Am Donnerstag startet die Bestseller-Verfilmung „Mängelexemplar“ in den Kinos. Wir haben uns vorab mit der Regisseurin Laura Lackmann getroffen und mit ihr über ihr Regie-Debüt und die Ironie des Lebens gesprochen.
„Ich mache keinen großen Hehl daraus, dass ich selbst eine Depressions-Geschichte habe“
Mit „Mängelexemplar“ landete Sarah Kuttner vor ein paar Jahren einen echten Bestseller. Jetzt kommt die Geschichte der eigenwilligen Karo in die deutschen Kinos. Wir haben uns mit der Regisseurin des Films, Laura Lackmann, zum Interview getroffen und erfahren, dass sie, trotz ihrer Unerfahrenheit, eine wahre Expertin für die Thematik des Films ist. Mit Panikattacken und den wirklich beschissenen Momenten im Leben hat sie, wie ihre Protagonistin, einige Erfahrungen gemacht.
„Mängelexemplar“ ist dein Regie-Debüt. Wie kam es dazu, dass du gleich mit einer Bestseller-Verfilmung einsteigen konntest?
„Ich glaube, als normal sterblicher Filmstudent kann man sich Buchrechte wie diese gar nicht leisten. Ich hatte dementsprechend wirklich großes Glück. Ursprünglich war mein Debüt für eine andere Geschichte geplant, die ich während meines Studiums an der Deutschen Film- undFernsehakademie in Berlin geschrieben hatte. Nach einer Präsentation vor verschiedenen Redakteuren und Produzenten, die auf der Suche nach frischen Filmemachern waren, lud mich eine Produktionsfirma zu sich ein, um über eine Kooperation zu sprechen. Ich dachte natürlich, sie würden sich für meinen Liebesfilm interessieren.
Als ich dort ankam,fragte mich die Dramaturgin jedoch, ob ich das Buch ‚Mängelexemplar’ gelesen habe. Und so fand ich mich in einem ewigen Monolog über den Roman wieder, da ich viele Parallelen zu meinem eigenen Leben in dieser Geschichte gefunden hatte. Als ich fertig war, erklärte man mir, dass sie gerade auf der Suche nach einer Autorin für die Story wären, da sie bereits die Rechte an dem Buch hätten. Und da ich offensichtlich eine starke Bindung zu dem Roman hatte, wollten sie wissen, ob ich Lust hätte, für sie Probe zu schreiben.
Ich hatte das so verstanden, dass ich gleich loslegen sollte. Also ging ich nach Hause und schrieb über`s Wochenende zehn Seiten, die ich mit meinen Anmerkungen versehen in bunte Ordner steckte und am Montag im Büro der Produktionsfirma vorbeibrachte. Damit hatte dort niemand gerechnet. Wie man mich aufklärte, wollte man sich die Idee, eine Debütantin als Regisseurin zu wählen, zunächst einmal durch den Kopf gehen lassen. Mein übereifriges Entgegenkommen hat sich aber, wie man sieht, bezahlt gemacht.“
Denkst du, dass du es dank der Verfilmung eines Bestsellers leichter hast, einen erfolgreichen Einstieg ins Filmgeschäft zu bekommen, oder sind die Erwartungen an dich dadurch nur noch höher?
„Ich glaube, dass beides der Fall ist. Roman-Adaptionen sind im Grunde immer eine undankbare Herausforderung, da man naturgemäß den Film eigentlich nie so machen kann, wie das Buch sich für jeden einzelnen liest. Außerdem kann einem ein solches Projekt, gerade für den Beginn, auch viele Türen verschließen. Bei einer Produktion, in der Namen wie Sarah Kuttner und UFA eine Rolle spielen, erwarten die Menschen, dass eine Menge Geld im Spiel ist. Gleichzeitig bin ich aber nun einmal eine Debüt-Regisseurin und habe den Film in Kooperation mit dem relativ kleinen Sender RBB gedreht, der einfach keine riesigen Budgets verteilen kann. Davon abgesehen wird mir mit ‚Mängelexemplar’ aber natürlich eine deutlich größere Aufmerksamkeit zuteil, als es mit meinem ursprünglich angedachten Debüt der Fall gewesen wäre.“
Du sagst, der Film kann nie so gut werden wie das Buch. Gibt es dennoch etwas, das dein Film kann, das Buch aber nicht?
„Die Geschichte basiert auf dem Roman von Sarah Kuttner, dennoch ist der Film, so wie er ist, mein eigenes Werk, da ich viele eigene Ideen und Kunstgriffe einfließen lassen konnte. Meine Version der Geschichte hat zudem allein schon den Vorteil aller filmischen Mittel, die ein Buch nicht hat, wie Farbe, Musik, Ton, visuelle Effekte oder die Personifizierung durch tolle Schauspielerinnen wie etwa Katja Riemann, die man als Zuschauer bereits kennt. Insbesondere bei den Figuren habe ich mir die Freiheit genommen, einzelne Charaktere, die in Sarahs Roman teilweise nur eine Seite bekommen, weiter auszubauen. Die Figur der Anna kommt im Buch beispielsweise zwar auch als Freundin der Protagonistin Karo vor, aber nicht in dieser Epik.“
Wie hat Sarah Kuttner auf deine Änderungen an ihrer Geschichte reagiert? War sie es, die am Ende immer das letzte Wort hatte?
„Als feststand, dass ich das Drehbuch für die Verfilmung ihres Romans schreiben würde, gab es ein gemeinsames Gespräch zwischen Sarah und mir. Ich erklärte ihr, dass ich ein paar ihrer Charaktere gerne streichen oder zwei Figuren zu nur einer zusammenziehen wolle, da es für einen Film zu unübersichtlich wird, wenn immer neue Bekannte von Karo auftauchen, an die sich der Zuschauer gewöhnen muss. Sarahs Roman ist in meinen Augen eine Art Zustandsbeschreibung, in der gezeigt wird, wie es Karo im Umgang mit ihrer Depression geht. Als Buch liest sich das gut, weil die Innensicht dieser Person im Fokus steht. In einem Film sollte die Hauptfigur aber im besten Fall eine Entwicklung durchleben, damit man als Zuschauer dranbleibt.
Nachdem wir diese Dinge besprochen hatten, meinte Sarah, dass sie sich mit Drehbüchern nicht so gut auskenne und ich erst einmal so weitermachen solle, wie ich es mir vorstelle. Bei den Dreharbeiten war sie mit am Set, hat sich aber ansonsten immer sportlich zurückgenommen, was ich sehr beachtlich fand. Ich stelle mir das gar nicht so einfach vor, wenn jemand anderes auf einmal in deiner Geschichte herumschreibt.“
Im Roman verliert die Figur Karo ihren Job, trennt sich von ihrem Freund und verfällt anschließend in eine Depression, die Begleiterscheinungen wie Panikattacken aufweist. Wie hast du einen eigenen Zugang zu dieser Geschichte gefunden?
„Ich mache keinen großen Hehl daraus, dass ich selbst eine Depressions-Geschichte habe, zum Arzt gehe und seit gefühlt tausenden von Jahren Medikamente nehme. Davon abgesehen, fand ich die Figur Karo unfassbar spannend, weil sie eine Frau ist, die nervig ist und aneckt. Als Frau hat man es immer schwer, wenn man aufbegehrt. Um dieses Thema ging es auch viel während unserer Produktion. Immer wieder kam die Frage: Wie unsympathisch ist Karo und wie schwierig können wir sie sein lassen, damit die Leute sie immer noch mögen?
Jetzt, wo schon ein paar Leute den Film gesehen haben, höre ich häufig Sätze wie: ‚Ich mag die nicht, die nervt mich.’ Aber genau darum geht es ja! Es geht darum, auch mal einer nervigen Frau Platz zu machen und sie unsympathisch sein zu lassen. Was sollen denn das für Filme sein, in denen die Figuren uns stets freundlich und gewinnermäßig wie Micky Maus gegenübertreten? Bei Männern klappt das schon länger, dass Jack Nicholson beispielsweise einen echt unverschämten Typen spielen kann und das Publikum ihn dafür liebt. Bei Frauen ist es aber immer noch so, dass man ja nie kreischig sein darf und zickig schon gar nicht. Deshalb fand ich die Herausforderung echt toll, mal eine solche Frau zu erzählen.“
War es genauso eine Herausforderung, ein ernstes und schwieriger zugängliches Thema wie Depressionen auf eine Komödie zu übertragen?
„Ich denke, dass bereits die Stärke des Buches in der Komik lag. Zum Beispiel, wenn der Arzt so etwas zu Karo sagt wie: ‚Eine Depression ist ein fucking Event.’ Diesen Humor wollte ich auch im Film beibehalten, weil er den Zuschauern ein ernstes Thema zugänglicher macht und sie sich nicht davor fürchten müssen, eine Depressions-Geschichte anzusehen. Ich selbst finde außerdem, dass gerade die Momente, in denen manchmal alles so richtig scheiße ist, unfassbar komisch sein können.
Ich weiß noch, wie es war, als meine Oma gestorben ist. Das war für meine Mutter, meine Schwester und mich ganz furchtbar, aber keine von uns wusste so recht, wie sie in diesem Moment reagieren sollte – also sagte meine Mutter: ‚Gut, dann trinken wir doch jetzt einfach mal ein Glas Cola light zu Omas Ehren.’ Keine von uns hätte im Vorfeld damit gerechnet, dass ein so trauriger Anlass zu diesem komischen Bild führen würde, in dem drei Frauen irritiert an ihren Sektgläsern voll Cola nippen. Da merkt man, dass das Leben selbst in diesen Situationen mehr als nur schwarz ist.“
Mir ist aufgefallen, dass du oft filmische Elemente einsetzt, um Karos Psyche nach außen hin sichtbar zu machen, wie etwa durch das Bild des inneren Kindes, welches Karo am Anfang verzweifelt versucht, von ihrem Rücken abzuwerfen. Wie bist du auf diese Idee gekommen?
„Ich habe damals wegen meiner eigenen Depression angefangen, verschiedene Selbsthilfebücher zu lesen und bin wirklich ein großer Fan dieser Art von Büchern. Ich lese sie zwar nie bis zum Ende durch, finde dort aber immer gute Ansätze und neue Methoden, die es einem besser gehen lassen. Bei meiner persönlichen Suche nach einer solchen Methode hielt ich irgendwann ein Buch in der Hand, das den Titel „Die Aussöhnung mit dem inneren Kind“ trug. Darin ging es darum, dass man mit seinem kleinen Ich, also mit seiner Seele, liebevoller umgehen müsse.
Dieses Bild fand ich für unsere Geschichte sehr passend, weil mir für Karo ein Antagonist fehlte und sie sich teilweise eben selber wie ein unerzogenes Kind verhält. Ich wollte, dass sie sich mit jemandem, und zwar am besten mit sich selbst, vertragen kann. Durch die Figur des kleinen Mädchens, das immer wieder an ihrer Seite auftaucht, ergab sich die Möglichkeit, dass sie sich am Ende selbst in die Arme schließt und sich als die schwierige, komische Frau annimmt, die sie ist. Im Prinzip befindet sich ja jede und jeder von uns tagtäglich in einem Dialog mit sich selbst. Mir hat es schon in vielen Situationen geholfen, mich zu fragen: Wer motzt da eigentlich gerade oder wer heult da jetzt?
Bei den Dreharbeiten am Set wurde mir klar, wie stark dieses Bild wirklich ist. Auf einmal hatte die gesamte Crew Tränen in den Augen, als das kleine Mädchen im selben Schlafanzug wie Karo um die Ecke kam und man sich wirklich vorstellen konnte, wie es wäre, wenn man mit sich selbst Frieden schließt. Da bekomme ich jetzt noch eine Gänsehaut!“
Würdest du sagen, dass Karo eine Art Stellvertreterin vieler junger Frauen einer Generation ist?
„Karo ist acht Jahre jünger, als ich es bin. Ich habe natürlich andere Probleme als sie, aber es gibt Überschneidungspunkte, in denen sich wahrscheinlich jede Frau, egal welchen Alters, wiederfindet. Natürlich ist sie beispielhaft für eine Generation von Menschen, die sich vielfach nicht gebraucht fühlen, weil sie wegrationalisiert werden, die verwirrt sind von ihren Möglichkeiten, denen ihre Freiheiten zu schaffen machen, die offene jugendliche Eltern haben und das Wort Beziehung gerade neu definieren müssen. Wir leben in der Zukunft, die wir aus Filmen kennen und gleichzeitig gibt es diese Sehnsucht nach der Steinzeit. Hinzu kommt, dass man sich als junger Mensch in Deutschland heutzutage in den seltensten Fällen wirklich beschweren kann, denn uns geht es ja vergleichsweise gut. Man schluckt also seinen Kummer oft runter, weil man dafür keine Berechtigung sieht.“
Gehören Panikattacken mit zu diesem Leben dazu?
„Ja. Ich persönlich glaube, dass, wenn man in der Lage ist, auch schlechte Gefühle anzunehmen, man sich automatisch schon auf dem Weg der Besserung befindet. Außerdem denke ich, dass Dinge, wie Panikattacken, besonders Frauen betreffen, weil wir mit mehr Gefühls- und Fantasie-Kapazität unterwegs sind als Männer, die einfach rationaler sind. Für diese Bemerkung kann mich jetzt auch gerne jemand anschimpfen, aber das erlebe ich meistens so. Den ganzen Tag lang läuft bei uns Frauen das Kopf-Kino – und manchmal leider der falsche Film, aus dem man nicht mehr rausgehen kann. Männer stehen mehr zu sich. Wir aber machen uns oft in Gedanken fertig und klein, anstatt diese Kraft für uns zu nutzen. So kann man sich mit seinen eigenen Qualitäten krank machen.“
Richtet sich „Mängelexemplar“ demnach vor allem an Frauen?
„Nein. Wie wir bereits bei ersten Auswertungen gesehen haben, kommt der Film auch super bei Männern, besonders dieser Generation, an. Ich glaube, momentan verschwimmen die Geschlechtergrenzen in so mancher Hinsicht. Und die älteren männlichen Zuschauer sagen, dass es interessant ist, einer Frau mal so in den Kopf und ins Herz gucken zu können. Denn die meisten haben so eine zu Hause.“
Quelle: Youtube
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