hat es schwerer. Das ist einer der Gründe für den Erfolg der Fake News. Ein weiterer: Gerade in Echokammern – also in digitalen Räumen, in denen sich hauptsächlich Gleichdenkende austauschen – können Falschmeldungen stark zirkulieren, ohne wirkungsvoll beseitigt zu werden.“
Wer hat eigentlich Interesse an der Angst, die durch Fake News produziert wird? Kann man sagen, dass diese Nachrichten viel aus einer Richtung, etwa aus der rechten Ecke kommen? Wer nutzt das für sich und warum?
„Zum einen werden Fake News zum Geldmachen produziert: Speziell in den USA scheint ein Markt entstanden zu sein, auf dem Menschen mit solcher Aufregung Klicks und Werbeeinnahmen lukrieren. Im deutschsprachigen Raum gibt es auch unseriöse Seiten und Accounts, die eine Mischung aus Halbwahrheiten, Fake News und reißerischen Meldungen weiterverbreitet. Hier geht es meines Erachtens eher um Ideologie: Man will andere Menschen in Aufruhr bringen und für die eigenen politischen Forderungen erreichbar machen. Wir sehen speziell rechtspopulistische Akteure, die mit einem unseriösen Umgang mit Fakten auffallen. Das ergab auch eine interessante Auswertung der Hoaxmap, wonach speziell die AfD und die FPÖ viele Gerüchte weiterverbreiten. In den USA hat Buzzfeed analysiert, ob eher rechte oder linke Accounts falsche Behauptungen verbreiten: Die untersuchten rechten Facebook-Accounts haben 38 Prozent Falschmeldungen und Halbwahrheiten verbreitet, die linken Accounts 19 Prozent. Wir sehen also – keine Seite ist vor Fake News gefeit, nur aktuell profitieren davon speziell Rechtspopulisten.“
Gibt es eigentlich eine schnelle Lösung, um eine Meldung als falsch zu entlarven? Denn das Problem ist ja, nur wenige setzen sich hin und recherchieren die Quelle von Inhalten.
„Mich fasziniert immer wieder, wie faul Fälscher sind. Statt sich eigenes Fotomaterial zu beschaffen, klauen sie einfach irgendwelche Bilder aus dem Netz und behaupten dann, diese Aufnahmen würden diesen oder jenen Skandal beweisen. Das führt zu einer der simpelsten Methoden, Falschmeldungen zu entlarven: Auf Google kann ich ein Bild hochladen und schauen, ob es schon einmal früher im Netz aufgetaucht ist. Dann sieht man oft sehr schnell, dass eine Aufnahme etwas ganz Anderes zeigt. Es hilft übrigens auch, sich selbst zu beobachten: Wenn einen ein Beitrag so erschüttert, dass man ihn sofort teilen möchte, dann sollte man schon skeptisch werden. Also lieber kurz googeln oder nachlesen, ob das denn stimmt. Denn eine immense Brisanz ist oft schon das erste Warnsignal, dass da womöglich an den Fakten ‚nachgebessert’ wurde.“
Welche Rolle spielt Copy & Paste im Journalismus in diesem Zusammenhang?
„Journalistischer Zeitdruck und fehlende Achtsamkeit sind ein großer Teil des Problems: Im deutschsprachigen Raum stammen Falschmeldungen oft nicht von professionellen Fake-News-Produzenten, die einfach etwas komplett erfinden. Häufig passiert zum Beispiel ein Recherchefehler, der sich dann rasch über das Netz verbreitet und schließlich von obskuren Onlinemedien auch noch komplett zugespitzt und überdreht wird. Ein Beispiel: Als wir in Österreich endlich den neuen Bundespräsidenten wählten, kursierte am Wahlabend und am Tag darauf eine Falschmeldung, wonach doch der Rechtspopulist Norbert Hofer angeblich die Wahl gewonnen hätte. Dieser Irrtum ging vom TV-Sender Euronews aus, der anfangs eine Statistik falsch interpretiert hatte. Dieser Irrtum wurde dann von rechten Blogs übernommen und als Beleg instrumentalisiert, dass womöglich ein Wahlbetrug in Österreich stattgefunden habe. Und leider verbreitete sich auch diese Falschmeldung rasant.“
Das Problem sind ja aber auch Algorithmen – verirrt man sich einmal auf die einschlägigen Seiten, poppen deren Inhalte immer wieder auf. Für wie gefährlich hälst du die Filterblase? Und, viel wichtiger, wie kommt man da wieder raus?
„Die Filterblase beschreibt die Sorge, dass unser Blick auf die Welt noch zusätzlich von Algorithmen eingeengt wird – weil diese uns speziell Infos einblenden, die genau zu unserer Meinung passen. Ich halte das für eine sehr reale Sorge – wobei es schwierig ist, die Größe der Filterblase zu messen: Zum Beispiel lässt Facebook keine unabhängigen Studien zu diesem Thema zu. Eine Untersuchung von Facebook-Mitarbeitern selbst kam zum Ergebnis, dass es zumindest eine sehr kleine Filterblase gibt. Wir wissen zu wenig. Das Wichtigste wäre also mal, dass unabhängige Wissenschaftler hier Einblick bekommen, damit wir als Gesellschaft besser einschätzen können, welchen Mechanismen wir uns aussetzen.
Zweitens könnten Plattformen uns helfen, aus den eigenen Echobunkern wieder auszubrechen: Zum Beispiel könnte Facebook den Nutzern drei verschiedene Algorithmen anbieten – und ein Teil dieser Algorithmen könnte Emotionalität nicht so hoch bewerten oder speziell darauf ausgerichtet sein, sehr unterschiedliche Meinungen anzuzeigen, um Pluralität sichtbar zu machen. Technisch wäre das absolut möglich, es wird uns nur bisher nicht angeboten. Ich glaube, in den nächsten Jahren wird es stark darum gehen, dass wir als Konsumentinnen und Konsumenten auch Druck machen – dass wir sagen, dass wir mehr Mitsprache und Einblick wollen, nach welchen Kriterien Information für uns ausgewählt wird. Wir tappen derzeit im Dunkeln, das ließe sich aber ändern.“
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