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Keine Angst vor Geisteswissenschaften! Denn damit steht dir die Welt offen

Geisteswissenschaften sind brotlose Kunst? Das ist ein Klischee. Wieso du nicht daran zweifeln solltest, Geisteswissenschaften zu studieren.

 

Geisteswissenschafter werden Taxifahrer?

Und was willst du damit später mal machen?” Wohl jeder zweite Artikel über das Studium der Geisteswissenschaften steigt mit diesem Thema ein, aber ehrlich gesagt kann auch ich es mir nicht verkneifen – denn diesen Satz habe ich in den letzten sieben Jahren mindestens 764.528 Mal gehört.

Die beste Antwort darauf ist ja eigentlich: „Na, Taxifahren!” Aber damit geben sich die meisten dann leider doch nicht zufrieden. Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, verstehe ich die Frage gar nicht so genau. Was soll ich damit schon machen? Arbeiten natürlich. Und zwar überall dort, wo ich möchte. Denn wenn ich eines in meinem Studium gelernt habe, dann das: Als Geisteswissenschaftler steht dir die Welt offen. Und wie ein schlauer Mann schon sagte: „Der Geisteswissenschaftler ist das Schweizer Taschenmesser des Arbeitsmarktes – überall und universell einsetzbar.“

Berufswunsch? Irgendwas mit Literatur und Kunst 

Meine Mama wollte immer, dass ich Lehrerin werde. Französisch und Deutsch, das sind meine Stärken. Für mich war das allerdings nie eine Option. Ich war so froh, endlich aus der Schule raus zu sein und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dort jemals wieder einen Fuß hineinzusetzen – selbst wenn ich dann hinterm Lehrerpult stehen würde.

Nein, ich wollte lieber etwas mit Literatur oder Kunst studieren, einfach so. Also habe ich mich hingesetzt, sämtliche Vorlesungsverzeichnisse verschiedener Unis gewälzt und mir mein Traumstudium herausgesucht. Ob es das letztendlich war, ist eine andere Geschichte – aber ich habe mich bei der Wahl nie von anderen beeinflussen lassen. Den Zweifach-Bachelor Kulturwissenschaft und Französische Philologie und den daran anschließenden Master Vergleichende Literatur- und Kunstwissenschaft an der Uni Potsdam habe ich eigentlich ziemlich spät entdeckt. Ich weiß noch genau, wie ich auf den allerletzten Drücker die Formulare ausgefüllt und einem Kumpel mitgegeben habe, der daraufhin mit dem Skateboard zum Briefkasten gedüst ist, um sie noch rechtzeitig einzuwerfen. 

Letztendlich hat meine Mutter mich natürlich trotzdem immer unterstützt, aber die Sorge, ob ich wohl jemals einen guten Job mit angemessener Bezahlung bekommen würde, blieb immer bestehen. Ich habe mich von solchen Gedanken eigentlich nie beeindrucken lassen. Für mich war immer klar, dass ich die richtige Stelle für mich finden werde. Vielleicht ist das naiv, vielleicht aber auch die beste Einstellung, die man haben kann. Und ich glaube, dass ich bis dorthin, wo ich jetzt stehe, einen ganz guten Weg gegangen bin.

Praxiserfahrung ist King

Ich weiß, das klingt bei einem geisteswissenschaftlichen Studium etwas blöd, aber was mir dort immer gefehlt hat, war die Praxiserfahrung. Im Bachelor und Master jeweils ein Monat Pflichtpraktikum (wohlgemerkt in den Semesterferien) und einige wenige praktisch ausgerichtete Kurse, bei denen die Chance gleich Null war, einen der begehrten Plätze zu ergattern – das hat mir einfach nicht gereicht.

Deshalb habe ich die Lösung des Problems ziemlich schnell selbst in die Hand genommen: Nach einem Praktikum bei den Potsdamer Neuesten Nachrichten folgten welche in PR-Abteilungen verschiedener Museen in Kassel und Berlin sowie ein halbjähriger Einblick in das Kultur-Startup Livekritik.de. Um nebenbei etwas Geld zu verdienen, denn bezahlte Praktika in diesen Bereichen sind ja leider Mangelware, habe ich obendrein zunächst bei H&M und später bei Lush gejobbt.

Als ich dann beim Modeblog LesMads die Ausschreibung für ein Praktikum entdeckt habe, war ich hin- und hergerissen. Wie ihr wahrscheinlich schon ahnen könnt, hatte sich mein Studium durch die vielen Nebenjobs schon ziemlich in die Länge gezogen und ich wollte meinen Eltern nicht noch länger auf der Tasche liegen. Einen Einblick in den Modejournalismus zu bekommen war für mich jedoch ein kleiner, langgehegter Traum. Das klingt jetzt kitschig, aber letztendlich habe ich alles, was dann folgte, meinem Mann zu verdanken, denn er hat mich dazu ermutigt, die Gelegenheit wahrzunehmen und mich auch darüber hinaus immer in dem unterstützt, was ich tue. Also habe ich mich beworben und bin entgegen all meiner Erwartungen, denn mit Mode hatte ich zuvor zumindest beruflich ja nichts am Hut, genommen worden.

Vom Suchen und Finden meines Traumjobs

Dieses halbe Jahr war für die Entwicklung meiner (beruflichen) Persönlichkeit eines der wichtigsten. Ich habe viel gelernt, gelacht und noch mehr geschrieben. Ich habe Events besucht, Leute kennengelernt, war auf der Fashion Week und konnte mich jeden Tag meiner liebsten Leidenschaft widmen: der Mode. Danach stand für mich fest, dass ich keine spröden Pressemitteilungen mehr verfassen möchte, sondern Redakteurin werden will. Es kann gut sein, dass sich das in einigen Jahren wieder ändert, aber das ist ja das Schöne an dem Studium: Hast du Erfahrung im jeweiligen Bereich, kannst du in unheimlich vielen Berufsfeldern arbeiten. Langweilig wird es als Geisteswissenschaftler also bestimmt nie.

Wer dran bleibt, bekommt auch einen Job

Und pünktlich zum Ende meines Studiums stehe ich jetzt also an dem Punkt, an dem ich ganz genau weiß, was ich damit anfangen möchte und was nicht. Und ich bin sehr froh darüber. Ich bereue es nicht, ein paar Jahre länger studiert zu haben als andere, denn ich habe durch meine Ausflüge in die Arbeitswelt so viel gelernt, was ich an der Uni allein nie gelernt hätte.

Obwohl ich eher ein stilles Wasser bin, habe ich mir über die Jahre hinweg ein kleines aber feines Netzwerk aufgebaut, das es mir unter anderem ermöglicht hat, erst kürzlich die Urlaubsvertretung bei LesMads übernommen zu haben und auch aktuell (noch) als Werkstudentin in einer Berliner Onlineredaktion über Fashion- und Beautythemen zu schreiben. Und das könnt ihr mir glauben: Ich bin schon sehr gespannt, wie es danach weitergeht – und ich verspüre keine Angst oder Unsicherheit dabei, sondern gehe meiner (beruflichen) Zukunft optimistisch und mit Freude entgegen.

Wenn du also vor der Entscheidung steht, welches Studium du wählen sollst, kann ich nur sagen: Sei mutig. Mach das, worauf Du Lust hast und nicht das, was auf den ersten Blick am vernünftigsten erscheinen mag oder andere dir vorschlagen. Mit genügend Motivation, Tatendrang und Neugierde wirst du auch in diesen Fächern glücklich – und das, ohne vorher zu wissen, was einen erwartet. Um es mit den Worten Forrest Gumps auszudrücken: Geisteswissenschaften sind wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man bekommt. Ist das nicht schön?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Goldfasan. Wir freuen uns, dass wir ihn auch hier veröffentlichen können.

Alle Bilder: Sonja Köllinger.

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