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Warum Personaler an Bewerber keine Standardabsagen mehr schicken sollten

Employer Branding ist im HR-Management das Buzzword der Stunde. Doch um eine Arbeitgebermarke zu werden, braucht es viel mehr als große Kampagnen – und das fängt bei der Kommunikation mit Bewerbern an, findet Silke Wöhrmann, Personalpsychologin und Personalentwicklerin.

 

Meine Test-Bewerbung

„Sehr geehrter Bewerber. Ihnen wird vorgeworfen, am 20.03.2017 um 11:33 Uhr folgende Ordnungswidrigkeit begangen zu haben: Sie haben sich beworben“. So oder ähnlich klingt oft die schriftliche Kommunikation mit dem Bewerberinnen und Bewerbern. Ob Eingangsbestätigungen (wenn es sie noch gibt), Absagen und sogar Einladungen zu einem Bewerbungsgespräch: die Textbausteine, die drögen Personaler immer noch nutzen, müssen dringend überarbeitet werden.

Das weiß ich, da ich mich in  Vorbereitung auf eine Tagung zum Thema „Moderne Ansätze im Personalmarketing“ selbst beworben habe, um aktuelles Material zu haben. Die erste Eingangsbestätigung sah so aus:

Sehr geehrte Frau W?hrmann,
Ihre Bewerbung ist bei uns eingegangen.
Diese E-Mail wurde automatisch generiert.
Mit freundlichen Gr??en



Wie schön ist das denn? So herzlich, so unverwechselbar. Es drückt geradezu eine entfesselte Freude darüber aus, dass ich mich für die Stelle beworben habe! Ich war gerührt zu Tränen. Aber eher, weil ich an die tolle Website dieser Firma denke, die so verzweifelt um Fachkräfte wirbt. Viel Geld haben sie ausgegeben. So mitarbeiterorientiert, so fortschrittlich. Ich wollte da sogar anrufen, hatte noch die eine oder andere Frage. Nach einer Stunde Suche nach einem Ansprechpartner, der sich freut, dass eine qualifizierte Bewerberin ihre Arbeitskraft dem Unternehmen zur Verfügung stellen möchte, gab ich auf.

Vielleicht MÖCHTEN die gar nicht angerufen werden? Also setzte mich dann an die schriftliche Form. Mit allem Pipp und Papp, so wie es sein soll. Individuell auf die Stellenanforderung zugeschnitten. Profifoto. Runder Lebenslauf. Berufserfahrung, die genau zu dem geforderten Stellenprofil passt. So ein bis zwei Stunden saß ich schon daran, Qualität braucht Zeit. Dann schickte ich das Ganze ab.

Unendliche Prozesse

Aber nein! Erst einmal muss ich mich einloggen, registrieren, Passwörter vergeben. OK. Auf eine Registrierung mehr oder weniger kommt es auch nicht an. Dann: „Bitte geben Sie Ihre Daten ein“. Oh nein! Bitte nicht. Meinen ganzen Lebenslauf jetzt noch einmal eintippen? Aber es ist ja für einen guten Zweck.

Das Gleiche, nur eine andere Software in einem anderen Unternehmen: Ich kann meinen Lebenslauf hochladen und der Systemgenerator pflückt sich automatisch die Daten heraus! Wie praktisch! Ich darf zum Glück alles noch einmal überprüfen – und sehe einen Lebenslauf, der auch ganz nett ist, aber mit meinem nichts zu tun  hat. Also doch wieder händisch eintippen und korrigieren.

Eine Stunde später habe ich es. Ich wollte nur noch mal schnell zurück klicken, um etwas nachzuschauen. Leider speichert das System nicht (oder der winzige, unsympathisch hellbraun-gefärbte Speichern-Button ganz unten rechts, wenn man tief hinunterscrollt, ist mir entgangen). Noch einmal von vorne. Leicht genervt lade ich alles noch einmal hoch: meinen Lebenslauf, mein Bewerbungsanschreiben, meine Zeugnisse, meine Motivation, meinen Willen, die Arbeitskraft ganz und gar zur Verfügung zu stellen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit. Manchmal wollen die Unternehmen aber auch ein All-in-One, das heißt alle Dokumente in einem PDF Aber nur das Foto extra. Oder Sie wollen nur den Lebenslauf nach dem Motto: „Sparen Sie sich die Mühe, wir tun es auch.“

Das Schicksal meiner Motivation: archiviert und gelöscht

Etwas später erhalte ich eine E-Mail:

„Sehr geehrte Frau Wöhrmann, vielen Dank für Ihre Bewerbung und das damit verbundene Interesse an einer Mitarbeit in unserem Unternehmen. Wir haben Ihre Unterlagen sorgfältig durchgelesen und mit unseren Anforderungen verglichen. Leider müssen wir Ihnen heute mitteilen, dass wir Ihnen keinen positiven Bescheid geben können. Für die ausgeschriebene Stelle haben wir eine Vielzahl qualifizierter Bewerbungen erhalten und haben uns hier für den weiteren Prozess für Bewerber entschieden, die unserem Anforderungsprofil noch mehr entsprochen haben.

Wir wünschen Ihnen für die Zukunft alles Gute und hoffen, dass Sie Ihre beruflichen Pläne bald an anderer Stelle verwirklichen können. Aus datenschutzrechtlichen Gründen haben wir Ihre Daten aus unserem System gelöscht.“

Zur Sicherheit, falls ich mittlerweile die deutsche Sprache verlernt habe, der ganze Text noch einmal in Englisch darunter.

Komisch, irgendwie habe ich das Gefühl, dass die das jedem schreiben. Irgendetwas in mir sagt: die haben meine Bewerbung gar nicht gelesen, sondern nur – wenn überhaupt – mein Alter, meine Gehaltsvorstellung oder was auch immer – und abgewunken. Irgendetwas sagt mir, dass denen meine berufliche Zukunft in Wirklichkeit schietegol (sagt der Hamburger so) ist. Und die „Vielzahl von Bewerbungen“? Träumen sie davon oder gehören sie zu den wenigen Firmen, die sich vor Bewerbern kaum retten können?

Das zweite Beispiel

„Wir bedanken uns für die Einreichung Ihrer Bewerbungsunterlagen und Ihrem Interesse an einer Mitarbeit in unserem Unternehmen. Es ist uns nicht leicht gefallen,  unter der Vielzahl qualifizierter Bewerbungen eine Auswahl zu treffen. Im Ergebnis müssen wir Ihnen jedoch leider mitteilen, dass wir Ihnen die gewünschte Position nicht anbieten können. Bitte sehen Sie unsere Entscheidung nicht als Bewertung Ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten an.

Für Ihren weiteren Berufsweg wünschen wir Ihnen viel Erfolg sowie alles Gute
für Ihre persönliche Zukunft.

Mit freundlichen
Grüßen

Frau Sowieso, Auszubildende“

Da saßen bestimmt fünf qualifizierte Personaler und berieten über zwei Stunden, ob sie mich einladen sollen oder nicht. Sie haben noch einmal mein Profil überprüft, mit ihren Anforderungen verglichen. Noch einmal nachgedacht. Noch einmal darüber geschlafen und am nächsten Tag eine Konferenz mit dem Vorstand einberufen. Mit dem Ergebnis: leider, leider, leider, trotz aller Bemühungen, wird das nix. Oder?

Über welchen Satz ich mich auch immer wundere: „Keine Bewertung meiner Kenntnisse und Fähigkeiten.“ Was ist eine Absage denn sonst? Aber liebe Textbausteine, keine Sorge, ich weine nicht und wälze mich nachts im Bett hin und her. So viel Selbstbewusstsein habe ich gerade noch, auch nach
dieser Absage.

Das dritte Beispiel

„Sehr geehrte Frau Dipl.-Kfm. W hrmann,

im Rahmen der Stellenausschreibung … haben Sie Ihre Bewerbungsunterlagen eingereicht. Nach Abschluss des Auswahlverfahrens muss ich Ihnen nunmehr mitteilen, dass die Entscheidung  ber die Besetzung der Stellen zugunsten von Mitbewerberinnen getroffen wurde.

Ich bedauere, Ihre Bewerbung aus diesem Grund nicht mehr ber cksichtigen zu k nnen und bitte um Verst ndnis f r diese Entscheidung. 

Ihre elektronischen Bewerbungsunterlagen werden hier f r zwei Monate archiviert und dann endg ltig gel scht.

 Ich danke Ihnen f r das gezeigte Interesse und w nsche Ihnen Erfolg f r Ihre weitere berufliche Zukunft.

Mit freundlichen Gr en“

Liebe Bewerber, nervt mich nicht!

Liebe Personaler, mal ganz ehrlich: Das ist peinlich. Manche dieser Sätze haben wir schon anno 1990 geschrieben. Wenn ihr antworten würdet: „Lieber Bewerber, lass mich in Ruhe, ich habe keinen Bock mehr den ganzen Kram zu lesen und sieh zu, dass du andere nervst“  – das wäre ehrlicher. 

Wir regen uns als Personaler auf, wenn einem Bewerber ein Rechtschreibfehler unterläuft und verzichten in unseren E-Mails auf moderne, freundliche Sprache. Wir verlangen perfekten Umgang mit Social Media, MS Office, und natürlich SAP – und schaffen es nicht, unsere E-Mails in HTML umzuwandeln. Wir möchten Individualität, Ehrlichkeit – und verschicken als Dank unzählige Male am Tag den gleichen langweiligen Text. Wir investieren Abertausende in Employer Branding aber unterlassen seit 20 Jahren eine Überprüfung unserer automatischen Antwortphrasen. Wir träumen davon, eine Arbeitgebermarke zu sein – und tun auch alles dafür, um auch bloß nicht positiv aufzufallen.

Ja, sollen wir denn wieder mit der Hand schreiben?

Ja, das wäre mal etwas. Aber natürlich haben alle so viel mit dem Verwaltungskram zu tun, da fehlt die Zeit. Verstehe ich. Auch darf man ja nicht schreiben warum man absagt, AGG und anderen gesetzlichen Vorschriften sei Dank. Verstehe ich auch.

Nur: warum bekommt es kaum jemand hin, zumindest verschiedene, auf das Bewerberprofil abgestimmte Absagen zu formulieren und zielgruppengerecht zu versenden? Einen Text für Auszubildende, für Professionals, für Frauen, für Männer? Warum schafft es niemand den Text, den Frau Müller in ihrer Ausbildungszeit verfasst hat (und inzwischen in Rente gegangen ist) zu überarbeiten? Weil er so schön warm im Nirgendwo des automatischen Antwortsystems liegt und ihn niemand liest und sieht – bis auf die Bewerber, da macht das ja nix? Warum kann man nicht wenigsten hineinschreiben, für welche Stelle man absagt, technisch gesehen ist das tatsächlich schon möglich. Ich schreibe doch auch „Bewerbung um die Stelle als…Kennziffer..“ usw. damit ihr wisst, worum es eigentlich geht.

Besseres Bewerber-Management

Großartige Werbekampagnen, um zur „Arbeitgebermarke“ zu werden– toll! Aber keiner scheint darüber nachzudenken, was passieren soll, wenn sich trotzdem jemand plötzlich bewirbt. Wo sind die „Kundenkontaktstellen“ für Bewerber in unserem Unternehmen? Wie, mit wem und mit welchen kundenorientierten Kompetenzen besetze ich sie? Wie bewerberorientiert treten wir auf? Wie kommunizieren wir, und wenn uns jemand anruft, sind wir überhaupt erreichbar? Und wen erreicht der Bewerber, wenn er jemanden erreicht? Den Personalentscheider? Niemals, der hat mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen und ist gerade auf dem Kongress „10 Tipps, wie Sie tolle Bewerber finden“.  Wer kann den armen bemitleidenswerten potentiellen Bewerber beraten, betreuen? Welche Dokumente sind für ihn hinterlegt und sind sie noch zeitgemäß? Wie schaffen wir eine Individualisierung, wie schaffen wir es, eine Absage so zu schreiben, dass wir trotzdem einen positiven Eindruck hinterlassen?

Es hilft nichts: Der gesamte Bewerberprozess muss analysiert und überarbeitet werden. Die Dokumente gehören gesammelt auf den Tisch und hinterfragt. Personaler müssen in der Servicekommunikation qualifiziert werden und kundenorientiertes Denken und Handeln inhalieren. Kurz: Bewerber als Kunden
verstehen, sich selbst als Verkäufer und nicht als überirdisch unangreifbarer
Einkäufer.

Jetzt höre ich schon den Aufschrei: „Waaas? Wir sind doch keine Verkäufer, keine Vertriebler. Wir sind Personaler!“ Doch, so solltet ihr euch verstehen. Ihr verkauft das Image eures Unternehmens. Ihr vertreibt die Lebensgrundlage vieler: Arbeitsplätze. Ihr seid verantwortlich für das Wichtigste, was ein Unternehmen hat: die Menschen. Und, natürlich auch: Ihr seid die Vertreter eurer eigenen Zunft und prägt den Eindruck, den Personalabteilungen nach außen vermitteln. Marketing verstehen, Kundenkommunikation üben. Schriftlich und mündlich, beginnend mit „Wie begrüße ich einen Bewerber?“ Das wichtige Thema „Individualisierung der Personalpolitik“ beim Schopfe packen. Den Bewerber nicht zehn Monate warten lassen oder nach dem Prinzip „Still ruht der See“ gar nicht antworten. Das wäre mal was, dann klappt es auch mit dem Personalmarketing.

Welche Erfahrungen, liebe Bewerberinnen und Bewerber, habt ihr?

Die Diskussionen um Gewinnung von Personal und Fachkräften boomt. Jeden Tag kommt gefühlt ein neue Instrument, welches mehr Erfolg in der Personalgewinnung verspricht. Aber wie sieht es tatsächlich vor Ort aus? In Bewerbungsgesprächen wird das umgesetzt, was proklamiert wird: den Bewerber respektvoll behandeln, das Unternehmen positiv nach außen repräsentieren, nach sachlichen Kriterien beurteilen, auf Augenhöhe sprechen. Ich bitte gerade in einer anonymen Umfrage bittet um eure Erfahrungen. Dabei geht es nicht darum, „Dampf“ abzulassen, wenn eventuell keine Einstellung
erfolgt ist. Wir bitten um eine sachliche Einschätzung, um ein Bild
darüber  zu erhalten, ob die Konzepte des Employer Brandings bereits
Einzug in die Personalabteilungen erhalten haben und Hinweise darauf zu
erhalten, was noch unbedingt getan werden muss. Hier könnt ihr teilnehmen – und eure Einsichten kommen dann auch weiteren Texten hier zugute.

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